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Leserbrief: Ginkgo-biloba-Extrakte zur Behandlung der Alzheimer-Demenz?

Frage von Dr. D.L. aus Eckernförde: >> Die Alzheimersche Erkrankung ist seit Jahren im Vordergrund des öffentlichen Interesses. In verschiedenen Publikationen, zum Beispiel in einem Sonderdruck der Zeitschrift „Fortschritte der Medizin“ aus dem Jahr 1999, werden Ginkgo-Extrakte den Acetylcholinesterase-Hemmern gleichgestellt. Es wird auch argumentiert, daß die Therapiekosten wesentlich günstiger sind. Stimmt die Einschätzung, daß Ginkgo-Extrakte in der Wirksamkeit den Cholinesterase-Hemmern entsprechen? << Antwort: >> Wir hatten kürzlich auf die umstrittene Wirksamkeit von Ginkgo-Präparaten, der 1998 in Deutschland verordnungsstärksten Gruppe der Antidementiva (Umsatz ca. 290 Mio. DM; 1), im Zusammenhang mit einer holländischen Studie hingewiesen (vgl.AMB 2000, 34, 95b), die keinen Wirkungsunterschied zwischen einem speziellen Ginkgo-Extrakt (EGb 761, Tebonin) und Plazebo bei älteren Patienten mit milden bis mittelstarken Gedächtnisstörungen ergeben hatte (2). Auch die in diesem Jahr publizierten Empfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ; 3) und eine evidenzbasierte Übersichtsarbeit der „American Academy of Neurology“ (4) zur Therapie der Demenz betonen, daß im Unterschied zu Acetylcholinesterase-Hemmern keine Studienergebnisse vorliegen, die eindeutig für eine günstige Wirkung von Ginkgo-biloba-Präparaten bei Demenz sprechen. Für einen Wirksamkeitsnachweis werden heute, entsprechend den Leitlinien der Europäischen Union zur klinischen Prüfung von Antidementiva, eine Besserung der Symptomatik auf mindestens zwei der folgenden Ebenen gefordert: 1. kognitive Ebene; 2. funktionale Ebene; 3. globale Ebene (klinischer Gesamteindruck). Die Therapieempfehlungen der AkdÄ berücksichtigen u.a. 3 methodisch aktuelle, plazebokontrollierte Studien bei Patienten mit M. Alzheimer, vaskulärer Demenz oder altersbedingten Gedächtnisstörungen, in denen Patienten mit EGb 761 behandelt wurden (2, 5, 6). Obwohl zwei dieser Studien eine Besserung kognitiver Defizite durch EGb 761 beobachteten (5, 6), bedarf die klinische Bedeutung dieses Befundes noch weiterer Klärung, da in diesen Studien z.T. wichtige Parameter hinsichtlich der Beeinflussung der Alltagsaktivität (funktionale Ebene) und des klinischen Gesamteindrucks nicht analysiert wurden. Die von unserem Leser erwähnte Publikation in der Zeitschrift „Fortschritte der Medizin“ (7) hatte die Wirksamkeit von 4 Cholinesterase-Hemmern bzw. EGb 761 anhand der Auswertung von insgesamt 6 randomisierten, plazebokontrollierten Studien bei Patienten mit Alzheimer-Krankheit analysiert. Ein direkter Vergleich zwischen beiden Wirkstoffgruppen (Acetylcholinesterase-Hemmer, Ginkgo-biloba-Extrakte) war in diesen Studien jedoch nicht erfolgt. Das Fazit dieser Publikation – „mit EGb 761 und Cholinesterase-Hemmern wurden gleichartige Verzögerungen der Progression der Krankheitssymptomatik und ähnliche Responderraten erzielt“ – basiert deshalb auch nicht auf entsprechender Evidenz aus klinischen Studien (7). Der Autor betont zu Recht in seinem „Fazit für die Praxis“, daß „die statistische Äquivalenz oder das Bestehen von Unterschieden damit (beim Vergleich von Studien, Anmerkung der Redaktion) weder belegt noch ausgeschlossen ist“. In diesem Zusammenhang sei auch daran erinnert, daß bei oraler Gabe von Ginkgo-biloba-Extrakten unerwünschte Arzneimittelwirkungen, wenn auch selten, auftreten können. Auf Grund der antagonistischen Wirkung von Ginkgo-biloba-Extrakten auf den Plättchen-aktivierenden Faktor (PAF) und der sehr seltenen Berichte über Blutungen ist insbesondere Vorsicht geboten bei Patienten mit hämorrhagischer Diathese, peptischen Ulzera oder solchen, die Plättchenaggregations-Hemmer bzw. Antikoagulanzien erhalten (3). <<

Literatur

1. Arzneiverordnungs-Report 1999. Hrsg.: U. Schwabe und D. Paffrath. Springer, Berlin, Heidelberg 2000.
2. van Dongen, M.C., et al.: J. Am. Geriatr. Soc. 2000, 48, 1183.
3. Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Demenz, 2. Auflage, 2001 ( www.akdae.de)
4. Doody, R.S., et al.: Neurology 2001, 56, 1154.
5. Kanowski, S., et al.: Pharmacopsychiatry 1996, 29, 47.
6. Le Bars, P.L., et al.: JAMA 1997, 278, 1327.
7. Wettstein, A.: Fortschritte der Medizin 1999, 117, 48.