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Vergleich von Glibenclamid mit Insulin beim Gestationsdiabetes

Die Behandlung des Diabetes mellitus in der Schwangerschaft mit Sulfonylharnstoffen und Metformin ist weltweit tabu. Einerseits wird die teratogene Wirkung in den ersten Schwangerschaftsmonaten gefürchtet, andererseits der plazentare Transfer der Medikamente auf den Feten und die Erzeugung einer fetalen Hyperinsulinämie. Beim Gestationsdiabetes tritt die Hyperglykämie jedoch erst im zweiten oder dritten Trimenon auf, so daß bei Einnahme von Sulfonylharnstoffen nicht mehr mit einer embryotoxischen Wirkung gerechnet werden müßte. Frühere Untersuchungen hatten ergeben, daß z.B. Chlorpropamid, ein älteres Sulfonylharnstoff-Präparat, die Plazenta passiert und im Nabelschnurblut in ähnlich hoher Konzentration wie im mütterlichen Blut nachweisbar ist. B.D. Elliott et al. wiesen jedoch nach, daß in vitro, an der perfundierten, frisch ausgestoßenen Plazenta, Glibenclamid (Glyburid) die Plazentaschranke nicht passiert. Dies war die rationale Grundlage für die jetzt im N. Engl. J. Med. (2000, 243, 1134) von der gleichen Gruppe (Langer, O., et al.) publizierten Studie, in der die Behandlung des Gestationsdiabetes mit Insulin (Standardtherapie) oder Glibenclamid verglichen wurde. 404 Frauen mit Einlings-Schwangerschaften und Gestationsdiabetes (diagnostiziert aufgrund eines 50 g-Glukose-Screening-Tests und eines anschließenden 100 g-Glukose-Belastungs-Tests) wurden zwischen der 11. und 33. Schwangerschaftswoche in die Behandlungs-Arme Insulin oder Glibenclamid randomisiert. Die Nüchtern-Blutzuckerwerte mußten zwischen 95 und 140 mg/dl liegen; Frauen mit Nüchtern-Blutzuckerwerten < 95 mg/dl konnten später in die Studie aufgenommen werden, wenn ihre postprandialen Blutzuckerwerte > 120 mg/d waren. Als Diät wurde normgewichtigen Frauen 35 kcal/kg Körpergewicht empfohlen. Patientinnen mit einem Body-Mass-Index > 27,3 sollten nur 25 kcal/kg Körpergewicht essen. Der Kohlenhydratanteil der empfohlenen Diät betrug 40-45% am Kalorienwert. Alle Frauen mußten viermal am Tag den Blutzucker präprandial bzw. postprandial messen. Nach einer einwöchigen Vorperiode begann die Behandlung mit drei Injektionen Normal-Insulin vor den Mahlzeiten (initial 0,7 Einheiten/kg/d) oder mit Glibenclamid (initial 2,5 mg, danach, wenn nötig 5 mg, Maximaldosis 20 mg). Die Insulin-Dosis konnte je nach Bedarf gesteigert werden.

Die Ausgangswerte beider Gruppen, z.B. Alter, Körpergewicht, mittlere Nüchtern-Blutzucker oder mittlere Blutzucker im Ein- bis Drei-Stunden-Wert im 100 g-Glukose-Belastungs-Test waren in den beiden Gruppen gleich. Unter Therapie waren die Blutzuckerwerte nüchtern, präprandial mittags, postprandial und im Tagesdurchschnitt nicht signifikant verschieden. Der mittlere Blutzucker war unter Glibenclamid 105 ± 16 mg/dl, unter Insulin 105 ± 18 mg/dl. Allerdings waren diese Werte nur etwa um 10 mg/dl niedriger als die Tagesmittelwerte während der Testwoche vor Behandlungsbeginn. Hypoglykämien waren unter Glibenclamid etwas häufiger als unter Insulin. Acht Patientinnen aus der Glibenclamid-Gruppe (4%) mußten auf Insulin umgestellt werden. Zwölf Prozent der Neugeborenen in der Glibenclamid-Gruppe und 13% in der Insulin-Gruppe waren für das Gestationsalter zu groß. Sieben Prozent bzw. 4% der Neugeborenen wogen mehr als 4000 g. Lungenkomplikationen, postnatale Hypoglykämien und die Notwendigkeit von Intensivbehandlungen waren in beiden Gruppen nicht unterschiedlich. Die Zahl der fetalen Anomalien (2% in beiden Gruppen) war gleich und unterschied sich nicht von dem Prozentsatz bei nichtdiabetischen Müttern. Die Insulinkonzentration im Nabelschnurblut war in beiden Gruppen gleich, und Glibenclamid konnte in der entsprechenden Gruppe im Nabelschnurblut nicht nachgewiesen werden.

Die Frage, ob ein leichter Gestationsdiabetes bei häufiger Blutzuckermessung überhaupt nur mit Diät behandelt werden sollte, ist noch nicht definitiv entschieden. Das Problem der Diagnostik und Therapie des Gestationsdiabetes wird im gleichen Heft des N. Engl. J. Med. (2000, 343, 1178) auch in einem Editorial von M.F. Greene aus Boston dargestellt und diskutiert. Er beglückwünscht die Autoren zu dieser gut geplanten Studie, die konventionelle Überzeugungen überwindet und zeigt, daß eine Behandlung des Gestationsdiabetes zumindest mit diesem Sulfonylharnstoff ohne gesteigertes Risiko (im Vergleich mit einer Insulin-Therapie) möglich ist. Es darf aber nicht vergessen werden, daß Patientinnen mit schwererem Gestationsdiabetes (Nüchternblutzucker > 145 mg/dl) nicht in diese Studie eingeschlossen wurden. Es wurde auch nicht mitgeteilt, ob perinatal Umstellungen auf Insulin notwendig wurden. In der Streßsituation kurz vor und während einer Geburt erscheint es zumindest nicht ratsam, ein Sulfonylharnstoff-Präparat mit relativ langer Halbwertszeit zu verordnen.

Fazit: Die vorliegende Studie zeigt, daß bei sorgfältiger Auswahl der Patientinnen mit Gestationsdiabetes eine gut überwachte Therapie mit Glibenclamid zu ähnlich günstigen Ergebnissen führen kann wie eine Therapie mit Normalinsulin. Da die Patientinnen in dieser Studie wöchentlich von speziell geschulten Schwestern gesehen wurden, sollte man unter Normalbedingungen der Schwangerenberatung die Möglichkeit der Behandlung des Gestationsdiabetes mit Glibenclamid jedoch nicht auf die leichte Schulter nehmen und zunächst nur mit wenigen, genau überwachten Patientinnen diese Therapieform einüben, bevor man sie in größerem Maße anwendet.