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Rezidivprophylaxe mit E. coli Nissle bei Colitis ulcerosa?

Die Pathogenese chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen ist trotz intensiver Bemühungen nicht geklärt und eine kausale Therapie bisher nicht möglich. In den letzten Jahren konnten zahlreiche Befunde erhoben werden, die der sogenannten physiologischen Darmflora eine wichtige Rolle in der Pathogenese zusprechen. So können z.B. Lymphozyten aus entzündlich veränderter Darmschleimhaut durch bakterielle Antigene stimuliert werden (sogenannter Toleranzverlust), ein Phänomen, das sich bei Kontrollen nicht findet Auch ist bei den meisten Tiermodellen entzündlicher Darmerkrankungen die Entwicklung der Entzündung von der Anwesenheit luminaler Bakterien abhängig. Weiterhin sind bei Patienten mit Colitis ulcerosa die adhäsiven E.-coli-Stämme bzw. enterohämorrhagischen E.-coli-Stämme signifikant häufiger. Vor diesem Hintergrund war es naheliegend, durch Veränderung der Darmflora bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen den Krankheitsverlauf bessern zu können. Die möglichen Effekte von E. coli Nissle 1917 (Mutaflor) auf den Krankheitsverlauf bei Patienten mit Colitis ulcerosa in Remission wurde in einer doppeltblinden Studie mit einer standardisierten Rezidivprophylaxe verglichen (Kruis, W., et al.: Aliment. Pharmacol. Ther. 1997, 11, 853).

In diese Studie wurden 120 Patienten mit inaktiver Colitis ulcerosa (im Mittel 12 bis 14 Monate in Remission) aufgenommen. Die Mehrzahl der Patienten (66%) hatten eine Proktitis bzw. Proktosigmoiditis ulcerosa. Die Patienten wurden in zwei Gruppen randomisiert und erhielten 2mal 500 mg Mesalazin (5-Aminosalizylsäure, z.B. Claversal, Salofalk)/d plus Plazebo (Gruppe 1) bzw. 200 mg/d des E.-coli-Stamms Nissle 1917 (Serotyp 06: K5 : H1) (entsprechend 50 x 109 lebende E.-coli-Bakterien) plus Plazebo (Gruppe 2). Der Studienzeitraum betrug 3 Monate. Insgesamt konnten 103 Patienten ausgewertet werden. Zielkriterium war die Häufigkeit klinischer Rezidive einschließlich endoskopisch oder histologisch erfaßbarer Veränderungen.

Es zeigte sich in Gruppe 1 eine Rezidivrate von 11,3% und in Gruppe 2 von 16% (statistisch kein Unterschied). Tendenziell fand sich in Gruppe 2 ein etwas höherer Krankheitsaktivitätsindex (ebenfalls nicht signifikante Unterschiede). Am Ende der Studie konnten bei der histopathologischen Beurteilung der Biopsien keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen nachgewiesen werden. Auf den ersten Blick kann aus diesen Daten der Schluß gezogen werden, daß E. coli Nissle ähnlich effektiv wie Mesalazin die Rezidivrate bei Patienten mit Colitis ulcerosa senkt. Der Beobachtungszeitraum dieser Studie war mit 3 Monaten jedoch sehr kurz und die Patientengruppe mit 120 Patienten relativ klein. Unter der Voraussetzung, daß die Spontanrezidivrate bei Patienten mit Colitis ulcerosa – wie in der Literatur angegeben (Miner; P., et al.: Dig. Dis. Sci. 1995, 40, 296) – innerhalb von 3 Monaten 25 bis 35% beträgt, müßten bei einer Rezidivrate von 16% nach Einnahme von E. coli Nissle 1917 182 bis 315 Patienten (!) in eine Studie eingeschlossen werden, um einen signifikanten Vorteil gegenüber einer Plazebo-Behandlung nachzuweisen. Sind zwischen zwei Behandlungsprinzipien keine sehr großen Unterschiede zu erwarten, sind aus statistischen Gründen mit relativ kleinen Studien keine Aussagen möglich. Weiterhin ist völlig unklar, ob die Einnahme von E. coli Nissle 1917, ähnlich wie Mesalazin, protektiv bezüglich einer möglichen Malignomentwicklung wirkt. Bevor diese und andere Fragen nicht beantwortet sind, kann über den Nutzen von E. coli Nissle 1917 bei der Rezidivprophylaxe der Colitis ulcerosa nicht entschieden werden.

Fazit: Ein Wechsel von Mesalazin zu E.-coli-Präparaten zur Erhaltung der Remission bei Patienten mit Colitis ulcerosa ist nach diesen Ergebnissen nicht gerechtfertigt.