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Jetzt ist eine kürzere Therapie bei Patienten mit Lungentuberkulose und Rifampicin-sensiblen Erregern möglich. [CME]

Zusammenfassung

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat für das Jahr 2021 weltweit 6,4 Mio. Tuberkuloseerkrankungen gemeldet [1]. Es wird angenommen, dass die Zahl unerkannter und folglich unbehandelter Patienten gestiegen ist. Ein großes therapeutisches Problem besteht darin, die Adhärenz der Patienten zur mindestens 6-monatigen antituberkulösen Kombinationstherapie aufrechtzuerhalten. Mangelnde oder nachlassende Adhärenz vermindert den Therapieerfolg und ist auch ein wichtiger Grund für die Entstehung resistenter Erreger. Daher wird seit Jahrzehnten nach einer gut wirksamen Kombinationstherapie mit kürzerer Behandlungsdauer gesucht. Eine kürzlich publizierte Studie ergab, dass eine Kombinationstherapie aus Bedaquilin, Linezolid, Isoniazid, Pyrazinamid und Ethambutol für 8 Wochen der Standard-Vierfach-Therapie über 24 Wochen bei pulmonaler Tuberkulose mit Rifampicin-sensiblen Erregern nicht unterlegen ist.

Die Tuberkulose (Tbc) ist weltweit verbreitet und erfordert eine sehr sorgfältig einzuhaltende, langdauernde Kombinationstherapie: bisher in der Regel 6 Monate [2][3]. Nach Jahrzehnten der Stagnation in der pharmakologischen Forschung wurden in den letzten Jahren mit Unterstützung der WHO neue antimykobakterielle Wirkstoffe entwickelt [2]. Viele zielen ab auf die Behandlung von Patienten mit mehrfach resistenten M. tuberculosis-Stämmen, die weltweit zunehmen, aber auch auf eine Verkürzung der Therapiedauer [2]. Die Definition multiresistenter Tuberkulose-Erreger sowie die therapeutischen Empfehlungen wurden kürzlich von der WHO modifiziert [4][5].

  • MDR-Tbc = Multiresistente Tbc-Erreger (MultiDrug Resistant): gleichzeitige Resistenz mindestens gegen die beiden wirksamsten Erstrangmedikamente, Isoniazid und Rifampicin.
  • XDR-Tbc = Extensiv resistente Tbc-Erreger (EXtensively Drug Resistant): zusätzliche Resistenz gegen alle Fluorchinolone und gegen eines der injizierbaren Zweitrangmedikamente Amikacin, Capreomycin oder Kanamycin.

Durch die neuen Wirkstoffe wurden kürzere Behandlungszeiten bei der MDR- und XDR-Tuberkulose möglich [3]. Über die ersten klinischen Studien mit Bedaquilin sowie Delamanid bei Patienten mit MDR pulmonaler Tbc haben wir berichtet [2][6]. Ein weiteres Tuberkulostatikum, Pretomanid, ein Nitroimidazon-Oxazin, ist Bestandteil der Kombinationstherapie bei MDR- und XDR-Tbc geworden [7]. In Deutschland werden jährlich ca. 4.000 Neuerkrankungen an Tbc gemeldet; nur bei ca. 100 werden Infektionen mit MDR-/XDR-Bakterien nachgewiesen [8]. Es ist aber zu erwarten, dass diese Erreger durch Zuwanderung von Personen, vor allem aus den Kaukasusländern und der Ukraine, zunehmen werden. Besonders für Tbc-Patienten ohne resistente Erreger wird seit langem eine kürzere Behandlungsdauer gewünscht. Dies vor allem deshalb, weil die Therapie-Adhärenz während der langen Behandlungsdauer abnimmt und dadurch die Bildung von Resistenzen steigt. Diese Probleme sind besonders in Ländern mit armer Bevölkerung relevant. Eine größere Studie zeigte bereits, dass eine Verkürzung der Therapie auf 4 Monate durch Erhöhung der Rifampicin-Dosis und Zugabe von Moxifloxacin möglich ist [9]. Dies hat aber bisher die Therapieempfehlungen nicht geändert. Nun hat eine neue Studie (Akronym: TRUNCATE-TB) eine Verkürzung der Therapie auf 8 Wochen durch Erweiterung der Mehrfachtherapie mit neuen Wirkstoffen bei Patienten mit pulmonaler Tbc und Rifampicin-sensiblen Erregern geprüft [10].

Studien zur Behandlung der Tbc werden meist mit öffentlichen Mitteln und selten von der Pharmaindustrie durchgeführt. Tbc ist in Industrieländern nicht sehr häufig und nach Einschätzung pharmazeutischer Unternehmer wenig rentabel. So wurde auch diese Studie von einer Gesundheitsbehörde in Singapur, dem „National Medical Research Council“, finanziert.

Methodik: Die Phase-II/III-Studie [10] war multinational, randomisiert, offen und auf Nichtunterlegenheit ausgelegt. Eingeschlossen wurden Patienten zwischen 18 und 65 Jahren mit Symptomen einer pulmonalen Tbc, oder sie mussten im Röntgen-Thorax Infiltrate haben, die eine Tbc wahrscheinlich machten. Die PCR auf Tbc musste bei allen positiv sein, und die Erreger durften nicht Rifampicin-resistent sein (mittels PCR getestet). Patienten, die HIV-positiv waren oder Grad 3 oder mehr Positivität im Sputum aufwiesen (Einteilung von + bis ++++ oder Gaffky-Score Grad 1-10; 1 bedeutet: 1000 Bakterien/ml = 1-4 Bakterien/Objektträger; 10 = 108 Bakterien/ml in der Ziehl-Neelsen-Färbung: in Deutschland müssen Patienten, deren Sputum in der Ziehl-Neelsen-Färbung positiv ist, isoliert werden) oder eine Kaverne von > 4 cm Durchmesser in der Röntgen-Thoraxaufnahme hatten, wurden von der Studie ausgeschlossen.

Eine Gruppe (n = 181) erhielt die Standard-Therapie (Rifampicin plus Isoniazid für 24 Wochen und in den ersten 8 Wochen zusätzlich Pyrazinamid und Ethambutol). Vier experimentelle Gruppen erhielten vergleichsweise eine nur 8-wöchige, aber intensivierte Therapie mit 5 bzw. 6 Wirkstoffen. Eine dieser Gruppen (n = 184) erhielt Rifampicin in einer höheren Dosierung (35 mg/kg) plus Linezolid (1.200 mg/d), eine weitere Gruppe (n = 78) Rifampicin in der höheren Dosierung plus Clofazimin, eine dritte (n = 42) erhielt Rifapentin (in der EU zugelassen für die Tbc-Kombinationstherapie; „Orphan drug“; bei > 50 kg Körpergewicht 900 mg/d) plus Linezolid (in dieser Gruppe wurde Ethambutol durch Levofloxacin ersetzt); die vierte Gruppe (n = 189) erhielt Bedaquilin (400 mg einmal täglich für 2 Wochen, dann 200 mg dreimal pro Woche im Abstand von 48 Stunden unter regelmäßigen EKG-Kontrollen wegen möglicher Kardiotoxizität und QTc-Zeit-Verlängerungen und dadurch entstehender gefährlicher Herzrhythmusstörungen; die häufigste Nebenwirkung ist aber Übelkeit) plus Linezolid. Alle experimentellen Gruppen erhielten als Basismedikation Isoniazid, Ethambutol und Pyrazinamid. Die Patienten wurden engmaschig kontrolliert hinsichtlich ihres Befindens und der mikrobiologischen Befunde. Bei Versagen der Therapie konnte sie zunächst verlängert und ab Woche 12 auf die Standard-Therapie umgestellt werden. Der primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus Tod, weiterhin aktiver Tbc sowie weiterhin bestehendem Bedarf einer antituberkulösen Therapie nach 96 Wochen. Die Grenze für Nichtunterlegenheit wurde mit 12% festgesetzt.

Klinische Visiten fanden alle 1-4 Wochen in den ersten 24 Wochen statt, danach alle 12 Wochen bis Woche 96. Zwischen den klinischen Visiten wurde einmal im Monat zusätzlich eine telefonische Befragung durchgeführt. Dabei wurden neben den klinischen Daten auch Nebenwirkungen und Therapie-Adhärenz geprüft. Eine Röntgenaufnahme des Thorax wurde vor Therapie, nach 8 Wochen und in der 96. Woche durchgeführt und darüber hinaus bei Verdacht auf einen Rückfall. Sputum wurde bei jeder Visite direkt mikroskopisch und auch mittels Flüssigkultur untersucht. Zusätzlich wurden Lungenfunktionsteste durchgeführt.

Ergebnisse: Vom März 2018 bis Januar 2020 wurden 1.179 Patienten untersucht, von denen 674 in die „Intention-to-treat“-Analyse eingehen konnten. Diese Patienten kamen von 18 Zentren in Indonesien, den Philippinen, Thailand, Uganda und Indien. Von allen diesen Patienten gingen 4 (0,6%) im Verlauf verloren (z.B. Zustimmung zurückgezogen). Die Patienten-Charakteristika waren in allen Gruppen etwa gleich. Alle 660 Patienten, die in Woche 96 noch lebten, wurden dann, wie vorgesehen, evaluiert (643 persönlich, 17 telefonisch). In der Standard-Gruppe beendeten 98,3% der Teilnehmer die 24-wöchige Therapie, und 3,3% mussten erneut therapiert werden. In den anderen Gruppen zusammen beendeten 91,5% (von 73,8% bis 94,7%) die 8-wöchige Therapie. Insgesamt 6,5% wechselten zur Standardtherapie, hauptsächlich wegen Nebenwirkungen. Insgesamt benötigten 17% eine erneute Therapie.

Der primäre kombinierte Endpunkt wurde von 7 der 181 Teilnehmer (3,9%) in der Gruppe mit Standard-Therapie erreicht. In den vier experimentellen Gruppen mit 8-wöchiger Therapie waren es 21 von 184 (11,4%) in der Gruppe mit Rifampicin/Linezolid (angepasste Differenz: 7,4 Prozentpunkte; 97,5%-Konfidenzintervall = CI: 1,7-13,2; Nichtunterlegenheit nicht erreicht); 11 von 189 (5,8%) der Teilnehmer in der Gruppe mit Bedaquilin/Linezolid (angepasste Differenz: 0,8 Prozentpunkte; CI: -3,4 bis 5,1; Nichtunterlegenheit erreicht). Verschiedene zusätzliche statistische Tests zur Überprüfung der Verlässlichkeit, wie beispielsweise Einbeziehen von Kriterien zur Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls, bestätigten die Ergebnisse. In den beiden anderen Gruppen wurden Patienten nicht bis zur vorgesehenen Anzahl rekrutiert. Die mediane Therapiedauer betrug 180 Tage in der Gruppe mit Standard-Therapie, 106 Tage in der Rifampicin/Linezolid-Gruppe und 85 Tage in der Bedaquilin/Linezolid-Gruppe. Nebenwirkungen des Grads 3 und 4 waren in den Gruppen nicht unterschiedlich.

Ein Kommentar zu dieser Studie [11] hebt hervor, dass der hier gewählte adaptive methodische Ansatz weitere Therapiestudien bei Tbc beschleunigen kann. Die Verkürzung der Therapie könnte die Entwicklung von Resistenzen begünstigen. Allerdings war in dieser Studie die Resistenzentwicklung sehr gering: bei einem Patienten in der Standard-Therapiegruppe und bei zwei Patienten in der Gruppe mit Bedaquilin/Linezolid. Im Kommentar wird auch darauf hingewiesen, dass die Therapie-Adhärenz in dieser Studie deutlich höher war als sie in der „realen Welt“ zu erwarten ist [11].

Literatur

  1. https://www.dzk-tuberkulose.de/aerzte/aktuelle-situation-weltweit/#:~:text=Aktuelle%20Tuberkulosesituation%20weltweit,folglich%20unbehandelten%20Tuberkulosef%C3%A4lle%20vermutlich%20gestiegen (Link zur Quelle)
  2. AMB 2014, 48, 57. (Link zur Quelle)
  3. RKI: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Tuberkulose.html (Link zur Quelle)
  4. https://www.who.int/publications/i/item/WHO-UCN-TB-2022-2 (Link zur Quelle)
  5. https://www.who.int/publications/i/item/9789240063129 (Link zur Quelle)
  6. AMB 2012, 46, 53. (Link zur Quelle)
  7. Dawson, R., et al.: Lancet 2015, 385, 1738. (Link zur Quelle)
  8. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/11/Tabelle.html (Link zur Quelle)
  9. Dorman, S.E., et al.: N. Engl. J. Med. 2021, 384, 1705. (Link zur Quelle)
  10. Paton, N.I., et al. (TRUNCATE-TB = Two-month Regimens Using Novel Combinations to Augment Treatment Effectiveness for drug-sensitive Tuberculosis): N. Engl. J. Med. 2023, 388, 873. (Link zur Quelle)
  11. Dartois, V., und Rubin, E.J.: N. Engl. J. Med. 2023, 388, 939. (Link zur Quelle)