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Aktiviertes Protein C und die Therapie der Sepsis

Zusammenfassung: Die Sepsis ist eine gefürchtete Komplikation meist bakterieller Infektionen. Nach wie vor ist die Letalität dieser Erkrankung sehr hoch. In den letzten 20 Jahren wurden verschiedene Substanzen in experimentellen Vorversuchen getestet und als vielversprechende Medikamente eingestuft. Keine dieser Substanzen konnte eine signifikante Wirksamkeit in der Behandlung der Sepsis erzielen. Im Jahre 2001 wurde jedoch eine klinische Studie vorgelegt, in der die Wirksamkeit eines gentechnisch hergestellten aktivierten Protein C (Drotrecogin alfa = Xigris®) bei schwerer Sepsis gezeigt wurde. Die Ergebnisse dieser Studie waren so, daß dieses Medikament mittlerweile nach knappem Abstimmungsergebnis bei der FDA in den USA und auch in Europa für die Behandlung besonders schwerer Sepsen zugelassen wurde. Bevor jedoch aktiviertes Protein C zur Standardtherapie der schweren Sepsis wird, sollte mindestens noch eine bestätigende Studie abgewartet werden, die prospektiv die Prognose der Patienten berücksichtigt und für begleitende Therapie mit Heparin randomisiert. Eine solche Studie wird derzeit durchgeführt. Bis dahin sollte diese neue Substanz nur in bedrohlichen Situationen und nur im Rahmen klinischer Studien angewandt werden.

Einleitung: Die Sepsis bleibt eine gefürchtete Komplikation mit hoher Letalität bei systemischen bakteriellen Infektionen. In den USA schätzt man, daß mindestens 750000 Patienten pro Jahr eine schwere Sepsis erleiden, von denen 28-50% sterben (1, 2). Diese hohe Letalität ist in den letzten Jahrzehnten im Wesentlichen gleich geblieben. Es ist daher nicht verwunderlich, daß intensiv nach Therapiestrategien gesucht wird, die diesen Verlauf verbessern können. Von einer Reihe von Substanzen, die sich zunächst als hoffnungsvoll erwiesen hatten (Endotoxinelimination, Anti-TNF-alpha-Antikörper, PAF-Acetylhydrolase, Protein C, Antithrombin, Tissue-factor-pathway-inhibitor u.a.; 1) haben sich nur wenige in klinischen Studien bewährt. Eines dieser wenigen Medikamente ist das aktivierte Protein C (3, 14). Die vermuteten Wirkmechanismen und der klinische Nutzen dieses neuen Medikaments, gentechnisch hergestelltes aktiviertes Protein C (Drotrecogin alfa), werden im Folgenden dargestellt.

Pathophysiologie der Sepsis: Inflammatorische Antwort: Die Sepsis ist eine Folge der Immunantwort des Körpers auf Bestandteile der bakteriellen Zellwand oder auf die mikrobielle DNS. Als Antwort auf pathogene Mikroorganismen geben die Monozyten und Makrophagen eine ganze Reihe von Zytokinen ab, wie z.B. Tumor-Nekrose-Faktor alpha (TNF-α), Interleukin-1, Interleukin-6 und Interleukin-8. Diese frühe Zytokin-Sekretion spielt eine wichtige Rolle beim Anlocken der Neutrophilen an die Stelle, wo sich die Erreger befinden. Das Zirkulieren dieser Zytokine und der Mikroorganismen im Blut führt jedoch auch zur Aktivierung der Gerinnungskaskade und zur Hemmung der Fibrinolyse, indem der Gewebefaktor auf der Oberfläche von Monozyten und Epithelzellen exprimiert wird (s. Abb. 1).

Thrombotische Antwort: Kommt der Gewebefaktor mit zirkulierendem Blut in Kontakt, wird das „Extrinsic”-System der Blutgerinnung in Gang gesetzt, wodurch Thrombin gebildet und Fibrin abgelagert wird. Thrombin ist eine potente Serinprotease; sie hat mehrere Funktionen, darunter viele proinflammatorische Wirkungen. Durch den Anstieg von Thrombin kommt es daher zu einer weiteren Steigerung der intravasalen Gerinnung und der Entzündungskaskade (s. Abb. 1).

Aus Tiermodellen ist bekannt, daß schon fünf Minuten nach Applikation bakterieller Endotoxine Mikrothromben in kleineren Gefäßen nachweisbar sind (disseminierte intravasale Gerinnung = DIC). Dauert die Endotoxinexposition länger an, werden größere Thromben gebildet, die zur Hypoperfusion von Organen und schließlich zu Organnekrosen und Organversagen führen. Die enge Beziehung zwischen Entzündung und aktivierter Gerinnungskaskade wird beim Menschen am Beispiel der Purpura fulminans deutlich, bei der man in den Hautläsionen mikrovaskuläre Thromben findet.

Fibrinolytische Antwort: Schließlich wird das endogene fibrinolytische und antikoagulatorische System aktiviert, das der Thrombosierung entgegenwirkt. Hierbei spielt der Gewebeplasminogenaktivator, der die Bildung von Plasmin initiiert, eine wichtige Rolle. Hierdurch wird das Fibrinkoagel lysiert. Dieser Vorgang kann, wie bei der schweren Meningokokken-Sepsis (Waterhouse-Friderichsen), auch überschießend sein mit Einblutungen in die Nebennieren und in die Haut. Als Gegenspieler fungieren deshalb Plasminogenaktivator-1 und Thrombin aktivierbarer Fibrinolyse-Inhibitor (s. Abb. 1). In der Regel wird das fibrinolytische System während der Sepsis durch die Freisetzung von Plasminogenaktivator-1 aus Thrombozyten und Endothel behindert (Übersicht bei 4).

Rolle von Protein C bei der Sepsis und seine möglichen Wirkmechanismen in der Behandlung der Sepsis: Protein C ist ein im Plasma zirkulierendes Proenzym, das in Anwesenheit von Thrombin und Thrombomodulin zu aktiviertem Protein C umgewandelt wird. Mehrere Studien haben gezeigt, daß Protein C bei der schweren Sepsis sowohl bei Erwachsenen wie bei Kindern vermindert ist und daß eine inverse Korrelation zwischen dem Protein-C-Spiegel und der Morbidität und Letalität bei der Sepsis besteht (5, 6). Dabei scheint der Plasma-Protein-C-Spiegel im Median schon 12 Stunden vor Eintritt der klinischen Symptome der schweren Sepsis und des septischen Schocks deutlich erniedrigt zu sein (7). Diese Beobachtung wird auch durch eine retrospektive Studie gestützt, die bei über 90% der Patienten mit schwerer Sepsis erniedrigte Serumspiegel von Protein C fand (8). Die Depletion von Protein C bei schwerer Sepsis wird auf folgende Gründe zurückgeführt: 1. Degradation von Protein C durch Elastase, die aus Neutrophilen während der Sepsis freigesetzt wird, und 2. verminderte Synthese von Protein C in der Leber bei Funktionsstörungen während der Sepsis.

Die Konversion von Protein C in aktiviertes Protein C ist wahrscheinlich bei Sepsis gestört. Neben dem Protein C selbst spielt auch die Expression des Protein-C-Rezeptors auf dem Endothel eine wichtige Rolle. Bei diesen Vorgängen ist der antithrombotische Effekt von aktiviertem Protein C von Bedeutung. Aktiviertes Protein C inaktiviert zusammen mit Protein S die Gerinnungsfaktoren Va und VIIIa (s. Abb. 1). Faktor Va beschleunigt die Aktivierung von Prothrombin durch den Faktor Xa, während Faktor VIIIa die Aktivierung von Faktor X durch den Faktor IXa begünstigt. Durch die Inaktivierung von Faktor Va und VIIIa durch aktiviertes Protein C wird also die Thrombinbildung effizient vermindert (Übersicht bei 4).

Neben diesem antithrombotischen Effekt scheint aktiviertes Protein C aber auch anti-inflammatorische und profibrinolytische Wirkungen zu haben (s. Abb. 1). In einem Tiermodell der Sepsis konnte die profibrinoloytische Aktivität von aktiviertem Protein C nachgewiesen werden (9). Man nimmt an, daß hierbei aktiviertes Protein C den Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1 inaktiviert (s. Abb. 1; 10). Aktiviertes Protein C besitzt offensichtlich auch anti-inflammatorische Eigenschaften (Abb. 1). Diese Beobachtungen stützen sich zum größten Teil auf In-vitro-Studien (11). Aktiviertes Protein C reduziert die Translokation des Kern-Faktors-κβ (NF-κβ) vom Zytoplasma in den Zellkern, was eine verminderte Produktion von Zytokinen in Lymphozyten nach sich zieht und somit die Entzündungsreaktion blockiert (12). Darüber hinaus vermindert aktiviertes Protein C die Expression von Leukozyten-Adhäsionsmolekülen auf der Oberfläche von Endothelzellen, was die Interaktion von Entzündungszellen mit den Gefäßen vermindert und somit auch die Auswanderung dieser Zellen ins entzündete Gewebe (13).

Aktiviertes Protein C in der Therapie der Sepsis: In der multizentrischen, plazebokontrollierten, randomisierten, doppeltblinden PROWESS-Studie mit 1690 Patienten hat gentechnisch hergestelltes aktiviertes Protein C (Drotrecogin alfa) in einer Dosierung von 24 mg/kg Körpergewicht/h über 96 Stunden bei erwachsenen Patienten mit schwerer Sepsis zu einer statistisch signifikanten Senkung der 28-Tage-Gesamtletalität geführt (24,7% vs. 30,8%; p = 0,005; relative Letalitätsreduktion: 19%; 14). Der Erfolg dieser Behandlung drückt sich auch in der Zahl der Patienten aus, die behandelt werden müssen, um den Tod eines Patienten bis zum Tag 28 zu verhindern. In dieser Studie betrug diese Zahl 16 und liegt damit erheblich niedriger als bei vergleichbaren anderen Studien. Es gibt vorläufige Daten, nach denen auch nach 30 Monaten bei den Patienten, die wegen einer schweren Sepsis (APACHE-II-Score > 25) mit aktiviertem Protein C behandelt worden waren, ein deutlicher Überlebensvorteil besteht (15). Bei einer Subgruppenanalyse der PROWESS-Studie ergab sich ein Überlebensvorteil aller Gruppen bis auf Patienten mit Urosepsis. Über 50% der Patienten hatten als Ausgangspunkt der Sepsis eine Pneumonie; in dieser Gruppe war auch der Überlebensvorteil am deutlichsten. Der Überlebensvorteil zeigt sich auch bei Patienten, die wegen eines intraabdominellen Herdes operiert wurden. Allerdings fand sich bei Patienten, die wegen einer anderen Ursache operiert wurden und eine Sepsis entwickelten, kein Überlebensvorteil (16). In einer Nachberechnung der FDA im Rahmen der Zulassung von Drotregogin war die Reduktion der Letalität am deutlichsten bei Patienten im höheren Alter (> 50 Jahre), bei einem APACHE-II-Score > 25, bei Mehrorgan-Versagen (> 1 Organversagen) und bei Schock zum Zeitpunkt des Beginns der Behandlung. Bei einer weniger schwer ausgeprägten Sepsis mit einem APACHE-II-Score < 25 ergab sich kein Überlebensvorteil. Aus diesen Überlebensvorteilen ergibt sich die Empfehlung der amerikanischen Zulassungsbehörde, die die Indikation zunächst auf Erwachsene mit hohem Letalitätsrisiko (APACHE-II-Score > 25) beschränkt. In Europa wird für die Indikation von aktiviertem Protein C bei Behandlung von Erwachsenen mit Sepsis ein Versagen von mindestens zwei Organen gefordert.

Die gerinnungshemmende Wirkung von aktiviertem Protein C zieht ein erhöhtes Blutungsrisiko nach sich. In der PROWESS-Studie wurden daher auch Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko von der Behandlung mit Drotrecogin alfa ausgeschlossen. In diesem so ausgewählten Kollektiv war die Blutungsneigung nur sehr gering gegenüber der Plazebo-Gruppe erhöht. Aus der Studie ergeben sich auch Hinweise, daß eine gleichzeitige Behandlung mit Heparin die Blutungsneigung unter der Behandlung mit aktiviertem Protein C erhöht. Heparin gehört andererseits zur Therapie der Sepsis, sowohl als Thromboseprophylaxe wie auch als Prophylaxe und Therapie der Verbrauchskoagulopathie. In der PROWESS-Studie wurde nicht untersucht, ob sich die Wirksamkeit von Protein C zu der von Heparin addiert (wie bei der UAW Blutungen) oder sich auf die Patienten beschränkt, die kein Heparin als Basistherapie erhielten (17-19). Daher hat sich die Herstellerfirma bei der Zulassung verpflichten müssen, eine Studie mit 13000 Patienten nachzureichen, in der die Möglichkeiten zur Kombination mit Heparin untersucht werden sowie die Wirksamkeit bei weniger gefährdeten Patienten und bei Jugendlichen und Kindern. Andere signifikante UAW bei der Behandlung mit aktiviertem Protein C wurden nicht beobachtet.

Kosten/Nutzen-Aspekte: Die Behandlungskosten für einen Patienten mit ca. 70 kg liegen derzeit bei über 7000 EUR. Auch hier zeigte sich, daß die Kosten für ein gewonnenes Lebensjahr bei Patienten mit hohem Letalitätsrisiko deutlich geringer waren als bei denen mit niedrigerem Letalitätsrisiko. Aus ökonomischer Sicht sollte deshalb die Behandlung, wie es ja auch die FDA fordert, auf Sepsis-Patienten mit einem APACHE-Score > 25 und Ausschluß prognostisch ungünstiger Nebenerkrankungen (z.B. maligne Grunderkrankung) beschränkt werden. Stellt man die Indikation unter diesen Voraussetzungen, so müssen nur acht Patienten behandelt werden, um den Tod eines Patienten zu verhindern, der dann eine Lebenserwartung von mindestens zwei Jahren hat. Nach Berechnung der Autoren müssen unter diesen Bedingungen für ein zusätzlich gewonnenes Lebensjahr für die Behandlung mit diesem neuen Medikament ca. 28000 EUR aufgewendet werden (20).

Noch bestehende Bedenken: Aktiviertes Protein C ist das erste Medikament, das in einer großangelegten, vom Hersteller unterstützten Studie einen günstigen Einfluß auf den Verlauf der schweren Sepsis zeigte. Man sollte aber nicht vergessen, daß manche schwerwiegenden UAW sich erst im Verlauf der breiteren klinischen Anwendung zeigen. Die oben aufgeführten möglichen Wirkmechanismen von aktiviertem Protein C (s. Abb. 1) stützen sich auf meist indirekte Rückschlüsse und sind keinesfalls als bewiesen anzusehen. In der angesprochenen PROWESS-Studie wurden keine Messungen zur Koagulationsneigung vor und nach Therapie durchgeführt. Es gab auch keine Korrelation mit dem im Gegensatz zum aktivierten Protein C messbaren Protein C und dem Resultat der Behandlung. Wegen der Spezies-Spezifität war der Einsatz von aktiviertem Protein C im Tiermodell stark eingeschränkt. Bei Pavianen konnten allerdings der günstige Effekt von aktiviertem Protein C auf die Koagulopathie und die Letalität während einer schweren E.-coli-Sepsis gezeigt werden (21). Für den anti-inflammatorischen Effekt von aktiviertem Protein C gibt es bisher keine klinischen Daten. Bei all dem muß immer wieder betont werden, daß die meisten Daten zu aktiviertem Protein C bisher aus einer einzigen Studie stammen. Viele Bedenken ergeben sich aus der Tatsache, daß Studien zur Therapie der Sepsis immer auf ein sehr heterogenes Patientenkollektiv zurückgreifen müssen, so daß die Reproduzierbarkeit schwierig ist (22, 23). Zur PROWESS-Studie ist auch noch kritisch anzumerken, daß sich die signifikanten Ergebnisse erst in der zweiten Hälfte der Studie einstellten und zwar unter der Behandlung mit einer zweiten Charge des gentechnisch hergestellten Proteins und daß es keinen Test gibt, der die Wirksamkeit des Medikaments vorhersagen kann (3).

Literatur

  1. Müller-Werdan, U., et al.: Internist 2003, 44, 1531.
  2. Martin, G.S., et al.: N. Engl. J. Med. 2003, 348, 1546.
  3. Warren, H.S., et al.: N. Engl. J. Med. 2002, 347, 1027.
  4. Dhainaut, J.F., et al.: Crit. Care Med. 2002, 30 (5 Suppl.), S318.
  5. Boldt, J., et al.: Crit. Care Med. 2000, 28, 445.
  6. Fisher, C.J., und Yan, S.B.: Crit. Care Med. 2000, 28 (9 Suppl.), S49.
  7. Mesters, R.M., et al.: Crit. Care Med. 2000, 28, 2209.
  8. Yan, S.B., et al.: Chest 2001, 120, 915.
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  10. Bajzar, L., et al.: Blood 1996, 88, 2093.
  11. Grinnell, B.W., und Yan, S.B.: Coron. Artery Dis. 1998, 9, 89.
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  13. Murakami, K., et al.: Am. J. Physiol. 1997, 272 (2 Pt. 1), L197.
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  16. Barie, P.S.: Crit. Care Med. 2002, 30, A102.
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  19. Davidson, B.L., et al.: N. Engl. J. Med. 2002, 347, 1036.
  20. Manns, B.J., et al.: N. Engl. J. Med. 2002, 347, 993.
  21. Taylor, F.B., et al.: J. Clin. Invest. 1987, 79, 918.
  22. Zeni, F., et al.: Crit. Care Med. 1997, 25, 1095.
  23. Natanson, C., et al.: Crit. Care Med. 1998, 26, 1927.

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