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Antibakterielle Chemoprophylaxe mit Levofloxacin nach zytostatischer Therapie von Tumorerkrankungen

Zusammenfassung: Zwei große, randomisierte und plazebokontrollierte klinische Studien ergaben übereinstimmend, dass durch eine antibakterielle Prophylaxe mit Levofloxacin nach zytostatischer Chemotherapie, z.T. gefolgt von autologer Stammzelltransplantation, die Häufigkeit febriler Episoden während der Phase der Neutropenie signifikant gesenkt werden kann. Das Risiko für infektiöse Komplikationen, das im Wesentlichen von Dauer und Ausmaß der Neutropenie sowie der Grunderkrankung bestimmt wird, unterschied sich in beiden Studien deutlich. Eine generelle Fluorochinolon-Prophylaxe nach Chemotherapie kann weiterhin nicht empfohlen werden, da verschiedene Faktoren (z.B. Patienten mit größtem Risiko für infektiöse Komplikationen, Auftreten resistenter Keime, Kosten-Nutzen-Relation) noch besser definiert werden müssen. Eine antibiotische Prophylaxe bei Patienten mit Hochrisikoprofil (z.B. Neutropeniedauer > 7-10 Tage, intensive Chemotherapie, relevante Komorbidität) sollte unbedingt von einem gründlichen Monitoring hinsichtlich des Auftretens von Infektionen bzw. von resistenten Keimen begleitet sein.

Im Unterschied zur inzwischen etablierten empirischen antibiotischen bzw. antimykotischen Therapie febriler infektiöser Komplikationen nach Chemotherapie von Tumorerkrankungen ist der Stellenwert einer prophylaktischen antibiotischen Therapie nach Chemotherapie weiterhin unklar. Die bisher durchgeführten klinischen Studien zur antibakteriellen Chemoprophylaxe bei Tumorpatienten, vorwiegend mit älteren Fluorochinolonen (z.B. Cipro- oder Ofloxacin) oder Trimethoprim-Sulfamethoxazol (TMP-SMZ) plus Colistin, hatten zahlreiche Mängel (u.a. kleine Fallzahlen, keine Plazebo-Kontrolle, sehr heterogene Patientenkollektive). Ihre Ergebnisse wurden auch wegen zunehmender Resistenzentwicklung bei fraglichem Effekt auf das Überleben der Patienten kontrovers diskutiert (1-3). Eine Infektionsprophylaxe nach Chemotherapie bei neutropenischen Patienten wurde deshalb bisher nicht generell empfohlen (4, 5). Trotz des Fehlens überzeugender klinischer Studien zur Wirksamkeit der Infektionsprophylaxe werden Fluorochinolone zunehmend nach Chemotherapie prophylaktisch verordnet bzw. in vielen Studienprotokollen zur zytostatischen Behandlung von Tumorerkrankungen empfohlen oder zumindest als Option freigestellt.

Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse zweier im September 2005 im N. Engl. J. Med. publizierten großen, randomisierten, doppeltblinden, plazebokontrollierten klinischen Studien zur prophylaktischen Gabe von Levofloxacin (Tavanic®) bei Tumorpatienten nach zytostatischer Chemotherapie von besonderem Interesse (6, 7). Für beide Studien sind in Tab. 1 die Zahl der untersuchten Patienten, Art der Tumorerkrankung, Definition der Neutropenie, Dosierung von Levofloxacin und die Ergebnisse hinsichtlich des primären Endpunkts zusammengefasst. In der italienischen Studie von G. Bucaneve et al. (6) wurden erwachsene Patienten mit hohem Risiko für die Entwicklung einer längeren Neutropenie (Dauer > 7 Tage) und infektiöser Komplikation (z.B. Patienten mit akuten Leukämien oder nach autologer Stammzell-Transplantation) eingeschlossen. Mit Beginn der Chemotherapie bzw. innerhalb von drei Tagen nach Rückgabe der autologen Stammzellen erhielten die Patienten bis zur Normalisierung der neutrophilen Granulozyten prophylaktisch Levofloxacin oder Plazebo. Demgegenüber wurden in die englische Studie von M. Cullen et al. (7) vorwiegend erwachsene Patienten mit niedrigem oder Standardrisiko (Neutropeniedauer < 7 Tage) eingeschlossen und ambulant während insgesamt sechs Zyklen der Chemotherapie prophylaktisch mit Levofloxacin oder Plazebo behandelt. Levofloxacin oder Plazebo wurden kurz vor und während der erwarteten Neutropenie über insgesamt sieben aufeinander folgende Tage verabreicht. Die Unterschiede in den Patientenkollektiven spiegeln sich deutlich in der Häufigkeit febriler Episoden in den Plazebo-Gruppen wider: 85% (6) vs. 7,9% (7) während des ersten Zyklus der Chemotherapie. Beide Studien wurden finanziell von der pharmazeutischen Industrie, GlaxoSmithKline und Aventis Pharma (6) bzw. Hoechst Marion Roussel (7), unterstützt. Die Gabe von Levofloxacin wurde mit einer stärkeren Wirksamkeit dieses Fluorochinolons im grampositiven Bereich im Vergleich zu z.B. Ciprofloxacin begründet.

In beiden Studien konnten durch die prophylaktische Einnahme von Levofloxacin febrile Episoden (primäres Zielkriterium) signifikant im Vergleich zu Plazebo reduziert werden (s. Tab. 1). Auch sekundäre Zielkriterien, wie Rate an mikrobiologisch dokumentierten Infektionen (6) bzw. wahrscheinlichen Infektionen und Notwendigkeit stationärer Aufenthalte (7), wurden durch die Fluorochinolon-Prophylaxe günstig beeinflusst. Eine signifikante Reduktion der Letalität, die bei diesen Patienten natürlich nicht nur von infektiösen Komplikationen, sondern auch vom Ansprechen auf die empirische antibiotische bzw. antimykotische Therapie und von der zu Grunde liegenden Tumorerkrankung abhängt, wurde durch Levofloxacin nicht erreicht (6). Detaillierte Angaben zur Compliance und zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) finden sich in der Publikation von G. Bucaneve et al. (6) nicht. Compliance und Verträglichkeit der Studienmedikation wurden von den Autoren als gut bezeichnet. In der englischen Studie (7) lag die Compliance für die antibakterielle Prophylaxe bzw. Plazebo bei ca. 72%, und UAW traten in 1,7% der insgesamt 6899 verabreichten Chemotherapie-Zyklen auf. Gastrointestinale Beschwerden oder Hautveränderungen waren erwartungsgemäß etwas häufiger unter Levofloxacin als unter Plazebo. Leider erfolgte in beiden Studien kein systematisches Monitoring hinsichtlich antibakterieller Resistenzen unter Fluorochinolon-Prophylaxe. Zuverlässige Aussagen zur Gefahr der zunehmenden Resistenzentwicklung (z.B. Auftreten Levofloxacin-resistenter gramnegativer Keime) unter Fluorochinolon-Prophylaxe sind deshalb nicht möglich. Resistente Klone entstehen unter Fluorochinolonen rasch und sind, einmal etabliert, schwer zu kontrollieren (8). Beide Studien erlauben auch nicht die Beantwortung der Frage, ob durch Reduktion „gramnegativer Bakteriämien” unter Levofloxacin das Risiko einer Resistenzentwicklung gegenüber Antibiotika, die im Rahmen der empirischen Therapie eingesetzt werden, gesenkt wird. In dem lesenswerten kritischen Editorial zu beiden Studien wird auch auf die Anfälligkeit der Patienten für gastrointestinale Infektionen durch bakterielle Fehlbesiedlung unter der Fluorochinolon-Prophylaxe hingewiesen (3). Sie sollte in Anbetracht der aktuellen Diskussion über sich häufende schwere nosokomiale Clostridium-difficile-Infektionen berücksichtigt werden (9).

Literatur

  1. Cruciani, M., et al.: Clin. Infect. Dis. 1996, 23, 795.
  2. Engels, E.A., et al.: J. Clin. Oncol. 1998, 16, 1179.
  3. Baden, L.R.: N. Engl. J. Med. 2005, 353, 1052.
  4. Kern, W.V., et al.: Dtsch. Med. Wochenschr. 2000, 125, 1582.
  5. Hughes, W.T., et al.: Clin. Infect. Dis. 2002, 34, 730.
  6. Bucaneve, G., et al. (GIMEMA = Gruppo Italiano Malattie EMatologiche dell’Adulto): N. Engl. J. Med. 2005, 353, 977.
  7. Cullen, M., et al. (SIGNIFICANT = Simple InvestiGation in Neutropenic Individuals of the Frequency of Infection after Chemotherapy +/- Antibiotic in a Number of Tumours trial group): Engl. J. Med. 2005, 353, 988.
  8. Hooper, D.C., et al.: Emerg. Infect. Dis. 2001, 7, 337.
  9. Brierley, R.: Lancet Infect. Dis. 2005, 5, 535.