Jedes Jahr erkranken weltweit eine Mio. Kinder an Tbc, und annähernd 20% sterben daran [1], [2]. Historisch wurden Kinder von Tbc-Therapiestudien ausgeschlossen. Dies liegt vor allem daran, dass Kinder in der Regel wenige Mykobakterien im Sputum ausscheiden („paucibakterielle Infektion“) und eine invasive Diagnostik schwieriger ist, z.B. eine Bronchoskopie. Die bisherigen therapeutischen Empfehlungen beruhen daher auf Extrapolationen von Studien mit Erwachsenen. Für die meisten dieser Studien wurden diagnostisch und im Krankheitsverlauf positive Befunde der Ziehl-Neelsen-Färbung des Sputums zugrunde gelegt. Bei Kindern mit pulmonaler Tbc ist diese Untersuchung aber häufig negativ [3], [4]. Obwohl Spontanheilungen bei Kindern möglich sind [5], wird – auch bei milden, klinisch apparenten Infektionen – eine Therapie empfohlen wegen der Gefahr einer Progression bis hin zum fatalen Ausgang [6], [7]. Zudem können unbehandelte Kinder in sozial schwachen Regionen mit engen Wohnverhältnissen Tbc auf andere im Haushalt lebende Kinder und Erwachsene übertragen, besonders wenn auch HIV-infizierte darunter sind [6], [7].
Die bisherigen Empfehlungen zur Therapiedauer entsprechen denen bei Erwachsenen (Kombinationstherapie mit Isoniazid, Rifampicin, Ethambutol und Pyrazinamid). Auch die deutsche Leitlinie empfiehlt eine Therapiedauer von 6 Monaten [8]. Eine schlechtere Bioverfügbarkeit führte zur Dosisanpassung der üblichen antituberkulösen Wirkstoffe durch die WHO im Jahr 2010 [9]. Seit 2015 sind Tabletten – auch in Kombination – mit den neuen Dosierungen verfügbar [10], [11]. Bei Kindern ist es noch schwieriger als bei Erwachsenen, die Adhärenz zu einer lang dauernden Therapie aufrecht zu erhalten. Nun wurden erstmals die Ergebnisse einer Studie mit um 2 Monate verkürzter Therapie bei Kindern mit nicht schwerer pulmonaler Tbc publiziert [12].
Methodik: Die Studie war offen und auf Nichtunterlegenheit ausgelegt (Grenze 6%). Es wurden Kinder aus Uganda, Sambia, Südafrika und Indien mit nicht schwerer pulmonaler Tbc eingeschlossen, bei denen das Sputum in der Ziehl-Neelsen-Färbung negativ war („nicht offen“). Sie mussten Symptome einer Tbc haben: chronischer Husten sowie Appetit- und Gewichtsverlust; der pulmonale Herd durfte die Lappengrenzen nicht überschreiten. Außerdem durften keine Zeichen einer Miliar-Tbc und keine Kavernen vorliegen. Extrapulmonale Manifestationen, z.B. Befall der Lymphknoten, waren ebenfalls ein Ausschlusskriterium. Die Kinder durften nicht wegen Tbc vorbehandelt worden sein, und außerdem durften keine mykobakteriellen Resistenzen bestehen.
Die Kinder wurden in 2 Gruppen randomisiert, wobei die eine 6, die andere 4 Monate lang mit den von der WHO empfohlenen Dosierungen und den nun vorliegenden Formulierungen behandelt wurde (Kombinationstherapie zur Reduktion der Tablettenzahl).
Die Kinder wurden untersucht beim „Screening“ (Randomisierung) und nach Woche 2, 4, 8, 12, 16, 20, 24, 28, 36, 48, 60 und 72. Neben der körperlichen Untersuchung und dem Röntgen-Thorax wurde eine ausführliche Umfeld-Anamnese für Tbc erhoben. Zudem wurde bei allen ein Haut-Test (Mantoux) oder Quantiferon-Test, ein Sputum-Test auf Tbc sowie ein HIV-Test durchgeführt, eine Kultur angelegt und die CD4-Zellen bestimmt. Kinder, die die viermonatige Therapie nicht abgeschlossen hatten, wurden nicht in die Auswertung eingeschlossen.
Alle Kinder erhielten in den ersten 8 Wochen die Standard-Therapie mit Isoniazid, Rifampicin und Pyrazinamid in der fixen Kombinationsformulierung für Kinder nach der WHO-Vorgabe. Ethambutol wurde je nach lokalen Leitlinien hinzugefügt oder nicht. Die Erhaltungstherapie aus Isoniazid und Rifampicin (fixe kinderfreundliche Formulierung) wurde dann für weitere 8 oder 16 Wochen hinzugefügt.
Der primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus: unbefriedigender klinischer Status, Neustart der Tbc-Therapie, „Drop out“ zwischen Monat 4 und 6 Monaten, und/oder Tod. Er wurde nach 72 Wochen (6 Monaten) erhoben. Der hauptsächliche Sicherheitsendpunkt war Nebenwirkung („adverse event“) Grad 3 oder mehr während der Therapie und bis 30 Tage nach Therapie.
Ergebnisse: Von Juli 2016 bis Juli 2018 wurden 602 Kinder in jede Gruppe randomisiert. Das mediane Alter war 3,5 Jahre, Spanne von 2 Monaten bis 15 Jahre; 52% waren Jungen; 11% hatten zusätzlich eine HIV-Infektion; bei 14% war die Tbc bakteriologisch gesichert. In Woche 72 nach Beginn waren 95% auswertbar. Die Grundcharakteristika, wie z.B. Alter, HIV-Status, Ausprägung der Erkrankung, bakterieller Nachweis, waren in beiden Gruppen etwa gleich. Die Adhärenz zur geplanten Therapie betrug 94%. Insgesamt hatten 16 Kinder (3%) in der Viermonatsgruppe den primären Endpunkt und 18 (3%) in der Sechsmonatsgruppe erreicht (angepasste Differenz: -0,4%; 95%-Konfidentintervall: -2,2 bis 1,5). Ein „unvorteilhafter“ klinischer Status wurde nach 72 Wochen bei 16 Kindern in der Viermonatsgruppe und bei 18 in der Sechsmonatsgruppe festgestellt (Unterschied nicht signifikant). Insgesamt starben in diesem Zeitraum 7 bzw. 12 Kinder (Unterschied nicht signifikant). In dem Beobachtungszeitraum kam es bei 6 bzw. 4 Kindern zu einem Tbc-Rezidiv (Unterschied nicht signifikant). Eine Erweiterung der Therapie war bei 2 Kindern in der Viermonatsgruppe und bei keinem Kind in der Sechsmonatsgruppe notwendig. Ein Neustart der antituberkulösen Therapie war bei je einem Kind pro Gruppe notwendig. Bei 97% aller Kinder sprach die Therapie gut an, und nach 72 Wochen waren sie in einem guten klinischen Zustand (kein Unterschied zwischen beiden Gruppen). Die Nichtunterlegenheit der viermonatigen Therapie war konsistent in der „Intention to treat-“ und in der „per Protokoll“-Analyse. Auch alle Analysen anderer Subgruppen hatten dasselbe Ergebnis. Insgesamt hatten 95 Kinder (8%) Nebenwirkungen Grad 3 oder höher. Darunter waren lebertoxische Reaktionen (n = 11), zumeist (9 von 11) in den ersten 8 Wochen. Die Verteilung war in den Gruppen nicht unterschiedlich.
In einem Kommentar in der gleichen Ausgabe des N. Engl. J. Med. [13] wird die klinische Bedeutung der SHINE-Studie hervorgehoben und die Implementierung der Ergebnisse in die globalen Leitlinien gefordert. Dabei wird jedoch eine der Herausforderungen sein, den Schweregrad der pulmonalen Tbc zu erfassen, denn in vielen wenig entwickelten Gebieten sind schon normale Röntgenaufnahmen des Thorax schwierig.