Artikel herunterladen

Primäre Therapie metastasierter kolorektaler Karzinome mit Irinotecan. Ergebnisse zweier Phase-III-Studien

Etwa 15% der Männer und 16% der Frauen mit neu diagnostizierten Tumoren haben kolorektale Karzinome, und etwa 30000 Patienten sterben jährlich in Deutschland an den Folgen dieses soliden Tumors (1). Die Kombination von 5-Fluorouracil (5-FU) mit Folinsäure (FS) galt bisher als Standardtherapie für Patienten mit metastasierten kolorektalen Karzinomen, wobei jedoch der klinische Stellenwert der FS zur Modulation der 5-FU-Wirkung kontrovers beurteilt wird (2; vgl. AMB 1997, 31, 65). Irinotecan (Campto) ist ein semisynthetisches Camptothecin-Derivat, das spezifisch die Topoisomerase I und dadurch die DNS- und RNS-Synthese hemmt. Phase-III-Studien hatten gezeigt, daß Patienten mit metastasierten kolorektalen Karzinomen, die auf eine primäre Therapie mit 5-FU-haltigen Schemata nicht angesprochen oder nach dieser Therapie ein Rezidiv erlitten hatten, von einer „Zweitlinien“-Chemotherapie mit Irinotecan hinsichtlich Überlebensdauer und „Lebensqualität“ profitierten (3, 4; vgl. AMB 1999, 33, 22). In diesem Jahr sind die Ergebnisse zweier Phase-III-Studien bei Patienten mit metastasierten kolorektalen Karzinomen publiziert worden, in denen jeweils eine Standardtherapie mit 5-FU plus FS mit einem Irinotecan-haltigen Kombinationsschema und darüber hinaus mit einer Monotherapie mit Irinotecan verglichen wurde. Da beide Studien etwa gleiche Patienten behandelten, sollen sie im Folgenden gemeinsam vorstellt werden. In eine vorwiegend in europäischen Zentren durchgeführten randomisierten Phase-III-Studie wurden insgesamt 387 Patienten eingeschlossen und entweder mit Irinotecan plus 5-FU als Infusion plus FS oder nur mit 5-FU als Infusion plus FS behandelt (5). Eine amerikanische, dreiarmige, multizentrische, randomisierte Phase-III-Studie hat 683 Patienten eingeschlossen und (A) mit einer Kombination von Irinotecan plus 5-FU als Bolus plus FS, (B) 5-FU als Bolus plus FS oder (C) nur mit Irinotecan behandelt (6). Es ist bemerkenswert, daß unter den Onkologen weiterhin keine Einigkeit hinsichtlich der Applikation (Dosis, Zeitpunkt etc.) von 5-FU plus FS besteht und vier unterschiedliche Applikationsformen in diesen Studien eingesetzt wurden. Primärer Endpunkt in der europäischen Studie war die Ansprechrate, in der amerikanischen Studie das progreßfreie Überleben. In beiden Studien wurde die „Lebensqualität“ der palliativ behandelten Patienten anhand von Fragebögen der European Organization for Research and Treatment of Cancer (EORTC) ausgewertet.

Die wichtigsten Ergebnisse dieser Studien sind in Tab. 1 zusammengefaßt. In beiden Studien war die Kombination von Irinotecan plus 5-FU plus FS wirksamer hinsichtlich der primären Endpunkte und verlängerte das mediane Gesamtüberleben um 2-3 Monate im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie mit 5-FU plus FS bzw. zur Monotherapie mit Irinotecan. In beide Studien wurden vorwiegend Patienten einschlossen, die zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Metastasen hatten; nur relativ wenige Patienten hatten zuvor eine adjuvante Therapie (8-11% in der amerikanischen und 23-26% in der europäischen Studie) erhalten. Die für palliative Therapiekonzepte sehr wichtige Frage nach unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) wurde in der europäischen Studie sehr ausführlich analysiert. Es ist bekannt, daß Irinotecan neben der dosislimitierenden Myelosuppression häufig Diarrhö auslöst, die im Rahmen eines akuten cholinergen Syndroms (Hemmung der Acetylcholin-Esterase) während bzw. kurz nach Applikation oder als sekretorische Diarrhö verzögert (häufig erst nach 5 Tagen) auftreten kann. Dementsprechend waren auch Neutropenie und Diarrhö häufige UAW bei Patienten, die mit Irinotecan behandelt wurden. Schwere Diarrhö war bei wöchentlicher Gabe der Chemotherapie bei knapp einem Drittel der Patienten Anlaß für zusätzliche stationäre Aufenthalte. Asthenie war neben Diarrhö die häufigste nicht-hämatologische UAW und trat bei > 40% der mit Irinotecan behandelten Patienten auf. Signifikante Unterschiede in der „Lebensqualität“ fanden sich in den verschiedenen Behandlungsgruppen jedoch nicht, da vermutlich das bessere Ansprechen auf Irinotecan den Nachteil der häufigeren UAW ausgeglichen hat.

Fazit: Die primäre Therapie bei metastasierten kolorektalen Karzinomen mit Irinotecan plus 5-Fluorouracil (5-FU) plus Folinsäure (FS) ist der bisherigen Standardtherapie mit 5-FU plus FS hinsichtlich Ansprechrate, progreßfreiem Überleben und Gesamtüberleben signifikant überlegen. Die Verlängerung des progeßfreien bzw. Gesamtüberlebens um 2-3 Monate bedeutet jedoch keinen Durchbruch und verteuert die Primärtherapie um etwa 4200 bis 5600 DM/Monat (Grundlage für die Berechnung: Behandlung eines Patienten mit 1,7 m2 Körperoberfläche, Preis für Campto entsprechend den Angaben in der Roten Liste 2000). Randomisierte Studien zum Stellenwert von Irinotecan in der adjuvanten Therapie kolorektaler Karzinome und zum Vergleich der Wirksamkeit von Irinotecan mit anderen neuen Substanzen (z.B. Oxaliplatin) bei fortgeschrittenen kolorektalen Karzinomen werden derzeit durchgeführt.

Literatur

1. Robert-Koch-Institut: http://www.rki.de/CHRON/KREBS
2. Laufman, L.R., et al.: J. Clin. Oncol. 1993, 11, 1888.
3. Rougier, P., et al.: Lancet 1998, 352, 1407.
4. Cunningham, D., et al.: Lancet 1998, 352, 1413.
5. Douillard, J.Y., et al.: Lancet 2000, 355, 1041.
6. Saltz, L.B., et al.: N. Engl. J. Med. 2000, 343, 905.

Abbildung 2000-86-1.gif