Weltweit sind bisher mehr Menschen mit BCG (Bacillus Calmette-Guérin) als mit irgendeinem anderen Impfstoff geimpft worden. Das Verständnis der Grundlagen dieser Impfung ist auch noch 100 Jahre nach der Nobel-Preis-Verleihung an Robert Koch sehr unvollständig. Eine aktuelle Arbeit im Lancet gibt hierüber mehr Auskunft (1). Der BCG-Impfstoff wurde in den Jahren 1906-1919 durch Attenuation eines Mycobacterium-bovis-Stammes gewonnen. Seit dem ersten Einsatz am Menschen 1921 wurde über die Effektivität des Impfstoffes diskutiert und gestritten (vgl. 2) Verschiedene Studien ergaben sehr unterschiedliche Ergebnisse (0-80%; 3). Diese doch sehr erheblichen Differenzen bei der BCG-Impfung werden meist auf unterschiedliche Expositionen gegenüber kreuzreaktiven Mykobakterien in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zurückgeführt (4). Bei Kindern scheint die Effektivität der BCG-Impfung klarer und einheitlicher, insbesondere gegenüber den lebensbedrohlichen Verlaufsformen dieser Erkrankung, der Miliartuberkulose und der meningealen Tuberkulose (5). Diese Befunde haben dann zur WHO-Empfehlung geführt, dass Kinder in Ländern mit hohem Tuberkuloserisiko kurz nach der Geburt mit einer intradermalen Dosis von BCG geimpft werden sollen (6). Dazu gehört Deutschland derzeit nicht.
Eine wichtige bisher ungeklärte Frage ist, ob durch die BCG-Impfung nicht nur der Ausbruch der Krankheit, sondern auch Infektionen verhindert werden können. Bisher wurde zum Nachweis einer Immunantwort auf M. tuberculosis der Tuberkulin-Hauttest eingesetzt. Mit diesem Test kann aber nicht zwischen einer Immunreaktion auf eine BCG-Impfung oder einer akuten oder durchgemachten Tuberkuloseinfektion unterschieden werden. Erst kürzlich wurden immunologische Testsysteme entwickelt, die auf M.-tuberculosis-spezifischen Antigenen (early secretory antigenic target-6 = ESAT-6, culture filtrate protein 10 = CFP10) beruhen und damit eine Unterscheidung zwischen Tuberkulose-Infektion und BCG-Impfung-Antwort ermöglichen. Basierend auf diesen Testsystemen haben die Autoren eine prospektive Studie durchgeführt. In allen sieben auf der ostanatolischen Seite der Türkei gelegenen staatlichen Tuberkulosekliniken wurden alle Erwachsenen, die eine frische Tuberkuloserkrankung mit Ziehl-Neelsen positivem Sputum und Kinder in ihrem Haushalt hatten, gefragt, ob sie an der Studie teilnehmen wollen. Innerhalb von 18 Monaten konnten 414 erwachsene Index-Patienten und 979 Kinder, die häuslichen Kontakt zu diesen Index-Patienten hatten und aus 395 Haushalten stammten, in die Studie eingeschlossen werden. Kontakte mit infizierten Familienangehörigen sind die häufigste Ursache von Tuberkulose-Erkrankungen bei Kindern. Die untersuchten Kinder waren im Median 7 Jahre alt, 770 waren BCG-geimpft und 209 nicht. Die „BCG-Narbe” als Ausdruck der erfolgreichen BCG-Impfung wurde von zwei Pädiatern (auch Koautoren der Studie) dokumentiert. 13 Kinder hatten eine aktive Tuberkulose-Erkrankung (klinisch und radiologisch, zusätzlich Ansprechen auf spezifische Therapie). Von diesen infizierten Kindern waren elf im Tuberkulin-Hauttest und 12 im spezifischen Lymphozyten-Antigen-Stimulationstest positiv. Aus dieser Gruppe der 13 infizierten und erkrankten Kinder waren drei BCG-geimpft (von 770 = 0,4%) und zehn nicht (von 209 = 4,8%). Die sich hieraus rechnerisch ergebende Reduktion des Risikos einer Tuberkulose-Erkrankung durch die BCG-Impfung betrug 92%.
Insgesamt waren 416 (43%) im spezifischen Lymphozyten-Antigen-Stimulationstest und 497 (51%) im Tuberkulin-Hauttest positiv. Errechnet man mittels univariater Regressionsanalyse die Risikofaktoren für die Positivität in diesen Tests, so ergibt sich folgende Reihe von Risikofaktoren: 1) Zunehmende Zahl an Indexpatienten im Haushalt, 2) Kind des Indexpatienten, 3) Höheres Alter, 4) Schulbesuch, 5) Abnehmende Erziehung durch die Eltern und 5) Fehlende BCG-Narbe. In einem multivariaten Modell zur Ermittlung von Risikofaktoren für eine Tuberkulose-Infektion wurden die ersten drei Punkte für den Tuberkulin-Hauttest und den spezifischen Lymphozyten-Antigen-Stimulationstest bestätigt. Bei dem Risikofaktor fehlende BCG-Narbe ergab sich eine klare Assoziation mit dem Lymphozyten-Antigen-Stimulationstest, aber nicht mit dem Tuberkulin-Hauttest. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass die standardisierte Auswertung (Rötung und Induration mit einem Durchmesser >10 mm) bei BCG Geimpften häufig falsch positiv ist. In dieser Hinsicht bringt der neue Lymphozyten-Antigen-Stimulationstest als Maß für die Tuberkulose-Infektion einen deutlichen Vorteil. Wertet man nach diesem Test diese Studie aus, so wären 110 (53%) der 209 ungeimpften Kinder infiziert und 306 der 770 geimpften Kinder (40%), was einer Reduktion des Infektionsrisikos von 24% durch die BCG-Impfung entspricht. In einem weiteren Schritt haben die Autoren dann auch noch diese Auswertung mit einer veränderten Beurteilung des Tuberkulin-Hauttests bei BCG-Geimpften (Tuberkulin-Hauttest wurde erst ab einer indurierten Rötung von >15 mm Durchmesser als positiv gewertet) wiederholt. Bei dieser veränderten Auswertung des Tuberkulin-Hauttests bei BCG-Geimpften wurde dann ebenfalls der Risikofaktor fehlende effektive BCG-Impfung identifiziert.
Fazit: Diese Studie zeigt erstmals, dass die BCG-Impfung bei Kindern nicht nur das Risiko einer aktiven Tuberkulose-Erkrankung, sondern wahrscheinlich auch das Risiko einer Tuberkulose-Infektion reduziert. Diese Erkenntnis ist möglich geworden durch den Einsatz von M.-tuberculosis-spezifischen Antigenen in einem Lymphozyten-Stimulationstest, mit dem es offensichtlich gelingt, zwischen der Impfreaktion auf BCG und einer Infektion mit M. tuberculosis zu unterscheiden. Dieses neue Ergebnis muss jedoch noch durch weitere Studien belegt werden, da es noch viele ungelöste Probleme bezüglich der Immunantwort auf M. tuberculosis gibt. Insbesondere die Unterscheidung zwischen latenter symptomloser Infektion und Exposition gegenüber dem Bakterium erscheint nach wie vor ungelöst. Darüber hinaus ist der neue Test in schwierigen klinischen Situationen bei BCG-Geimpften ein wesentlicher zusätzlicher Baustein in der Tuberkulosediagnostik.
Literatur
- Soysal, A., et al.: Lancet 2005, 366, 1443.
- AMB 1999, 33, 32a.
- Fine, P.E.M.: Lancet 1995, 346, 1339.
- Black, G.F., et al.: Lancet 2002, 359, 1393.
- Rodrigues, L.C., et al.: Int. J. Epidemiol. 1993, 22, 1154.
- Anonymous: Global Tuberculosis Control. WHO Report 2004. Geneva: World Health Organization 2004, 181.