Wir hatten im Jahre 2002 ausführlich über eine Meta-Analyse zur Wirksamkeit der Behandlung der Tumor-assoziierten Anämie mit rekombinantem Erythropoietin (rhEPO) informiert (1). Diese Meta-Analyse berücksichtigte ausschließlich die bis 1999 publizierten, randomisierten, kontrollierten klinischen Studien (n = 22), in denen insgesamt 1927 Patienten mit Epoetin alfa (Erypo®) oder Epoetin beta (NeoRecormon®) behandelt worden waren. Im Jahre 2004 ist ein Cochrane-Review erschienen, der diese Meta-Analyse ergänzt und 27 randomisierte, kontrollierte klinische Studien mit insgesamt 3287 erwachsenen Patienten ausgewertet hat (2). Ziel dieser systematischen Übersicht war es, die Wirksamkeit von rhEPO hinsichtlich primärer (hämatologisches Ansprechen, Transfusionshäufigkeit, Gesamtüberleben) und sekundärer Zielparameter (Tumoransprechen, „Lebensqualität”) sowie die unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) zu untersuchen. Alle ausgewerteten Studien verglichen eine Behandlung mit Epoetin alfa bzw. Epoetin beta plus, falls erforderlich, zusätzliche Transfusion(en) von Erythrozytenkonzentraten mit einer alleinigen Transfusion von Erythrozytenkonzentraten. Diese aktuelle Cochrane-Übersicht bestätigt die Ergebnisse der früheren Meta-Analyse und verdeutlicht ebenfalls gravierende Mängel im Design sowie in der Analyse und Interpretation der Ergebnisse der klinischen Studien. Die in den Jahren 1985-2001 publizierten randomisierten, kontrollierten klinischen Studien ergeben ausreichende Evidenz dafür, dass durch eine Behandlung mit Epoetin alfa bzw. beta bei Patienten mit Tumorerkrankungen und einem Hb-Wert < 10 g/dl zu Beginn der Studie ein signifikant besseres hämatologisches Ansprechen als durch Plazebo erreicht werden kann. Das hämatologische Ansprechen wurde in den meisten Studien definiert als transfusionsunabhängiger Anstieg des Hb-Werts ≥ 2 g/dl. Gleichzeitig konnte in diesen Studien gezeigt werden, dass durch Epoetin alfa bzw. beta der Transfusionsbedarf durchschnittlich um ein Erythrozytenkonzentrat im Studienzeitraum (in den meisten Studien 12-24 Wochen) reduziert werden kann. Überzeugende Evidenz, dass Epoetin alfa bzw. beta das Gesamtüberleben von Tumorpatienten verlängert, die Ansprechraten des Tumors auf die Chemotherapie verbessert und/oder die „Lebensqualität” einschließlich der sogenannten Fatigue-Symptomatik günstig beeinflusst, ergab sich auch in der Cochrane-Auswertung nicht. Sowohl thromboembolische Komplikationen als auch arterielle Hypertonie traten in den randomisierten klinischen Studien mit Angaben zu diesen UAW häufiger bei den mit Epoetin alfa bzw. beta behandelten Patienten auf (statistisch nicht signifikant). Diese UAW müssen deshalb, ebenso wie die bisher fast ausschließlich bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz aufgetretene „Pure red-cell aplasia”, sorgfältig in zukünftigen Studien analysiert werden.
Die bisher vorliegenden Meta-Analysen basieren ausschließlich auf klinischen Studien zur Behandlung der Tumor-assoziierten Anämie mit Epoetin alfa bzw. beta. Inzwischen ist in Deutschland mit Darbepoetin alfa (Aranesp®) ein Erythropoietin-Analog zugelassen, das im Vergleich zu Epoetin alfa bzw. beta mehr Stickstoff-gebundene Kohlehydrat-Seitenketten (5 vs. 3), mehr Sialinsäure-Reste und eine andere Aminosäurensequenz hat. Diese biochemischen Veränderungen beeinflussen in erster Linie die Pharmakokinetik (längere Serumhalbwertszeit), nicht jedoch den Wirkungsmechanismus (Stimulation der Erythropoese nach Bindung an den Erythropoietin-Rezeptor). Bisher liegen nur sehr wenige randomisierte klinische Studien bei Patienten mit Tumor-assoziierter Anämie unter Chemotherapie vor, in denen die Wirksamkeit bzw. Sicherheit der Epoetine mit Darbepoetin alfa verglichen wurden (3, 4). Eindeutige Hinweise für Unterschiede in der klinischen Wirksamkeit oder im Auftreten von UAW ergaben sich in diesen Studien nicht.
Fazit: In einem aktuellen Cochrane-Review konnten Ergebnisse früherer Meta-Analysen bestätigt werden, dass eine Behandlung der Tumor-assoziierten Anämie mit Epoetin alfa oder Epoetin beta gegenüber Plazebo das hämatologische Ansprechen verbessert und den Transfusionsbedarf reduziert. Eindeutige Hinweise auf ein besseres Tumoransprechen, eine Verlängerung des Gesamtüberlebens und eine Besserung der „Lebensqualität” ergaben sich jedoch in dieser Meta-Analyse randomisierter klinischer Studien nicht. Die Ergebnisse der wenigen bisher durchgeführten vergleichenden klinischen Studien sprechen nicht dafür, dass sich Darbepoetin alfa bei Tumor-assozierter Anämie in Wirksamkeit oder Sicherheitsprofil gegenüber Epoetin alfa bzw. Epoetin beta signifikant unterscheidet.
Literatur
- AMB 2002, 26, 25.
- Bohlius, J., et al.: Cochrane Database Syst. Rev. 2004, 3, CD003407.
- Schwartzberg, L.S., et al.: The Oncologist 2004, 9, 696.
- Waltzman, R., et al.: Blood 2004, 104, 4233a.