Die Immunthrombozytopenie (ITP) ist eine immunologisch vermittelte, isolierte Thrombozytopenie, bei der Antikörper gegen die körpereigenen Thrombozyten gebildet werden. Dabei ist sowohl der Abbau als auch die Neubildung der Thrombozyten gestört. Infolge der Verfügbarkeit von zwei neuen Arzneimitteln aus der Wirkstoffgruppe der Thrombopoetin(TPO)-Rezeptor-Agonisten, Romiplostim (Nplate®) und Eltrombopag (Revolade®), haben sich die Therapieempfehlungen für die Zweit- bzw. Drittlinientherapie der ITP geändert. Nationale sowie nordamerikanische Leitlinien der American Society of Hematology (ASH) wurden kürzlich aktualisiert (1, 2). Vor zwei Jahren haben wir ausführlich über Romiplostim als neue Therapieoption der ITP berichtet (3). Romiplostim ist indiziert zur Behandlung splenektomierter Patienten mit chronischer ITP, die gegenüber anderen Therapien (z.B. Kortikosteroide) refraktär sind. Es kann auch als Zweitlinientherapie für erwachsene, nicht splenektomierte Patienten in Betracht gezogen werden, wenn eine Operation kontraindiziert ist. Im März 2010 wurde mit Eltrombopag ein weiterer Wirkstoff zugelassen, der über Interaktion mit dem TPO-Rezeptor die Proliferation und Differenzierung der Megakaryozyten aus den Vorläuferzellen im Knochenmark stimuliert (4, 5). Im Unterschied zu dem einmal wöchentlich s.c. zu injizierenden Romiplostim ist das „small molecule” Eltrombopag täglich oral einzunehmen. Die Indikationen für Eltrombopag entsprechen denen für Romiplostim. Die empfohlene Anfangsdosis von Eltrombopag beträgt 50 mg einmal täglich. Anschließend sollte die Dosierung von Eltrombopag individuell an die Thrombozytenzahlen angepasst werden, wobei ein Zielwert von > 50.000/µl angestrebt wird. Bei Patienten ostasiatischer Abstammung und bei Patienten mit Leberinsuffizienz sollte die Behandlung mit reduzierter Dosis begonnen werden (25 mg einmal täglich). Bei einem Abbruch der Behandlung mit Eltrombopag ist es wahrscheinlich, dass die Thrombozytopenie wiederkehrt (4).
Da die ITP selten ist (Prävalenz 1-4 pro 10.000 Personen in der Europäischen Union; 5) wurden Eltrombopag und Romiplostim als Arzneimittel für seltene Krankheiten („orphan medicine”) von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zugelassen.
Für die Zulassung wurden u.a. zwei randomisierte doppeltblinde plazebokontrollierte Phase-III-Studien (TRA100773B und RAISE) vorgelegt (5). Beide Studien wurden vom Hersteller GlaxoSmithKline (gsk) finanziert. Die Autoren der Publikationen deklarieren teils umfangreiche finanzielle Verbindungen mit gsk, und mehrere sind direkt beim Hersteller angestellt. Außerdem waren Angestellte von gsk bei der Verwaltung, statistischen Auswertung und Analyse der Studiendaten oder bei der Erstellung des Manuskripts beteiligt (6, 7).
In der TRA100773B-Studie wurden 114 Patienten mit vorbehandelter chronischer ITP im Verhältnis von 2:1 randomisiert und entweder mit Eltrombopag, beginnnend mit 50 mg/d (n = 76), oder mit Plazebo (n = 38) behandelt (6). Der primäre Endpunkt der Studie war der Anteil von Patienten mit einem Anstieg der Thrombozytenwerte auf ≥ 50.000/µl am Tag 43 bei einem Ausgangswert von < 30.000/µl. Sechs Wochen nach Randomisierung hatten in der mit Eltrombopag behandelten Gruppe signifikant mehr Patienten den Thrombozytenzielwert erreicht als in der Plazebo-Gruppe (43/73 = 59% vs. 6/37 = 16%; p = 0,001).
Die Wirksamkeit einer länger dauernden Therapie mit Eltrombopag wurde in der RAISE-Studie geprüft (7). Eingeschlossen wurden 197 erwachsene Patienten mit chronischer ITP und Thrombozytenwerten < 30.000/µl, die auf mindestens eine Therapie vorher nicht angesprochen hatten. Die Patienten wurden ebenfalls im Verhältnis 2:1 randomisiert und entweder mit Eltrombopag (beginnend mit 50 mg einmal täglich) oder Plazebo sechs Monate lang behandelt. Primärer Endpunkt der Studie war die Wahrscheinlichkeit, während der 6-monatigen Studiendauer eine Thrombozytenzahl zwischen 50.000 und 400.000/µl zu erreichen. Zu den sekundären Endpunkten gehörte der Anteil von Patienten, die eine Notfalltherapie benötigten, sowie die Inzidenz und Schwere von Symptomen der ITP, einschließlich Blutungen. In der Intention-to-treat-Analyse zeigte sich, dass für die mit Eltrombopag behandelten Patienten eine etwa achtmal höhere Wahrscheinlichkeit bestand als unter Plazebo, während der sechsmonatigen Behandlung eine Thrombozytenzahl zwischen 50.000 und 400.000/µl zu erreichen (Odds ratio: 8,2; 99%-Konfidenzintervall: 3,59-18,73; p < 0,0001). Sechs Wochen nach Behandlungsbeginn fanden sich bei 54% (73/134) der mit Eltrombopag behandelten Patienten und bei 14% (8/59) der mit Plazebo behandelten Patienten entsprechende Thrombozytenwerte. Dieser Anteil von Patienten, die auf eine Behandlung ansprachen, blieb während der gesamten Studiendauer bis zum Ende des 6-monatigen Behandlungszeitraums annähernd stabil (5). Außerdem benötigten weniger Patienten unter Eltrombopag im Vergleich zu Plazebo Notfalltherapien (24/135 = 18% vs. 25/62 = 40%; p = 0,001) oder erlitten klinisch bedeutsame Blutungen (WHO-Grad 2 bis 4: 44/135 = 33% vs. 32/62 = 53%; p = 0,002; 4). Bei den schweren Blutungen (WHO-Grad 3 und 4) bestanden allerdings keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen (9).
Die Ergebnisse einer offen durchgeführten Fortsetzungsstudie (EXTEND = Eltrombopag eXTENded Dosing study) zeigten eine dauerhafte Thrombozytenproduktion bei 299 ITP-Patienten, von denen wenige (n = 17) bis zu zwei Jahre lang mit Eltrombopag behandelt wurden (4, 5).
In einer weiteren offen durchgeführten Studie (REPEAT = Repeated ExPosure to Eltrombopag in Adults with idiopathic Thrombocytopenic purpura) mit wiederholter Gabe von Eltrombopag (3 Zyklen à 6 Wochen Behandlung, gefolgt von jeweils 4 Wochen ohne Behandlung) ergab sich, dass eine solche intermittierende Anwendung in mehreren Zyklen keinen Verlust des Ansprechens mit sich brachte (4, 5).
Zu den unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) unter der Therapie mit Eltrombopag gehören Kopfschmerzen, Übelkeit, erhöhte Transaminasen, Diarrhö und Müdigkeit. Hinweise auf weitere Risiken, wie Thrombosen, Katarakte, Phototoxizität, Retikulinablagerungen im Knochenmark und hämatologische Neoplasien, sind bisher unzureichend untersucht (3, 5, 9). Eine Studie bei Patienten mit chronischen Lebererkrankungen, die 75 mg Eltrombopag erhielten, wurde auf Grund erhöhter thromboembolischer Ereignisse aus Sicherheitsgründen abgebrochen. Daraus ergab sich eine Anwendungsbeschränkung von Eltrombopag für Patienten mit ITP und mäßiger bis schwerer Leberfunktionsstörung (4, 5). Da unter Eltrombopag erhöhte Leberwerte gefunden wurden, sollten diese regelmäßig kontrolliert werden. Weitere UAW, Kontraindikationen, Wechselwirkungen und Hinweise sind in der Fachinformation aufgeführt (4).
Die Therapiekosten von Revolade® sind abhängig von gewählter Dosierung und Dauer der Anwendung. Packungen mit 28 Tabletten Revolade® 50 mg sind ab 2.564,66 € erhältlich (10). Die Arzneimittelkosten für eine Therapie mit 50 mg Revolade® über ein Jahr liegen demnach bei ca. 33.432 €.
Zur Wirksamkeit und Sicherheit von Romiplostim und Eltrombopag liegen keine direkten Vergleiche vor. Indirekte Vergleiche sprechen für eine niedrigere Ansprechrate der Thrombozytenwerte unter Eltrombopag. Diese Ergebnisse sind jedoch unsicher, da in die entsprechenden Studien unterschiedliche Patienten eingeschlossen waren und die Ansprechrate kein vorab festgelegter Endpunkt in der einbezogenen Eltrombopag-Studie war (8).
Fazit: Mit Eltrombopag wurde nach Romiplostim ein weiterer TPO-Agonist zur Zweit- bzw. Drittlinientherapie der ITP zugelassen, der im Unterschied zu Romiplostim oral einzunehmen ist. Für ITP-Patienten ist die Wahrscheinlichkeit, ausreichende Thrombozytenwerte zu erreichen und weniger Blutungen zu erleiden, unter Eltrombopag größer als unter Plazebo. Indirekte Vergleiche von Eltrombopag und Romiplostim deuten auf eine geringere Wirksamkeit von Eltrombopag hin. Nach dem Absetzen von TPO-Agonisten fallen die Thrombozytenwerte schnell wieder ab. Zu Wirksamkeit und Sicherheit einer länger dauernden Therapie mit TPO-Agonisten liegen keine ausreichenden Daten vor. Deshalb sollten nur Patienten behandelt werden, die auf etablierte Therapien (z.B. Kortikosteroide, Splenektomie) nicht ansprechen (1, 2). Dabei sollte sich die Entscheidung zur Therapie mit Romiplostim oder Eltrombopag primär an der Blutungsneigung und nicht an der Thrombozytenzahl orientieren (1).
Literatur
- Matzdorff, A., et al.:Onkologie 2010, 33 Suppl. 3, 2 20484949.
- Neunert, C., et al.:Blood 2011, 117, 4190 21325604.
- AMB 2009, 43,77. Link zur Quelle
- GlaxoSmithKline: Fachinformation„Revolade® 50 mg Filmtabletten”. Stand: März 2010/2.
- EMA 2010: EuropeanPublic Assessment Report for Revolade, Link zur Quelle (Zuletzt geprüft: 1.8.2011.
- Bussel, J.B., et al.:Lancet 2009, 373, 641. Link zur Quelle
- Cheng, G., et al.(RAISE): Lancet 2011, 377, 393. Link zur Quelle
- National Institute forHealth and Clinical Excellence 2010: Eltrombopag for the treatment of chronicimmune (idiopathic) thrombocytopenic purpura, Link zur Quelle (Zuletzt geprüft: 1.8.2011).
- Anonym: PrescireInternational 2010, 19, 15.
- Lauertaxe: Stand15.6.2011