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Wirksamkeit und Sicherheit der Thiazolidindione (Glitazone) in der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2

Zusammenfassung: Die meisten bisherigen Studien mit Glitazonen sind Kurzzeituntersuchungen über 6 Monate im Vergleich mit Plazebo. Dafür mußten Typ-2-Diabetiker ihre bisherige Medikation absetzen. Dies ist ein hinsichtlich der Kontroll-Gruppe wissenschaftlich und ethisch fragwürdiges Vorgehen. Hinsichtlich einer möglichen Beeinflussung mikro- und makrovaskulärer Komplikationen, Letalität, „Lebensqualität“ und Kosten gibt es zur Zeit keine ausreichenden Informationen, so daß sich die Frage nach dem Sinn der Anwendung von Glitazonen stellt (16). Die Langzeitsicherheit dieser ubiquitär im Körper wirkenden Substanzen ist ungeklärt. Gleichzeitig bestehen Risiken für UAW: Ödeme, Gewichtszunahme, Anämie, Erhöhung des LDL-Cholesterins. Berichte über Leberschäden liegen ebenfalls vor. Die Behandlung mit Glitazonen ist darüber hinaus kostenintensiv; hinzu kommen die Kosten des Sicherheits-Monitorings. Eine Gesamtbewertung von Nutzen, Risiken und Kosten einer Therapie des Typ-2-Diabetes mellitus mit den derzeit zugelassenen Thiazolidindionen Pioglitazon und Rosiglitazon kann zur Zeit nur ungünstig ausfallen.

Einleitung: Wegen zunehmender Prävalenz (derzeit etwa 5%) und einem Anteil von 10-15% an den Gesamt-Gesundheitskosten ist der Diabetes mellitus Typ 2 ein großes Problem für das öffentliche Gesundheitswesen. Das größte Risiko bei Typ-2-Diabetikern sind die Folgen der Makroangiopathie, wie z.B. Myokardinfarkt, Schlaganfall, Nephropathie und periphere arterielle Durchblutungsstörungen. Die meisten Typ-2-Diabetiker sind beim Stellen der Diagnose bereits über 65 Jahre alt.

Referenzstandard für die medikamentöse Therapie beim Typ 2 Diabetes mellitus sind insbesondere die Ergebnisse der inzwischen in über 50 Publikationen verbreiteten UKPDS-Studie, in der eine intensivierte mit einer weniger intensiven antidiabetischen und antihypertensiven Therapie verglichen wurde (s.a. AMB 1995, 29, 29; 1996, 30, 81; und 96). In diesen Studien wurden vor allem jüngere Typ-2-Diabetiker (durchschnittliches Alter bei Manifestation des Diabetes 53 Jahre) ohne manifeste Koronarerkrankung 10 Jahre lang prospektiv untersucht. Durch die intensivierte antidiabetische Therapie ließen sich vor allem mikroangiopathische Folgeschäden verringern. Von 100 Patienten, die sich 10 Jahre lang mit Erfolg bemüht hatten, den HbA1C-Wert um etwa 1% niedriger zu halten als die Kontrollen, hatten 97 allerdings keinen Nutzen im Hinblick auf mikroangiopathische Folgeschäden (1). Makroangiopathische Schäden konnten durch diese Therapie nicht verhindert werden.

Jede medikamentöse Intervention beim Typ-2-Diabetes mellitus sollte sich nicht nur an den Ergebnissen der UKPDS orientieren, sondern auch patientenbezogene Parameter (u.a. Letalität, Morbidität, „Lebensqualität“, sorgfältige Erfassung unerwünschter Arzneimittelwirkungen, ökonomische Auswirkungen) berücksichtigen.

Die Gruppe der Thiazolidindione oder Glitazone, z.B. Rosiglitazon (Avandia) und Pioglitazon (Actos), ist eine der wenigen pharmakologischen Neuerungen der letzten Jahrzehnte innerhalb der Diabetologie. Allerdings mußte Troglitazon (Romozin) wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) bereits wieder vom Markt genommen werden. Der bis dato nicht vollständig geklärte Wirkmechanismus wird auf eine Stimulation des PPAg-Rezeptors (PPAR = Peroxisomal proliferator-activated receptor) zurückgeführt. Dieser ist Teil der nukleären Hormonrezeptor-Familie, wobei die PPAR-Gruppe aus mehreren Unterfraktionen (a, g, d) besteht. Für die Arzneimittelsicherheit bei eventuell lebenslanger Einnahme einer diese Rezeptoren stimulierenden Substanz ist wichtig, daß PPARg ubiquitär in menschlichen Geweben, vor allem aber im Fettgewebe, exprimiert wird. Die Glitazone aktivieren PPARg, was zu einer Steigerung der Synthese von Transkriptionsfaktoren der Adipozyten-Differenzierung und des Lipid- sowie des Glukose-Metabolismus führt. Es resultiert eine vermehrte Glukoseaufnahme und -utilisation in den peripheren Geweben, die schließlich die Insulinsensitivität („Insulinrezeptor-Sensitizer“) erhöhen soll. Weiterhin sind immunmodulatorische sowie antiproliferative und die Apoptose fördernde Wirkungen der Glitazone bekannt.

Zulassungssituation: Rosiglitazon und Pioglitazon sind seit Juli bzw. November 2000 in Deutschland im Handel. Die Zulassungssituation für die Thiazolidindione erscheint weltweit unübersichtlich und widersprüchlich (2):

In Europa sind Rosiglitazon und Pioglitazon nur für die orale Behandlung des Typ-2-Diabetes mellitus in Kombination mit Metformin bzw. Sulfonylharnstoffen zugelassen, in den USA hingegen auch als Monotherapie. Pioglitazon, nicht jedoch Rosiglitazon, darf in den USA mit Insulin kombiniert werden; eine Kombinationstherapie mit Insulin gilt bei uns für beide Glitazone als Kontraindikation (17).

Publizierte Studien: Zur Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses der beiden zur Zeit zugelassenen Glitazone sollten ausschließlich in wissenschaftlichen Zeitschriften publizierte Daten herangezogen werden. Sowohl von Rosiglitazon als auch von Pioglitazon existieren viele Publikationen in Form von Abstracts, die jedoch keinem adäquaten Peer-review-Verfahren unterzogen wurden und deshalb hier keine Berücksichtigung finden können. Zudem ist bekannt, daß ein erheblicher Prozentsatz der auf Kongressen vorgelegten Abstracts unvollständige oder falsche Daten enthält und häufig nicht publiziert wird.

Zu Rosiglitazon liegen derzeit 14 klinische Studien vor. Sechs davon sind als pharmakologische bzw. -dynamische Studien angelegt, 8 Untersuchungen (3-10) widmen sich der eigentlichen klinischen Wirksamkeit. Von Pioglitazon sind 5 in englischer Sprache publizierte klinische Wirksamkeitsstudien bekannt (11-15), 8 weitere Publikationen existieren auf Japanisch. Sie können bei den folgenden Betrachtungen aufgrund unzureichender Informationslage nicht berücksichtigt werden.

Getestete Dosierungen: Unter kontrollierten Studienbedingungen wurden in den bisher publizierten Studien insgesamt 2689 Typ-2-Diabetiker mit Rosiglitazon bzw. 544 mit Pioglitazon behandelt. Eine Kombination mit Metformin erfolgte bei 232 mit Rosiglitazon bzw. bei 168 mit Pioglitazon behandelten Patienten. Rosiglitazon bzw. Pioglitazon wurde bei 382 bzw. 30 Typ-2-Diabetikern zusammen mit Sulfonylharnstoffen verabreicht. Eine Pioglitazon-Monotherapie erfolgte bei 344 Patienten, eine Kombination von Insulin plus Rosiglitazon bei 209 Typ-2-Diabetikern.

Rosiglitazon wurde in sehr unterschiedlichen Dosierungen getestet (0,05 mg bis maximal 12 mg). Die am besten untersuchten Dosen sind 4 und 8 mg. Pioglitazon wurde in Tagesdosen zwischen 7,5-45 mg verabreicht; die meisten Patienten wurden mit 30 mg behandelt.

Ein- und Ausschlußkriterien: Als Einschlußkriterien wurden neben einem gesicherten Typ-2-Diabetes mellitus einigermaßen stabile Blutzuckerwerte sowie ein nicht morbiditätsfördernder Body mass index, ein Altersbereich von 30-80 Jahren sowie bei bereits laufenden Kombinationstherapien stabile Dosen des jeweiligen Antidiabetikums verlangt. Als Ausschlußkriterien galten meist: Herzinsuffizienz und Angina pectoris sowie andere relevante Herzerkrankungen; signifikante renale, hepatische oder hämatologische Erkrankungen (vor allem Anämien); Insulintherapie (außer in einer Studie mit Rosiglitazon), Diabeteskomplikationen und hier insbesondere symptomatische diabetische Polyneuropathie sowie Ketoazidose; Schwangerschaft, Stillzeit und Empfängnismöglichkeit (durchaus nicht in allen Studien erwähnt) und pathologische Laborbefunde, vor allem Erhöhung der Transaminasen.

Design und Qualität der Studien: Tab. 1 gibt Aufschluß über einzelne Aspekte der Publikationen. Alle Studien waren randomisiert und kontrolliert, die meisten auch doppeltblind. In keiner Studie wurden die Blindbedingungen überprüft. Lediglich in einer Studie (Rosiglitazon) wurde ein übersichtliches Flußschema der Ein- und Abgänge der Patienten nach den Forderungen der CONSORT-Richtlinien (s. AMB 2001, 35, 46) geliefert. Die „Drop-out-Quoten“ lagen bei Rosiglitazon zwischen 10% und 32%, bei Pioglitazon zwischen 9% und 58%. Erstaunlich ist, daß praktisch nie eine Analyse der statistischen Aussagekraft („Power“) bzw. eine Abschätzung der notwendigen Fallzahl erfolgte. Mangelnde Aussagekraft durch eine von Anfang an zu kleine Patientenzahl ist somit nicht auszuschließen. Alle Rosiglitazon- und 3 Pioglitazon-Studien wurden durch den Hersteller gesponsort; bei 3 Publikationen fanden sich Hinweise, daß einige Autoren Aktien der Herstellerfirma besaßen.

„Run-in-Phasen“ und Basisdaten: In den meisten Untersuchungen gab es vor der eigentlichen Randomisierung zur Etablierung der Compliance und zur Standardisierung der Eingangsbedingungen „Run-in-Phasen“ von bis zu 2 Monaten. In dieser Zeit wurde meist einfachblind ein Plazebo verabreicht, und gleichzeitig wurden die oralen Antidiabetika abgesetzt. Weiterhin wurden eine gewichtsstabilisierende Diät verordnet bzw. die Patienten diätetisch beraten. In einer Metformin-Kombination-Studie wurde die Metformin-Dosis auf 2,5 g/d festgelegt und 4 bzw. 8 mg Rosiglitazon/d 26 Wochen lang gegeben (3). In der Insulin-Rosiglitazon-Kombinations-Studie wurde ebenfalls eine Standardisierung der Insulindosis angestrebt, die im weiteren Verlauf der Untersuchung möglichst konstant gehalten wurde, abgesehen von notwendigen Adaptationen, z.B. bei Hypoglykämien (8).

Die Daten zu Beginn der Studien, soweit sich diese den Publikationen entnehmen lassen, waren wie folgt: Überwiegend wurden Männer mit Typ-2-Diabetes mellitus behandelt; das Durchschnittsalter lag bei 54-63 Jahren. Die mittlere Diabetesdauer betrug 5-12 Jahre in den Rosiglitazon- und 12-16 Jahre in den Pioglitazon-Studien. Die HbA1C-Werte der Rosiglitazon-Patienten betrugen 8,8%-9,2% (Pioglitazon: 7,6%-10,3%) und die Nüchtern-Blutzuckerwerte 180-229 mg/dl (Pioglitazon: 141-276 mg/dl). Der Body mass index betrug im Mittel 28-30 in den Rosiglitazon- bzw. 22-32 in den Pioglitazon-Studien; somit war also ein Großteil der Patienten übergewichtig. Eine vorherige orale antidiabetische Therapie erfolgte bei bis zu 70% der Patienten; bei Rosiglitazon-Patienten wurde diese zu 6-50% mehrfach kombiniert. Die meistbenutzen Sulfonylharnstoffe waren Gliclazid (z.B. Diamicron) und Glibenclamid (z.B. Euglucon).

Untersuchte Wirksamkeitsparameter: In den Publikationen wurden viele Wirksamkeits- und Sicherheitsparameter untersucht, insbesondere: HbA1C, Fructosamin und Nüchtern-Blutzucker, Insulinresistenz, Nüchtern-Insulin, C-Peptid, freie Fettsäuren und Insulindosis (eine Studie), Lipide (Gesamtcholesterin, HDL- und LDL-Cholesterin, Triglyzeride) sowie Körpergewicht und Body Mass Index, Blutdruck, EKG und Routine-Laborwerte sowie UAW. Das primäre Zielkriterium war meist eine Veränderung des HbA1C (Studienbeginn versus Studienende).

Unter Pioglitazon fielen die HbA1C-Werte um 0,7-1,7 Prozentpunkte, die Nüchtern-Blutzucker um 22-65 mg/dl, und die Insulinsensitivität besserte sich. Bei den Lipiden und bei anderen sekundären Parametern ergaben sich keine signifikanten Veränderungen. Die Interventionsdauer lag bei 3-6 Monaten.

Unter Rosiglitazon-Therapie sanken die HbA1C-Werte dosisabhängig um 0,1%-1,2% (je höher die Dosis um so stärker die Reduktion). Die Kombinationstherapie von Metformin plus 8 mg Rosiglitazon führte zu einer Senkung des HbA1C um 0,8%, die Kombination Sulfonylharnstoffe plus 4 mg Rosiglitazon um 0,9% und die gleichzeitge Gabe von Insulin plus 4-8 mg Rosiglitazon um 0,6-1,2%. Die entsprechenden Senkungen der Nüchtern-Blutzucker lagen bei 17-54 mg/dl. Es fanden sich signifikante Erhöhungen des Cholesterinspiegels um im Mittel etwa 31 mg/dl, des HDL-Cholesterins um 6 mg/dl, des LDL-Cholesterins um 24 mg/dl sowie der Triglyzeride um 27 mg/dl. In 5 von 8 Studien wurde zwischen 8-26 Wochen therapiert.

Insgesamt liegen somit sowohl für Pioglitazon als auch für Rosiglitazon – mit Ausnahme der HbA1C-Werte – ausschließlich Informationen zu Surrogat-Parametern vor. Es existieren derzeit keine Daten zu Letalität, diabetesspezifischen Komplikationen, „Lebensqualität“ und ökonomischen Effekten; insbesondere gibt es keine Erfahrungen bei Langzeiteinnahme.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen: Da Troglitazon (Rezulin) wegen schwerer Leberfunktionsstörungen im März 2000 in den USA vom Markt genommen bzw. wenige Wochen nach Einführung in Großbritannien zurückgezogen wurde, sind unter dem Aspekt eines möglichen Klasseneffekts die UAW der eingeführten Thiazolidindione besonders zu beachten. Tab. 2 gibt Aufschluß über die in den publizierten Studien erwähnten UAW.

Bei einem mit Pioglitazon behandelten Patienten verschlechterte sich die diabetische Retinopathie. Der amerikanische Beipackzettel erwähnt als UAW unter Rosiglitazon „geringe“ Leukozytopenien. Die oben erwähnten Lipidveränderungen sind zumindest partiell als UAW zu betrachten (insbesondere eine Erhöhung des LDL-Cholesterins). Einzelbeobachtungen über schwere Leberzellschäden bzw. hepatozelluläre Dysfunktionen liegen zu Rosiglitazon vor. Bei den bis dato 4 publizierten Fallberichten traten die hepatozellulären Dysfunktionen ab 4 mg und nach zweiwöchiger Einnahme von Rosiglitazon auf. Über Transaminasenerhöhungen auf mehr als das Dreifache des Normalwerts mit Normalisierung nach Absetzen sowie über ein Leberversagen wurde berichtet.

Kosten: Die Jahreskosten der bei uns nicht zugelassenen Monotherapie betragen bei 4 mg/d bzw. 8 mg/d Rosiglitazon 1140 DM bzw. 1744 DM und bei 15 mg/d bzw. 30 mg/d Pioglitazon 1140,- bzw. 1745,-DM. Sie sind erheblich. Hinzu kommen die Kosten für die Kombination mit Metformin (ca. 350 DM/Jahr) bzw. mit einem Sulfonylharnstoff (ca. 350 DM/Jahr) sowie die Kosten für das Sicherheitsmonitoring der neuen Antidiabetika (17).

Literatur

  1. Mühlhauser, I.: Diabetes & Stoffwechsel 1998, 30, 123.
  2. Krentz, A.J., et al.: Br. Med. J. 2000, 321, 252.
  3. Fonseca, V., et al.: JAMA 2000, 283, 1695.
  4. Lebovitz, H.E., et al.:J. Clin. Endocrinol. Metab. 2001, 86, 280.
  5. Nolan, J.J., et al.: Diabet. Med. 2000, 17, 287.
  6. Patel, J., et al.: Diabetes Obes. Metab. 1999, 1, 165.
  7. Phillips, L.S., et al.: Diabetes Care 2001, 24, 308.
  8. Raskin, P., et al.: Diabetes Care 2001, 24, 1226.
  9. Raskin, P., et al.: Diabetologia 2000, 43, 278.
  10. Wolffenbuttel, B.H., et al.: Diabet. Med. 2000, 17, 40.
  11. Aronoff, S., et al.: Diabetes Care 2000, 23, 1605.
  12. Einhorn, D., et al.: Clin. Ther. 2000, 22, 1395.
  13. Kawamori, R., et al.: Diabetes Res. Clin. Pract. 1998, 41, 35.
  14. Miyazaki, Y., et al.: Diabetes Care 2001, 24, 710.
  15. Nakamura, T., et al.: J. Diabetes Complications 2000, 14, 250.
  16. Kaplan, N.M.: Arch. Intern. Med. 2001, 161, 511.
  17. Bekanntgaben der Herausgeber. Deutsches Ärzteblatt 2001, 98, B2118.

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