Dr. E.S. aus B. schreibt (gekürzt): >> Das Referat (AMB 2000, 34, 23b) bezieht sich auf eine Publikation von R.B. Forbes et al. (Brit. Med. J.1999, 319, 1529). Die Autoren folgerten, daß die Behandlung der sekundär progredienten Multiplen Sklerose mit Interferon beta-1b (INF beta-1b) wegen der hohen Kosten und der geringen klinischen Effekte nicht sinnvoll und vertretbar sei und daher möglichst nicht durchgeführt werden sollte. Die Studie, die eine Kosten/Nutzwert-Analyse sein soll, wird diesem definierten methodischen Anspruch in keinem Aspekt gerecht. Kosten auf die Vermeidung von einzelnen Ereignissen zu beziehen eignet sich bei kurzfristigen oder auch monosymptomatischen Erkrankungen. Der Komplexität der multiplen Sklerose wird sie nicht gerecht …
Die zentrale Schwäche der Publikation ist, daß keinerlei Ansatz entwickelt wurde, die Progression über den Zeitverlauf zu modellieren. Für eine komplexe Größe wie das qualitätsadjustierte Lebensjahr ist es unverzichtbar, den Verlauf der Erkrankung über die Zeit zu simulieren und die Auswirkungen von Schüben auf die Lebensqualität und die Kosten zu berücksichtigen …
Sie erreichen mit Ihrem Referat nur eines: Schlecht vorgebildete und politisch unfähige Sachbearbeiter von Krankenkassen werden Ihren Artikel zur Hand nehmen und die Therapie mit dieser Substanz aus rein ökonomischen Gründen ablehnen. << Antwort: >> Ihre Kritik an der Methodik ist durchaus gerechtfertigt. Insbesondere Aspekte der Verzögerung der Krankheitsprogression gehen nicht ein und Effekte, die sich außerhalb des untersuchten Zeitfensters bemerkbar machen, werden ebenso vernachlässigt. Die Studie von Forbes et al. hat die Kosten pro Lebensjahr qualitätsadjustiert untersucht, nicht die Kosten bezogen auf die Verzögerung der Krankheitsprogression. Die Effektivität der Behandlung wird von den Autoren nicht in Frage gestellt. Leider ist die Wirkung von INF beta-1b jedoch nur partiell. Eine Verbesserung der Lebensqualität läßt sich auch durch konsequente rehabilitative Maßnahmen und symptomatische Behandlungen erreichen. Durch die Budgetierung im Gesundheitswesen werden solche durchaus sinnvollen Maßnahmen zunehmend vernachlässigt. Für den Patienten wäre es wünschenswert, sowohl die Krankheitsaktivität unterdrückende Therapie durch INF beta-1b als auch rehabilitative symptomatische Behandlungen gezielt einzusetzen.
Es ist richtig, das vergleichbare Publikationen mit der Schlußfolgerung, daß eine erwiesenermaßen effektive Therapie ein nicht tolerables Kosten/Nutzen-Verhältnis hat, überwiegend aus Großbritannien kommen. Das Argument, daß der Effekt der IFN-beta-1b-Therapie bei der Multiplen Sklerose nur gering ist, muß akzeptiert werden. Es ist daher eine ethische Frage, ob eine solche Behandlung generell empfohlen werden soll. Im Gegensatz zu Großbritannien wurde IFN beta-1b in Deutschland zur Behandlung der Multiplen Sklerose zugelassen, sie steht prinzipiell für jeden Patienten zur Verfügung. Bei knappen Kassen im Gesundheitswesen wird aber auch in Deutschland eine Diskussion über die Verteilung der vorhandenen finanziellen Ressourcen nicht ausbleiben. Dies gilt auch für andere Erkrankungen, bei denen infolge hoher Kosten eine „Unterversorgung“ festzustellen ist, wie z.B. bei chronischer Hepatitis oder Immunschwäche. Die Entscheidung über eine eventuelle Beschränkung von Therapien, d.h. eine schärfere Indikationsstellung, muß auf einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens gegründet werden. <<