Über eine bisher nicht beschriebene unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW), die in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Gabe des monoklonalen Antikörpers Rituximab (MabThera) aufgetreten war, berichteten kürzlich amerikanische Autoren (Sharma, V.R., et al.: Blood 2000, 96, 1184). Rituximab ist in Europa seit 1998 zur Behandlung chemotherapieresistenter oder rezidivierter follikulärer Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) zugelassen (vgl. AMB 2000, 34, 61b); hier wurde es zur Behandlung eines 45jährigen Patienten mit einem generalisierten follikulären NHL (Stadium IV) zusammen mit einer Polychemotherapie (Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednison; CHOP-Schema) eingesetzt. Nach 5 Zyklen dieser kombinierten Therapie, die zu einem sehr guten klinischen Ansprechen geführt hatte, trat eine schwere Anämie (Hämoglobin 7,3 g/dl) auf. Endoskopische Untersuchungen ergaben keine Hinweise für einen gastrointestinalen Blutverlust. Der korrigierte Retikulozyten-Wert betrug < 1%, und eine Untersuchung des Knochenmarks ergab eine "Pure red cell aplasia" (PRCA). Mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) konnte Parvovirus-B19-DNA im peripheren Blut nachgewiesen werden. Serologisch fanden sich keine Antikörper gegen Parvovirus B19. Nach wiederholter intravenöser Gabe von Immunglobulinen stieg der Hämoglobin-Wert an; er lag etwa 3 Monate nach Diagnose der PRCA bei 14,3 g/dl. Zu diesem Zeitpunkt war weiterhin Parvovirus-B19-DNA als Hinweis für eine chronische Parvovirus-Infektion nachweisbar. Eine Infektion mit Parvovirus B19 verläuft bei gesunden Personen meistens harmlos (Manifestationen: Ringelröteln bei Kindern und Jugendlichen, Polyarthropathie-Syndrom bei Erwachsenen). Bei Risikogruppen (nichtimmune Schwangere, Patienten mit erhöhtem Zellumsatz in der Erythropoese, z.B. hämolytische Anämien, immunsupprimierte Patienten) können jedoch schwere Störungen der Blutbildung, insbesondere der Erythropoese, auftreten. Als Antwort auf eine akute Infektion mit Parvovirus B19 bilden gesunde Personen innerhalb von 1-2 Wochen neutralisierende Antikörper und eliminieren dadurch das Virus. Patienten mit einem gestörten humoralen Immunsystem sind hierzu nicht in der Lage, und die persistierende chronische Infektion kann zu einer lang anhaltenden Hemmung der Erythropoese im Knochenmark (PRCA) führen. Obwohl andere Ursachen für eine Störung der humoralen Immunantwort (z.B. NHL, Polychemotherapie) bei dem oben beschriebenen Patienten nicht sicher ausgeschlossen werden konnten, ist vermutlich die Gabe von Rituximab, die zu einer länger anhaltenden Depletion von B-Lymphozyten führt, für den chronischen Verlauf der Parvovirus-Infektion mit PRCA verantwortlich. Fazit: Bei Patienten, die unter Therapie mit Rituximab eine Anämie entwickeln, sollte differentialdiagnostisch auch an eine „Pure red cell aplasia“ (PRCA) gedacht werden. Die Diagnose einer PRCA kann durch Nachweis von Parvovirus-B19-DNA mittels PCR, durch erniedrigten Retikulozyten-Wert und charakteristische morphologische Veränderungen im Knochenmark (Nachweis sog. Riesen-Proerythroblasten mit Fehlen reifer Vorstufen der Erythropoese) gesichert werden. Die Zufuhr neutralisierender Antikörper gegen Parvovirus B19 durch intravenöse Gabe von Immunglobulinen ist eine wirksame Therapie der PRCA, muß jedoch bei weiterhin bestehender Störung der humoralen Immunantwort regelmäßig wiederholt werden.