Hyperkoagulation und Verbrauchskoagulopathie wurden in Deutschland vor 35 Jahren von Lasch und Neuhof als ein wesentliches Charakteristikum des septischen Schocks herausgestellt (1, 2). Heparin-Prophylaxe und -Therapie war die logische Konsequenz. Sie setzte sich daher in der Praxis durch, ohne daß es eine den modernen Kriterien der Evidence based medicine standhaltende Studie dazu gegeben hätte. Offiziell ist daher der Stellenwert der Heparin-Therapie nicht definiert. Deshalb haben die drei neuen großen Therapiestudien mit antikoagulatorischen Eiweißen die gleichzeitige Therapie mit niedermolekularem oder niedrig dosiertem Heparin erstaunlicherweise nicht festgelegt, sondern freigestellt (4-6). Das hat zu sehr verwirrenden Ergebnissen geführt, aber auch zu der Erkenntnis, daß die Studien unter Berücksichtigung der Heparin-Therapie wiederholt werden sollten (6). Heparin ist in diesen Studien als wahrscheinlich wirksam befunden worden. Allerdings handelte es sich dabei um Ergebnisse in Plazebo-Gruppen, die nicht prospektiv definiert worden waren. Die Wirksamkeit der neuen antikoagulatorischen Eiweiße ist im Wesentlichen beschränkt auf nicht mit Heparin behandelte Patienten.
Auf die PROWESS-Studie mit aktiviertem Protein C sind wir ausführlich eingegangen (3, 4). Im Jahre 2001 ist eine weitere wichtige Studie zum Thema Sepsis erschienen (5). In dieser Studie wurden 2314 Patienten mir schwerer Sepsis doppeltblind, plazebokontrolliert, randomisiert, multizentrisch entweder mit 30000 I.U. Antithrombin III (AT III) behandelt oder mit Plazebo. Der Gebrauch von Heparin in niedriger Dosierung (< 10000 I.U.) war in beiden Gruppen freigestellt. Endpunkt war die Letalität nach 28 Tagen. Insgesamt hatten die mit AT III behandelten keine bessere Prognose als die unbehandelten Patienten (38% bzw. 39% im Vergleich zu 37% bzw. 44%; Tab. 1). In der Untergruppe der (zufällig) nicht gleichzeitig mit Heparin behandelten Patienten allerdings war die Letalität unter AT III geringer: 38% vs. 44% in der Plazebo-Gruppe. Hier schien AT III wirksam zu sein. Beim Vergleich der mit und ohne Heparin behandelten Patienten der Plazebo-Gruppe sieht es so aus, als ob Heparin wirksam wäre: Letalität mit Heparin 37%, ohne Heparin 44%. Ist ein zusätzlicher Effekt des AT III zur Wirkung von Heparin nicht möglich? Aber das sind unzulässige Analysen von vorher (leider) nicht definierten Untergruppen. Sie scheinen anzudeuten, daß AT III nicht besser wirkt als Heparin. Die Blutungsrate ist erwartungsgemäß am höchsten bei der Kombination beider Antikoagulanzien. Insgesamt fand sich also keine additive Wirkung von AT III auf die 28-Tage-Letalität bei schwerer Sepsis.
Im Juli 2003 erschien die bisher letzte Studie zur Wirkung eines neuen gentechnisch hergestellten antikoagulatorischen Eiweißes (Tifacogin) bei Sepsis (6). In diese randomisierte, doppeltblinde, plazebokontrollierte, multizentrische Studie wurden insgesamt 1754 Patienten mit schwerer Sepsis und Gerinnungsstörung (INR > 1) eingeschlossen und entweder mit Tifacogin oder Plazebo behandelt. Auch hier war die Gabe von Heparin freigestellt. Endpunkt war die Sterblichkeit nach 28 Tagen. Sie war mit und ohne Tifagogin 34%. In einem zweiten Teil der Studie wurden 201 Patienten mit INR < 1 eingeschlossen. In dieser nachgeschobenen, kleineren Gruppe der insgesamt leichter kranken Patienten war die Letalität nach Plazebo 23% und nach Tifacogin 12%. Hier war Tifacogin also offenbar wirksam. Die Bedeutung der Heparin-Therapie, die wie in den anderen Studien freigestellt war, konnte auch hier gezeigt werden (s. Tab. 2), denn in der Plazebo-Gruppe war die Letalität der Patienten mit Heparin 30%, ohne Heparin 43%. Tifacogin ist offenbar nicht wesentlich wirksamer als Heparin. Es senkt nach diesen Zahlen die Letalität auf 34%. Die Kombination beider Antikoagulanzien bringt keinen Gewinn (Letalität ebenfalls 34%). Die Blutungskomplikationen sind bei Kombinationstherapie allerdings in den meisten Vergleichsgruppen häufiger.
Fazit: AT III und Gewebefaktor-Inhibitor senken nicht die Letalität von Patienten mit septischem Schock. Es ist bedauerlich, daß bei der Konzeption der hier vorgestellten Studien der Bedeutung der Heparin-Therapie so wenig Beachtung geschenkt wurde. So müssen weitere Studien entscheiden, ob bei optimaler Heparin-Therapie die neuen antikoagulatorischen Eiweiße überhaupt einen zusätzlichen Nutzen bringen können.
Literatur
- Lasch, H.G.: Verh. Dtsch. Ges. Inn. Med. 1968, 74, 352.
- Neuhof, H., und Lasch, H.G.: Dtsch. Med. Wochenschr. 1970, 95, 1937.
- Bernard, G.R., et al. (PROWESS = Recombinant human activated PROtein C Worldwide Evaluation in Severe Sepsis): N. Engl. J. Med. 2001, 344, 699.
- AMB 2004, 38, 17.
- Warren, B.L., et al. (KyberSept Trial): JAMA 2001, 286, 1869.
- Abraham, E., et al. (OPTIMIST = Optimized Phase 3 Tifacogin In Multicenter International Sepsis Trial): JAMA 2003, 290, 238.