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Zyklooxygenase-2-selektive Inhibitoren in der Therapie der Arthrose und der Rheumatoiden Arthritis

Zusammenfassung: Die neuen COX-2-selektiven nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAID) Rofecoxib und Celecoxib sind wirksam in der Behandlung der Arthrose und der Rheumatoiden Arthritis, jedoch nicht effektiver als konventionelle NSAID. Klinisch relevante unerwünschte gastrointestinale Wirkungen, die unter einer unselektiven NSAID-Therapie bei 3-4% der Patienten auftreten, werden um ca. 50% reduziert. In Anbetracht der vier- bis neunfach höheren Therapiekosten und der fehlenden Langzeiterfahrungen sollten z.Zt. vorwiegend Patienten mit erhöhtem Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen mit diesen neuen Medikamenten therapiert werden (Alter > 65 Jahre, Magenanamnese, gleichzeitige Glukokortikoid-Therapie, Blutungsneigung). Eine begleitende Behandlung mit Azetylsalizylsäure in niedriger Dosierung, z.B. aus kardialer Indikation, kann unter der Gabe von COX-2-selektiven Inhibitoren fortgeführt werden. Unerwünschte renale, hepatische und dyspeptische Wirkungen der NSAID sind unter den neuen Substanzen wahrscheinlich nicht seltener.

Die Rolle von Zyklooxygenasen in der Bildung von Prostaglandinen: Prostaglandine werden aus Arachidonsäure durch das Enzym Zyklooxygenase (COX) gebildet. Erst im letzten Jahrzehnt wurden zwei Isoformen der COX entdeckt, COX-1 und COX-2 (s.a. AMB 1999, 33, 1). COX-1 ist vorwiegend konstitutiv in verschiedenen Organen exprimiert, während COX-2 durch Entzündungen induziert wird und nur in geringem Maße in anderen Organen konstitutiv gefunden wird. Die im Magen und in der Niere durch COX-1 gebildeten Prostaglandine schützen die Magenschleimhaut vor Läsionen bzw. regulieren die Nierendurchblutung und den Wasser- und Elektrolyt-Haushalt. Außerdem ist COX-1 auch für die Produktion eines verwandten Prostaglandins, des Thromboxan A2, verantwortlich, das die Thrombozytenaggregation stimuliert und dadurch die normale Hämostase aufrecht erhält. Die bisher verwendeten NSAID hemmen beide Isoformen der COX. Somit wird der gewünschte therapeutische Effekt, die Hemmung der COX-2 (Unterdrückung von Entzündung und Schmerzen), von einem unerwünschten Effekt begleitet, der gleichzeitigen Hemmung der COX-1 (1). Bei den unerwünschten Wirkungen handelt es sich in erster Linie um die Schädigung der Magenmukosa. Seit diesem Jahr sind zwei hochselektive COX-spezifische Inhibitoren auf dem deutschen Markt, Rofecoxib (Vioxx) und Celecoxib (Celebrex).

COX-1 und COX-2 unterscheiden sich in einer wichtigen Aminosäure-Position: Isoleuzin im COX-1-Molekül ist in COX-2 durch Valin ersetzt. Diese Veränderung ergibt eine Seitentasche im COX-2-Molekül, an welche die neuen COX-2-selektiven Inhibitoren binden, ohne einen Effekt auf die COX-1 auszuüben. In-vitro-Untersuchungen mit diesen beiden Substanzen ergaben in der Tat eine hochselektive Hemmung von COX-2 im Vergleich zu konventionellen NSAID (Übersicht bei 1, 2).

Effektivität COX-2-selektiver Inhibitoren in der Therapie von Arthrose und Rheumatoider Arthritis: Zur Zeit gibt es die meisten Daten zur Therapie der Arthrose. Hier konnte in verschiedenen Untersuchungen gezeigt werden, daß Linderung der Schmerzen oder Verbesserung der Gelenkfunktion sowohl durch Rofecoxib (12,5-25 mg einmal tägl.; 3) als auch durch Celecoxib (100-200 mg ein- bis zweimal tägl.; 4) erzielt werden kann. Die Wirksamkeit ist etwa gleich wie die nichtselektiver NSAID. Für diese Indikationen und Dosierungen sind beide Medikamente seit diesem Jahr in Deutschland zugelassen. Es liegen auch erste Studien zur Wirksamkeit bei Rheumatoider Arthritis vor. Celecoxib (Dosierung 2 mal 200 mg/d; 5, 6) war etwa gleich wirksam wie die NSAID Naproxen oder Diclofenac in äquivalenten Dosen. Zur Zeit ist nur Celecoxib für die Indikation Rheumatoide Arthritis zugelassen. Die klinische Wirksamkeit von Rofecoxib bei Rheumatoider Arthritis konnte in einer placebokontrollierten Studie in einer Dosis von 25 mg/d und 50 mg/d nachgewiesen werden (7). Zur Zeit gibt es allerdings noch keine publizierten Untersuchungen zum Wirksamkeitsvergleich mit konventionellen NSAID. In einer nicht publizierten Studie (VIGOR-Studie, s. unten) fand sich eine gleiche Wirksamkeit wie mit 2 mal 500 mg Naproxen/d.

Häufigkeit gastrointestinaler Nebenwirkungen unter Therapie mit COX-2-selektiven Inhibitoren: Bei ähnlicher therapeutischer Effektivität der COX-2-selektiven Inhibitoren im Vergleich mit nicht selektiven NSAID ist die entscheidende Frage, ob es im klinischen Alltag auch gelingt, die unerwünschten Wirkungen der NSAID zu verhindern oder zu reduzieren. Die gastrointestinale Toxizität ist bei dem häufigen Einsatz der NSAID ein erhebliches Problem. Erst kürzlich wurden für die USA 16500 Todesfälle/Jahr als Folge von NSAID-Behandlungen berechnet (8). In den ersten Studien mit endoskopischen Kontrolluntersuchungen wurde eine Inzidenz von Ulzera oder Erosionen von ca. 5% sowohl unter Celecoxib als unter Rofecoxib gefunden; dies entspricht ungefähr der Inzidenz bei einer Plazebo-Therapie. Bei Behandlung mit konventionellen NSAID wurden dagegen Magenulzera deutlich häufiger, nämlich bei 15-25% der Patienten nachgewiesen (5, 6, 9). Da Magenulzera jedoch häufig asymptomatisch sind, stellt sich die Frage, ob COX-2-selektive Inhibitoren auch wirklich klinisch relevante Nebenwirkungen am Magen reduzieren.

In einer nunmehr fünf Jahre alten Studie an 8843 Patienten mit Rheumatoider Arthritis, in der die Wirksamkeit einer Misoprostol-Prophylaxe NSAID-bedingter gastrointestinaler Nebenwirkungen untersucht wurde, fiel bereits auf, daß gastrointestinale Komplikationen (Blutung, Perforation) bei nur 1% der Patienten unter einer sechsmonatigen NSAID-Therapie ohne Misoprostol auftraten (10). Bei Risikopatienten (Alter > 75 Jahre, Magenanamnese) war der Prozentsatz jedoch deutlich höher (ca. 5%). In einer weiteren Veröffentlichung, in der auch verschiedene Studien mit COX-2-selektiven Inhibitoren berücksichtigt wurden, betrug die Häufigkeit symptomatischer gastrointestinaler Komplikationen (symptomatische Ulzera, Blutung, Perforation) unter konventioneller NSAID-Therapie 2,6%, unter einer COX-2-selektiven Behandlung 1,3% (11).

Die bisher umfangreichsten Ergebnisse zu dieser Frage wurden im Juni dieses Jahres auf dem Europäischen Kongreß für Rheumatologie in Nizza, Frankreich, vorgestellt. In der sogenannten VIGOR-Studie erhielten 8076 Patienten mit Rheumatoider Arthritis im Mittel 9 Monate lang entweder 50 mg Rofecoxib einmal täglich oder 500 mg Naproxen zweimal täglich (12). Im Gegensatz zu früheren Studien wurde in dieser Untersuchung nur nach ernsten gastrointestinalen Nebenwirkungen wie Perforation, Blutung und Obstruktion gefragt und außerdem zusätzlich nach klinisch relevanten Magenulzera. Zu ernsten Komplikationen kam es bei 1,4% der Patienten in der Naproxen-Gruppe, jedoch nur bei 0,6% unter Rofecoxib. Wurden symptomatische Magenulzera hinzugezählt, betrug die Häufigkeit der Nebenwirkungen unter Naproxen 4,5% und 2,1% in der Rofecoxib-Gruppe. Dies ist eine Reduktion klinisch relevanter gastrointestinaler Nebenwirkungen um 54-62%. Todesfälle, speziell gastrointestinal bedingte, waren in den beiden Gruppen gleich häufig. Auch bei Patienten mit erhöhtem Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen (Magenanamnese, begleitende Therapie mit Glukokortikoiden und/oder Alter > 65 Jahre) waren klinisch relevante Nebenwirkungen in der Rofecoxib-Gruppe um ca. 50% seltener.

In der CLASS-Studie (13) wurden 4000 Patienten mit 2 mal 400 mg Celecoxib/d, 2000 Patienten mit 3 mal 800 mg Ibuprofen/d und weitere 2000 Patienten mit 2 mal 75 mg Diclofenac/d behandelt. In diese Studie wurden sowohl Patienten mit Arthrose (72%) als auch mit Rheumatoider Arthritis (28%) eingeschlossen. Die Endpunkte waren ähnlich wie die in der VIGOR-Studie, nämlich Blutung, Perforation und Obstruktion plus symptomatische Ulzera. Ernste Magenkomplikationen traten in der Gruppe mit konventionellen NSAID bei 1,5% und in der Celecoxib-Gruppe bei 0,5% der Patienten auf. Zählt man die symptomatischen Magenulzera hinzu, kam es unter konventioneller NSAID-Therapie bei 3% und unter Celecoxib-Therapie bei 1,2% der Patienten zu klinisch relevanten Nebenwirkungen. Die Zahl der Todesfälle war in allen drei Gruppen nicht unterschiedlich. Das gleiche gilt für das unspezifische Symptom Dyspepsie. Sowohl in der VIGOR- als auch in der CLASS-Studie wurden keine endoskopischen Untersuchungen durchgeführt.

Kardiovaskuläre Nebenwirkungen: Überraschend kam es in der VIGOR-Studie unter Rofecoxib häufiger zu Myokardinfarkten im Vergleich zur Therapie mit Naproxen (0,4% vs. 0,1%); in der Zahl kardiovaskulärer Todesfälle gab es jedoch keinen Unterschied. Es muß allerdings bedacht werden, daß in dieser Studie die gleichzeitige Einnahme von Azetylsalizylsäure (ASS) aus kardiovaskulären Indikationen nicht erlaubt war. Am ehesten kann man diese Ergebnisse dahingehend interpretieren, daß Naproxen möglicherweise die Aggregation von Thrombozyten hemmt. In der CLASS-Studie, in der die gleichzeitige Einnahme von ASS in niedriger Dosis erlaubt war, fanden sich keine Unterschiede bezüglich kardiovaskulärer Nebenwirkungen.

Renale, hepatische und andere unerwünschte Wirkungen: Sowohl in der VIGOR- als auch in der CLASS-Studie fanden sich keine signifikanten Unterschiede in der Häufigkeit unerwünschter renaler oder hepatischer Wirkungen unter der Therapie mit COX-2-selektiven bzw. konventionellen NSAID. Jedoch sind beide Substanzen zu kurz in Erprobung, um endgültige Aussagen über das gesamte Nebenwirkungspotential zu machen. Insbesondere auf dermatologische und hämatologische Nebenwirkungen ist zu achten. Wechselwirkungen mit anderen Pharmaka, die über Zytochrom P450 metabolisiert werden, sind zu erwarten, da Celecoxib verschiedene Enzyme des Zytochrom-P450-Systems hemmt.

Mögliche weitere Indikationen: COX-2-selektive Inhibitoren könnten zukünftig auch eine Rolle spielen in der Therapie der Polyposis coli (14) und der Alzheimerschen Krankheit (2). Es bleiben jedoch weitere Studien abzuwarten.

Sind NSAID effektiver als Paracetamol in der Behandlung von Arthrosen? Zur Behandlung von Arthritiden ist der antiphlogistische Effekt der NSAID notwendig und eine reine Analgesie nicht ausreichend, sondern allenfalls als additive Therapie zu erwägen. Bei der Behandlung von Arthrosen ist die Situation nicht so eindeutig. Wegen der geringen Nebenwirkungsrate und der niedrigeren Kosten wäre das Analgetikum Paracetamol den NSAID vorzuziehen, falls es gleich effektiv ist. Eine frühere Studie fand keinen Unterschied in der Wirkung von Paracetamol und dem NSAID Ibuprofen bei Arthrosen (15). In zwei neueren Untersuchungen empfanden ca. 70% der befragten Arthrosepatienten NSAID effektiver als Paracetamol, dagegen nur ca. 20% Paracetamol wirksamer (16, 17). Darüber hinaus gibt es Hinweise dafür, daß NSAID nicht nur symptomatisch wirken, sondern auch die Knorpelzerstörung bei Arthrose aufhalten können (18). Dies ist z. Zt. aber noch nicht ausreichend gut durch klinische Studien belegt. Ein Analgetikum wie Paracetamol hat deshalb weiterhin einen Wert in der Therapie von Arthrosen, wenn es individuell ausreichend schmerzlindernd wirkt und die Bewegungsfähigkeit bessert.

Kosten: Die Behandlung mit Celecoxib und Rofecoxib ist – verglichen mit dem herkömmlichen NSAID Diclofenac – bis zu neunmal teurer (s. Tab. 1).

Literatur

1. Hawkey, C.J.: Lancet. 1999, 353, 307.
2. Brune, K., et al.: Dt. Ärzteblatt 2000, 97, A-1818.
3. Cannon, G.W., et al.: Arthritis Rheum. 2000, 43, 978.
4. Bensen, W.G., et al.: Mayo Clin. Proc. 1999, 74, 1095.
5. Simon, L.S., et al.: JAMA 1999, 282, 1921.
6. Emery, P., et al.: Lancet 1999, 354, 2106.
7. Schnitzer, T.J., et al.: Clin. Ther. 1999, 21, 1688.
8. Wolfe, M.M., et al.: N. Engl. J. Med. 1999, 340, 1888.
9. Hawkey, C., et al.: Arthritis Rheum. 2000, 43, 370.
10. Silverstein, F.E., et al.: Ann. Intern. Med. 1995, 123, 241.
11. Langman, M.J., et al.: JAMA 1999, 282, 1929.
12. Bombardier, C.: Vioxx Gastrointestinal Outcome Research (VIGOR). Präsentation beim Annual European Congress of Rheumatology, Juni 2000, Nizza.
13. Simon, L.: The Celecoxib Long-term Arthritis Safety Study (CLASS). Präsentation beim Annual European Congress of Rheumatology, Juni 2000, Nizza.
14. Steinbach, G., et al.: N. Engl. J. Med. 2000, 342, 1946.
15. Bradley, J.D., et al.: N. Engl. J. Med. 1991, 325, 87.
16. Wolfe, F., et al.: Arthritis Rheum. 2000, 43, 378.
17. Pincus, T., et al.: J. Rheumatol. 2000, 27, 1020.
18. Pelletier, J.P.: Osteoarthritis Cartilage 1999, 7, 374.

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