Niedermolekulare Heparine sind im Vergleich zum unfraktionierten Heparin chemisch besser definiert: sie enthalten, wie der Name sagt, überwiegend niedermolekulare Moleküle. Sie haben eine besser kalkulierbare Pharmakokinetik mit längerer Halbwirkzeit und müssen daher nur ein- bis zweimal täglich s.c. injiziert werden. Die Überwachung der Gerinnungshemmung ist bei einer an das Körpergewicht adaptierten Dosierung unnötig – aber auch nur schwer möglich. Niedermolekuare Heparine haben sich bisher überwiegend in der Thromboseprophylaxe bewährt. Sie sind leichter zu handhaben, aber auch wesentlich teurer als unfraktioniertes Heparin.
Aber auch zur Behandlung der tiefen Beinvenenthrombose sind sie bereits mit Erfolg eingesetzt worden. DER ARZNEIMITTELBRIEF hat darüber berichtet (AMB 1996, 30, 35). Nun sind weitere Arbeiten erschienen, die zeigen, daß unfraktioniertes Heparin und niedermolekulare Heparine sich in ihrer klinischen Wirkung nicht wesentlich unterscheiden.
Eine internationale, randomisierte Untersuchung (COLUMBUS-Studie; 1) schloß 1021 Patienten mit venöser Thromboembolie ein. Es wurde entweder intravenös mit unfraktioniertem Heparin behandelt, dessen Dosierung an die partielle Thrombinzeit (PTT) angepaßt wurde, oder mit einer konstanten, an das Körpergewicht adaptierten Dosis niedermolekularen Heparins, in diesem Fall Reviparin (Clivarin), das von der Firma Knoll bereitgestellt wurde. Gleichzeitig begann die orale Antikoagulation mit Cumarin-Derivaten, die 12 Wochen lang fortgesetzt wurde. Patienten mit Rezidivthrombosen oder Lungenarterienembolie wurden nicht ausgeschlossen. Endpunkte waren Rezidivthrombosen, größere Blutungen oder Tod. 5,3% der Patienten, die mit niedermolekularem Heparin behandelt wurden, erlebten ein Rezidiv und 4,9% der Patienten unter nicht fraktioniertem Heparin. 3,1% bzw. 2,3% erlitten größere Blutungen und 7,1% bzw. 7,6% starben. Insgesamt war also kein Wirkungsunterschied zwischen den beiden Behandungsarten festzustellen.
Im selben Heft findet sich ein weiterer Wirksamkeitsvergleich zwischen niedermolekularem und unfraktioniertem Heparin (THÉSÉE-Studie; 2) bei Patienten mit akuter Lungenarterienembohe. 612 Patienten, die weder thrombolysiert noch embolektomiert werden mußten, wurden eingeschlossen. Die Gabe oraler Antikoagulanzien wurde zwischen dem 1. und dem 3. Tag begonnen und mindestens drei Monate lang fortgesetzt. Der Therapieeffekt wurde am 8. und 90. Tag verglichen. Endpunkte waren Rezidivthromboembolie, größere Blutung und Tod. 2,9% (unfraktioniertes Heparin) bzw. 3% der Patienten (niedermolekulares Heparin) erreichten einen dieser Endpunkte in den ersten acht Tagen. Bis zum 90. Tag waren es 7,1% bzw. 5,9%. Auch das Risiko einer größeren Blutung war gleich. Niedermolekulares Heparin, in diesem Fall Tinzaparin (Innohep), war also auch hier gleich stark wirksam wie unfraktioniertes Heparin. In einer weiteren Arbeit geht es um den Wirkungsvergleich der beiden Heparine bei einer nicht so sicheren Indikation (vgl. AMB 1995, 29, 55), nämlich bei der instabilen Angina pectoris (ESSENCE-Studie; 3). In einer doppeltblinden plazebokontrollierten Untersuchung wurden 3171 Patienten mit Ruhe-Angina oder inkomplettem Myokardinfarkt ohne Q-Zacke entweder mit 1 mg Enoxaparin (Clexane)/kg Körpergewicht 2mal/d oder unfraktioniertem Heparin als Infusion behandelt. Die Therapie wurde über 48 Stunden bis maximal 8 Tage fortgesetzt. Die Endpunkte nach 30 Tagen waren Tod, Myokardinfarkt oder Rezidiv der Angina pectoris. Nach 14 Tagen waren die Endpunkte in der Enoxaparin-Gruppe seltener als in der Heparin-Gruppe (16,6% vs. 19,8%), nach 30 Tagen waren es 19,8% vs. 23,3%. Blutungskomplikationen waren häufiger in der Enoxaparin-Gruppe.
Ein Editorial im selben Heft weist darauf hin, daß rezidivierende Angina pectoris, in deren Diagnose ein stark subjektives Element eingeht, besonders häufig war in der Gruppe mit unfraktioniertem Heparin und daß es im übrigen keine signifikanten Unterschiede in der Letalität und nur eine Tendenz der Verminderung des akuten Myokardinfarktes gab. Während die Dosis des niedermolekularen Heparins konstant und nur dem Körpergewicht angepaßt war; mußte die Dosierung des nichtfraktionierten Heparins der Gerinnungshemmung angepaßt werden. In weniger als der Hälfte der Patienten gelang es, die angestrebte therapeutische PTT von 55 bis 85 Sekunden in den ersten 12 bis 24 Stunden zu erreichen. Das benachteiligt natürlich diese Gruppe. Das Editorial zitiert darüber hinaus eine weitere Studie an 1482 Patienten, in der ebenfalls niedermolekulares Heparin, in diesem Fall Dalteparin (Fragmin), mit unfraktioniertem Heparin verglichen wurde (FRIC-Studie; 4). Hier waren beide Therapieschemata gleichwertig. Insgesamt sind also auch bei dieser Indikation die Wirkungsunterschiede bestenfalls marginal.
Übrigens: sowohl im N. EngI. J. Med. vom 4. als auch vom 18. September 1997 findet sich eine ganzseitige Werbung für Fragmin bei instabiler Angina pectoris. Dargestellt ist ein zerbrechendes, fast explodierendes Rotweinglas, das wohl die Ruptur eines atheromatösen Plaque gleichnishaft darstellen soll. Man fragt sich, was hat Heparin damit zu tun? Man fragt sich auch, wie weit in den hoch angesehenen medizinischen Zeitschriften der Welt die strikte Trennung von Werbung und fachlichem Inhalt eingehalten wird.
Fazit: Bei den meisten Indikationen haben sich die niedermolekularen Heparine den unfraktionierten Heparinen als gleichwertig erwiesen. Der wesentliche Unterschied liegt in der besseren Praktikabilität und im höheren Preis.
Literatur
1. The COLUMBUS Investigators: N. Engl. J. Med. 1997, 337, 657.
2. Simonneau, G., et al. (THÉSÉE Study Group = Tinzaparine ou HEparine Standard: Evaluations dans l Embolie pulmonaire): N. Engl. J. Med. 1997, 337, 663.
3. Cohen, M., et al. (ESSENCE Study Group = Efficacy and Safety of Subcutaneous Enoxaparin in Non-Q-Wave Coronary Events): N. Engl. J. Med. 1997, 337, 447.
4. Klein, W., et al. (FRIC-Studie = FRagmin lnstability Coronary Artery Disease): Circulation 1997, 96, 61.