Es ist bisher unklar, ob Patienten mit afebriler, durch Chemotherapie ausgelöster Neutropenie von einer beim Auftreten der Neutropenie beginnenden Gabe hämatopoetischer Wachstumsfaktoren (z.B. G-CSF GM-CSF) profitieren. Eine interventionelle Verabreichung von G- oder GM-CSF wird deshalb in den Richtlinien der American Society of Clinical Oncology auch nicht empfohlen (1, 2; vgl. AMB 1995, 29, 21). Trotzdem verordnen laut einer kürzlichen Umfrage der ASCO etwa ein Drittel der Ärzte G- oder GM-CSF bei afebrilen Patienten mit Neutropenie (vgl.AMB 1997, 31, 22a).
Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse einer zwischen November 1992 und Dezember 1995 in den USA durchgeführten doppeltblinden, plazebokontrollierten Studie zum klinischen Nutzen von G-CSF bei Patienten mit schwerer Neutropenie nach Chemotherapie interessant (3). Aufgenommen wurden Patienten mit soliden Tumoren oder malignen Lymphomen, die nach konventionell dosierter Polychemotherapie eine schwere Neutropenie (= 0,5/nl) entwickelten. Insgesamt waren in dieser Studie 138 Patienten auswertbar, von denen nach Randomisierung 71 mit G-CSF (5 µg/kg Körpergewicht) und 67 mit Plazebo behandelt wurden. G-CSF oder Plazebo wurden bis zum Erreichen einer absoluten Neutrophilenzahl von 2/nl und ggf. bis zur Beendigung einer parenteralen Antibiotikagabe wegen febriler Neutropenie bzw. maximal 14 Tage nach Studienbeginn verabreicht. Die Randomisierung erfolgte nach einem stratifizierten Schema, das den Zeitpunkt der letzten Chemotherapie, Intensität der vorausgegangenen Chemo- bzw. Radiotherapie und Gabe der stark myelosuppressiv wirkenden Nitrosoharnstoff-Derivate bzw. Carboplatin berücksichtigte. Die mediane Zeit bis zum Erreichen von > 0,5/nl Neutrophilen betrug 2 Tage in der G-CSF- und 4 Tage in der Plazebo-Gruppe (p < 0,001). Die für die Beurteilung der Wirksamkeit von G-CSF herangezogenen weiteren klinischen Endpunkte (Häufigkeit stationärer Behandlung aufgrund febriler Neutropenie, Tage im Krankenhaus, Dauer der parenteralen Antibiotikagabe, Zahl positiver Blutkulturen) unterschieden sich jedoch nicht signifikant zwischen beiden Gruppen (Tab. 1). Berechnungen der Autoren dieser Studie ergaben, daß eine 7tägige Gabe von G-CSF bei einem 70 kg schweren, afebrilen Patienten die Therapiekosten bei hochmalignem Non-Hodgkin-Lymphom, Mammakarzinom oder kleinzelligem Bronchialkarzinom um das 2- bis 3fache im Vergleich zur Standardchemotherapie steigert. Aufgrund des in dieser Studie dokumentierten geringen klinischen Nutzens sollte deshalb eine interventionelle Gabe von G-CSF bei afebrilen Patienten mit Neutropenie nicht erfolgen. Diese Ergebnisse unterstützen die kürzlich aktualisierten Empfehlungen der ASCO zum Einsatz von hämatopoetischen Wachstumsfaktoren bei afebrilen Patienten (2). Fazit: Afebrile Patienten mit Neutropenie nach Standardchemotherapie profitieren – trotz einer signifikanten Verkürzung der Dauer der Neutropenie – klinisch nicht von einer therapeutischen Gabe von G-CSF.
Literatur
1. American Society of Clinical Oncology recommendations for the use of hematopoietic colony-stimulating factors: Evidence-based, clinical practice guidelines. J. CIin. Oncol. 1994, 12, 2471.
2. Update of recommendations for the use of hematopoietic colony-stimulating factors: Evidence-based, clinical practice guidelines. J. CIin. Oncol. 1996, 14, 1957.
3. Hartmann, L.C., et al.: N. EngI. J. Med. 1997, 336, 1776.