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Strenge Blutzuckerkontrolle bei Intensiv-Patienten erhöht Hypoglykämie-Risiko und Letalität

Über spezielle Therapieversuche zur Senkung der Letalität bei Patienten auf Intensiv-Stationen, speziell bei solchen mit septischem Schock, haben wir mehrfach berichtet. Eine erhöhte Letalität durch eine schwer zu erkennende „relative Nebennierenrinden-Insuffizienz” kann bei einigen Patienten durch Hydrokortison-Infusionen reduziert werden (1), jedoch haben neuere Studien diese Aussage wieder infrage gestellt (2, 3). Versuche, das gestörte Gerinnungssystem bei septischem Schock durch Infusion von aktiviertem Protein C (4) oder Antithrombin III oder des Gewebefaktor-Hemmstoffs Tifacogin (5) zu korrigieren, verbesserten die Überlebensraten nicht generell. Patienten mit septischem Schock haben sehr niedrige Plasma-Konzentrationen von Selen und des wichtigen Selenoproteins Glutathion-Peroxidase. Versuche, dem großen oxidativen Stress bei diesem Syndrom durch Infusion von Selen-Präparaten zu begegnen, haben in kleineren Studien (6), nicht aber in einem größeren Multicenter-RCT (7) zu einer Senkung der Letalität geführt.

Im vorigen Jahr haben wir über eine Studie berichtet, bei der zwei Therapieaspekte, nämlich die Volumensubstitution mit Ringerlösung oder mit 10%iger HES-Lösung sowie eine strenge Blutzucker(BZ)-Einstellung mit konventioneller BZ-Einstellung verglichen wurden (8). Die Studie wurde wegen erhöhter Letalität in der HES-Gruppe abgebrochen, jedoch ergaben sich auch in der Gruppe mit straffer BZ-Einstellung gehäuft Komplikationen, besonders durch Hypoglykämien, aber ohne erhöhte Letalität im Vergleich mit konventioneller BZ-Einstellung.

Im N. Engl. J. Med. wurden jetzt die Ergebnisse der NICE-SUGAR-Studie veröffentlicht, die multizentrisch in Australien und Neuseeland durchgeführt wurde (9). 6 106 Intensivstation(ICU)-Patienten (nicht nur mit Sepsis), die voraussichtlich mindestens drei Tage auf der ICU verbleiben sollten, wurden in zwei Zielgruppen randomisiert; A: Der Blutzucker sollte zwischen 81 und 108 mg/dl gehalten werden; B: Der Blutzucker sollte < 180 mg/dl gehalten werden. Die meisten Patienten wurden künstlich beatmet und enteral ernährt. Endpunkt war die Letalität bis zum 90. Tag nach Randomisierung. Von den 3 010 bzw. 3 012 Patienten in Gruppe A bzw. B waren nach 90 Tagen 27,5% bzw. 24,9% gestorben. Das relative Letalitätsrisiko war mit 1,14 (95%-Konfidenzintervall: 1,02-1,28) in Gruppe A signifikant höher (p = 0,02). Schwere Hypoglykämien (BZ < 40 mg/dl) waren in Gruppe A, wie zu erwarten, mit 6,8% signifikant häufiger (p < 0,001) als in Gruppe B (0,5%). Die höhere Letalität in Gruppe A, die in einer graphischen Darstellung erst ab dem 10. Tag nach Randomisierung erkennbar wird, war überwiegend durch kardiovaskuläre Komplikationen bedingt. Obwohl die statistische „Power” dieser Studie sehr groß ist, sind die Autoren nicht in der Lage, den wichtigsten Grund für die höhere Letalität in Gruppe A zu benennen. Die Hypoglykämien waren in der gut überwachten Studie bei keinem Patienten die unmittelbare Todesursache.

Fazit: Bei Intensivstation-Patienten bringt der Versuch einer streng normoglykämischen Blutzucker-Einstellung mittels Insulin gegenüber der Vermeidung von Hyperglykämien > 180 mg/dl keinen Vorteil. Im Gegenteil, die Sterblichkeit bei strenger BZ-Einstellung war in dieser großen Studie signifikant höher. Das Ergebnis erinnert an die ACCORD-Studie bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, in der eine nahezu normoglykämische BZ-Einstellung im Vergleich mit einer weniger strengen Einstellung ebenfalls zu höherer Letalität führte, ohne dass die genauen Ursachen hierfür benannt werden konnten (10).

Literatur

  1. AMB 2003, 37, 57. Link zur Quelle
  2. Sprung, C.L., et al. (CORTICUS = Corticosteroid therapy of septic shock study): N. Engl. J. Med. 2008, 358, 111. Link zur Quelle
  3. Marik, P.E., et al.: Crit. Care Med. 2008, 36, 1937. Link zur Quelle
  4. AMB 2004, 38, 17. Link zur Quelle
  5. AMB 2004, 38, 19. Link zur Quelle
  6. Gärtner, R., et al.: Biofactors 2001, 14, 199. Link zur Quelle
  7. Forceville, X.: J. Trace Elem. Med. Biol. 2007, 21 (Suppl. 1), 62. Link zur Quelle
  8. AMB 2008, 42, 55. Link zur Quelle
  9. The NICE-SUGAR study investigators (Normoglycemia in Intensive Care Evaluation-Survival Using Glucose Algorithm Regulation): N. Engl. J. Med. 2009, 360, 1283. Link zur Quelle
  10. AMB 2008, 42, 27 Link zur Quelle und 59. Link zur Quelle