Artikel herunterladen

Paracetamol weiterhin ein Arzneimittel der Wahl bei Fieber und Schmerzen in der Schwangerschaft

In den letzten Jahren wurden zahlreiche Studien veröffentlicht, in denen u.a. asthmatische Beschwerden, Hodenhochstand und mentale Entwicklungsauffälligkeiten beim Kind im Zusammenhang mit der Paracetamol-Einnahme der Mutter in der Schwangerschaft diskutiert wurden ([1], vgl. [2]). Zuletzt riefen 91 Wissenschaftler in einem sogenannten „Konsensus-Statement“ zur Vorsicht auf, da die pränatale Exposition gegenüber Paracetamol die fetale Entwicklung stören und das Risiko für reproduktive und urogenitale Störungen sowie Verhaltensauffälligkeiten erhöhen könnte [3]. Sie begründen ihre Befürchtung mit Ergebnissen aus Beobachtungsstudien und Tierexperimenten, die sie als narrative Übersicht in der Veröffentlichung aufführen. Für den Zusammenhang zwischen pränataler Paracetamol-Exposition und urogenitalen sowie reproduktiven Störungen verweisen die Autoren beispielsweise auf 11 Beobachtungsstudien mit > 130.000 Mutter-Kind-Paaren aus verschiedenen Teilen der Welt. In 5 Studien zeige sich eine Assoziation zwischen pränataler Exposition gegenüber Paracetamol und einem erhöhten Risiko für Krypt-
orchismus sowie einem verminderten Anogenitalabstand, einem Indikator für eine gestörte Maskulinisierung. In einer weiteren Studie zeige sich eine Assoziation mit einer frühen Pubertät bei Mädchen. Vier Studien ergäben keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Hypospadie durch pränatales Paracetamol. Zum Zusammenhang zwischen Paracetamol und neuronalen Störungen führen die Autoren weitere 29 Beobachtungsstudien mit mehr als 220.000 Mutter-Kind-Paaren auf. In 26 Studien fände sich ein Zusammenhang zwischen pränataler Exposition gegenüber Paracetamol und u.a. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Autismus-Spektrum-Störungen, Verzögerungen der Sprachentwicklung sowie einem verringerter IQ-Wert. Über das sogenannte „Konsensus-Statement“ wurde auch in der Laienpresse berichtet [4].

Nun hat das „European Network of Teratology Information Services“ (ENTIS) das Statement kritisiert und eine Stellungnahme zur Anwendung von Paracetamol in der Schwangerschaft veröffentlicht [5]. ENTIS ist ein globales Netzwerk von Beratungszentren zur Embryonaltoxikologie, zu dem auch die Zentren in Deutschland und Österreich gehören [6]. Die Vorsitzenden kritisieren im Namen des gesamten Netzwerks, dass die Publikation Konsensus-Statement genannt wird, obwohl weder Zulassungsbehörden noch Fachgesellschaften beteiligt waren. Vor allem aber kritisieren sie die zugrunde liegende Evidenz als schwach, widersprüchlich und in weiten Teilen grundlegend fehlerhaft. Es seien kausale Zusammenhänge aus Daten abgeleitet worden, die dies nicht zuließen. Außerdem würden unvalidierte Endpunkte verwendet und verschiedene Einflussfaktoren nicht berücksichtigt. Darüber hinaus stützten die genannten Quellen nicht immer die Aussage der Autoren. Eine zentrale Studie zum Kryptorchismus zeige beispielsweise keine Assoziation zwischen pränataler Exposition gegenüber Paracetamol und dem Risiko für Kryptorchismus (adjusted Odds Ratio: 1,3; 95%-Konfidenzintervall: 0,70-2,6). Das Netzwerk kritisiert außerdem, dass präklinische Daten für klinische Empfehlungen verwendet werden.

Die Experten von ENTIS halten Paracetamol nach wie vor für das Analgetikum und Antipyretikum der ersten Wahl in der Schwangerschaft. Wie jedes andere Arzneimittel sollte es jedoch nur bei eindeutiger Indikation so kurz und so niedrig dosiert wie möglich verwendet werden. Die Verbreitung des Statements führe zu Verunsicherung, Angst und Schuldgefühlen bei schwangeren Frauen. Es bestehe die Gefahr, dass in der Schwangerschaft weniger sichere Analgetika eingenommen würden.

Fazit

Fazit: Bei medikamentös behandlungspflichtigen Schmerzen und Fieber gehört Paracetamol in jeder Phase der Schwangerschaft zu den Analgetika bzw. Antipyretika der ersten Wahl [7]. Auch wenn es weiterhin als sicherstes Arzneimittel zur Behandlung von Fieber und Schmerzen in der Schwangerschaft gilt, darf es nicht unkritisch und ohne ärztliche Untersuchung und Rat tagelang oder sogar über mehrere Wochen eingenommen werden ([7], [8]). Auf die unzureichende Wirksamkeit von Paracetamol bei Gelenk- und Rückenschmerzen haben wir wiederholt hingewiesen (vgl. [9]).

Literatur

  1. https://www.embryotox.de/das-institut/aktuelles/details/ansicht/news/paracetamol-maerz-2018/ (Link zur Quelle)
  2. AMB 2004, 38, 25. (Link zur Quelle)
  3. Bauer, A., et al.: Nat. Rev. Endocrinol. 2021, 17, 757. (Link zur Quelle)
  4. https://www.stern.de/gesundheit/gesundheitsnews/paracetamol-in-der-schwangerschaft--experten-mahnen-zur-vorsicht-30771628.html (Link zur Quelle)
  5. https://www.entis-org.eu/entis-news/official-entis-position-statement-paracetamol-acetaminophen-apap-use-in-pregnancy (Link zur Quelle)
  6. https://www.entis-org.eu/ (Link zur Quelle)
  7. https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/paracetamol/ (Link zur Quelle)
  8. Editorial: Nat. Rev. Endocrinol. 2021, 17, 699. (Link zur Quelle)
  9. AMB 2017, 51, 28. AMB 2016, 50, 29b. AMB 2015, 49, 37b. (Link zur Quelle)