Glaukompatienten werden oft mit Timolol- oder Prostaglandin-Augentropfen behandelt. Timolol ist ein nicht-selektiver Betarezeptoren-Blocker, der nach konjunktivaler Anwendung zum größten Teil durch den Canalis nasolacrimalis in die Nase fließt und dann schnell durch die Nasenschleimhaut absorbiert und in den Systemkreislauf eingeschleust wird.
Im BMJ berichten M.E. Müller et al. aus Holland über drei Mitte-70-jährige Patienten, die mit größter Wahrscheinlichkeit infolge des Gebrauchs von Timolol-Augentropfen (0,5%ig) Synkopen, Stürze oder Schwindelanfälle erlitten.
Patient 1 ist ein Mann mit Zustand nach Herzinfarkt, Diabetes mellitus und Glaukom, der mehrfach starken Schwindel mit Atemnot erlitt. Hypoglykämien konnten bei dem Insulin-spritzenden Patienten als Ursache ausgeschlossen werden. Außer Insulin und zweimal täglich Timolol-Augentropfen nahm er ein Coumarin-Präparat und Alfuzosin (Urion®, Uroxatral®), einen Alpha-Rezeptoren-Blocker, ein. Bei der Untersuchung hatte er keine orthostatische Hypotension, war aber bradykard. Im Langzeit-EKG fielen mehrere Episoden von Sinusbradykardie mit Frequenzen von minimal 43/Min. auf. Es ergab sich der Verdacht, dass die bradykarden Episoden und der Schwindel durch Timolol verursacht waren. Nachdem der Augenarzt auf Latanoprost-Augentropfen (ein Prostaglandin-F2-Analogon, Xalatan®) umgestellt hatte, ereigneten sich innerhalb 18 Monaten keine Schwindelanfälle mehr, und das Langzeit-EKG war unauffällig.
Patient 2 ist eine Frau, die fünf Jahre lang immer wieder einmal unerwartet hingefallen war. Zusätzlich hatte sie oft Schwindel und Schwäche in beiden Armen. Seit fünf Jahren wurde sie wegen eines Glaukoms mit Timolol- und Latanoprost-Augentropfen behandelt. Bei der Untersuchung hatte sie eine deutliche orthostatische Hypotonie mit nur geringem Pulsanstieg im Stehen. Ein ähnlicher Befund ergab sich beim Kipptisch-Versuch. Da der Augeninnendruck durch die beiden Augentropfen nur wenig gesenkt worden war, setzte der Augenarzt die Medikamente ab und operierte die Patientin. Seit einem Jahr hatte sie nunmehr keine Stürze und keine Schwindelanfälle mehr.
Patient 3 ist ein Mann mit metastasierendem Prostata-Karzinom, Hypertonie und Glaukom. Seit zwei Jahren war er fast jede Woche einmal hingefallen, zum Teil mit Bewusstseinsverlust, und litt zusätzlich unter Leeregefühl im Kopf nach dem Aufstehen. Er nahm folgende Medikamente ein: Losartan (Lorzaar®), ASS, und je zweimal täglich Latanoprost- und Timolol-Augentropfen. Beim Stehversuch und auf dem Kipptisch hatte er einen deutlichen Blutdruckabfall ohne Anstieg bzw. mit Abnahme der Pulsfrequenz, dabei Prodromi einer Synkope. Bei einem zweiten Kipptisch-Versuch trat eine vagovasale Synkope mit Abfall der Pulsfrequenz auf 40/Min. ein. Nach Absetzen der Timolol-Tropfen hatte der Patient für nunmehr ein Jahr keine Stürze und Schwindelanfälle mehr.
In der zitierten Literatur sind mehrere weitere Fälle von bradykarden Kreislaufstörungen bei älteren Patienten, die Timolol-Augentropfen benutzten, dokumentiert. Selbst bei jungen Versuchspersonen führten zwei Tropfen 0,5%iges Timolol zu einem deutlichen Abfall der Herzfrequenz und im Echokardiogramm zu einer Verlängerung der Prä-Ejektionszeit als Zeichen eines negativ inotropen Effekts von Timolol (2). Bei älteren Menschen mit vorbestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder zerebralen Durchblutungsstörungen können diese Effekte offenbar zu einem deutlichen symptomatischen Blutdruckabfall führen. UAW von Betablocker-haltigen Augentropfen sind auch im Arzneiverordnungsreport 2005 erwähnt. Neben Timolol gibt es in Deutschland Augentropfen mit den Betablockern Metipranolol (Betaman®), Levobunolol (Vistagan®), Betaxolol (Betoptima®) und Carteolol (Arteoptic®; 3).
Fazit: Bei älteren Menschen mit Glaukom, Schwindel, Fallneigung oder Synkopen sollte auch an die Möglichkeit der Verursachung durch Augentropfen, die Betarezeptoren-Blocker enthalten, gedacht werden.
Literatur
- Müller, M.E.: BMJ 2006, 332, 960. Link zur Quelle
- Leier, C.V., et al.: Ann. Intern. Med. 1986, 104, 197. Link zur Quelle
- Lose, M.J., in Schwabe, U., und Paffrath, D.: Arzneiverordnungs-Report 2005. Springer, Berlin, Heidelberg, New York. S. 799.