Blutdruckwerte von 130-139 mm Hg systolisch oder von 85-89 mm Hg diastolisch werden sowohl in den Leitlinien der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (1) als auch in der Leitlinie der European Society of Hypertension (2) als noch normal bzw. hochnormal bezeichnet. Für diesen Blutdruckbereich wird, wenn keine anderen Risikofaktoren vorhanden sind, in beiden Leitlinien keine Pharmakotherapie, sondern „Lebensstilmodifikation” vorgeschlagen. Muss sich das etwa ändern?
Im April 2006 erschien im N. Engl. J. Med. die multizentrische, randomisierte, verblindete, von AstraZeneca finanziell und personell unterstützte TROPHY-Studie (3). Einschlusskriterien waren RR systolisch 130-139 mm Hg und RR diastolisch < 90 mm Hg oder RR systolisch < 140 mm Hg und RR diastolisch 85-89 mm Hg. Dieser noch normale Blutdruckbereich wird „Prehypertension” genannt. Das klingt nach Krankheit. Komorbiditäten sind nicht erwähnt. 809 Patienten wurden randomisiert in zwei Gruppen eingeteilt. 409 Patienten erhielten zwei Jahre lang 16 mg/d Candesartan (Atacand®) und 400 Plazebo. Alle wurden ausführlich und regelmäßig zur Änderung des Lebensstils (z.B. Diät, Bewegung) angeleitet. Im dritten und vierten Jahr wurden alle mit Plazebo weiterbehandelt. Endpunkte der Studie waren entweder ein Blutdruckwert ≥ 140/ ≥ 90 mm Hg bei drei Untersuchungen während der vierjährigen Studie oder bei der letzten Untersuchung nach vier Jahren (Hypertonie Grad 1)oder ≥ 160 / ≥ 100 mm Hg bei einer Kontrolluntersuchung. War ein Endpunkt erreicht, wurde unter der Diagnose ”Hypertonie” die offene Pharmakotherapie mit Metoprolol (50 mg/d) oder Hydrochlorothiazid (12,5 mg/d) eingeleitet. Das mittlere Lebensalter der Patienten war ~ 49 Jahre, etwa 60% waren Männer. Innerhalb von vier Jahren erreichten 53,2% in der Candesartan-Gruppe einen Endpunkt und 63,0% in der Plazebo-Gruppe. Der Unterschied ist gering, aber statistisch signifikant (p = 0,007). In der Mehrzahl handelte es sich dabei um RR ≥ 140/90 mm Hg bei drei Untersuchungen. Nur ein Patient in der Candesartan-Gruppe und sechs Patienten in der Plazebo-Gruppe hatten ernste kardiovaskuläre Komplikationen. Die Zusammenfassung lautet: Die Behandlung von noch normalen Blutdruckwerten scheint machbar (feasible) zu sein. Untergruppen (Diabetes mellitus, arterielle Gefäßkrankheit) werden nicht angesprochen.
H. Schunkert (Lübeck) ist der Autor des kritischen Editorials in der selben Nummer des N. Engl. J. Med. (4). Er macht darauf aufmerksam, dass in der Studie „Hypertonie” ungewöhnlich definiert ist, nämlich: Mittelwert aus drei Kontrollmessungen während vier Jahren > 139/89 mm Hg. Durch diese (willkürliche) Definition wird die Zahl neuer Hypertonie-Patienten erhöht und die Candesartan-Gruppe bevorteilt. Das Ergebnis der TROPHY-Studie ist stark durch das Design beeinflusst. Behandlungsbedürftigkeit aller Patienten mit noch normalen Blutdruckwerten kann daraus nicht abgeleitet werden. „Mission accomplished?” ist die Überschrift dieses Editorials. Ähnlich kritisch sind vier Leserbriefe (7). Die Autoren antworten, sie hätten mit ihrer Untersuchung die Grundlage schaffen wollen für Überlegungen und neue Studien, die klären, ob es behandlungsbedürftige Untergruppen gäbe. Auf die Ergebnisse dieser Studien müssen wir warten.
Im November 2006 wurden erste Ergebnisse der bisher unveröffentlichten, von Sanofi/Aventis unterstützten, kontrollierten, multizentrischen PHARAO-Studie (Prevention of Hypertension with the ACE-Inhibitor Ramipril in patients with high normal blood pressure) der Deutschen Hochdruckliga (5, 6) vorgestellt. Bei den 505 mit Ramipril behandelten Patienten entwickelte sich während der drei Beobachtungsjahre signifikant seltener eine arterielle Hypertonie als in der nicht behandelten Gruppe (30,7% vs. 42,9%; p = 0,0001). Neben den RR-Messungen in der Praxis wurde regelmäßig RR-Langzeit-Monitoring durchgeführt. Die Ergebnisse waren je nach der Messmethode und den damit verbundenen Definitionen sehr unterschiedlich. Die PHARAO-Studie kann erst endgültig bewertet werden, wenn die Daten insgesamt veröffentlicht sind. Offenbar hat auch hier die Wahl der Definition von „hochnormal” und „Hypertonie” Einfluss auf das Ergebnis. Die Zahl der kardiovaskulären Komplikationen in beiden Gruppen ist noch nicht mitgeteilt. Solange sich hier keine beachtlichen Unterschiede finden, handelt es sich um Zahlenspiele. „Mission accomplished”?
Fazit: Hochnormale Blutdruckwerte sind – für sich genommen – kein Grund für eine antihypertensive Pharmakotherapie.
Literatur
- Arzneiverordnung in der Praxis 2004, 31, Sonderheft 2.
- European Society of Hypertension-European Society of Cardiology Guidelines Committee: J. Hypertension 2003, 21, 1011. Link zur Quelle Erratum in: J. Hypertens. 2003, 21, 2203 und 2004, 22, 435.
- Julius, S., et al. (TROPHY = TRial Of Preventing Hypertension): N. Engl. J. Med. 2006, 354, 1685. Link zur Quelle
- Schunkert, H.: N. Engl. J. Med. 2006, 354, 1742. Link zur Quelle
- Ärzte-Zeitung 17. Apr. 2000.
- Lüders, S., et al.: Dtsch. Med. Wochenschr. 2006, 131, S147.
- Correspondence: N. Engl. J. Med. 2006, 355, 416. Link zur Quelle