Wir hatten über den Einfluss von Azetylsalizylsäure (ASS) auf die Prävalenz des Kolonkarzinoms und auf das Überleben nach gestellter Diagnose in Studien berichtet, die diese Ereignisse nicht als Endpunkt definiert hatten (1, 2). Im Lancet ist jetzt eine prospektive Studie erschienen, die den Effekt von ASS auf die Prävention eines Kolonkarzinoms in einer Hochrisikogruppe, Patienten mit Lynch-Syndrom (hereditäres Kolonkarzinom ohne Polyposis = HNPCC), untersucht hat (3). Diese Patienten müssen wegen des hohen Karzinomrisikos sehr sorgfältig überwacht werden, denn ca. 70% entwickeln im Laufe ihres Lebens ein Kolonkarzinom. Zur Überwachung zählt unter anderem auch eine jährliche komplette Dickdarmspiegelung, um Kolonkarzinome möglichst früh zu entdecken.
Die Patienten wurden initial in vier Gruppen randomisiert: 1. ASS 600 mg/d plus säurefeste Stärke-Plazebo, 2. ASS-Plazebo plus säurefeste Stärke (30 g/d), 3. ASS plus säurefeste Stärke und 4. ASS-Plazebo plus säurefeste Stärke-Plazebo. Eine Auswertung der Studie nach im Median 29 Monaten zeigte keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich Adenomen oder Karzinomen in den beiden Gruppen (4). Ein nicht-signifikanter Unterschied hinsichtlich Neoplasien (8% in der ASS und 11% in der Plazebo-Gruppe) führte jedoch dazu, die Studie mit diesen beiden Gruppen zu verlängern. Der Endpunkt der Studie war die Diagnose eines Kolonkarzinoms, ein sekundärer Endpunkt das Auftreten von Adenomen (3).
Insgesamt wurden 427 Patienten in die ASS-Gruppe und 434 in die Plazebo-Gruppe randomisiert. Bei einer medianen Beobachtungszeit von 56 Monaten entwickelten 48 Teilnehmer der Studie ein Kolonkarzinom, 18 (4%) aus der ASS- und 30 (7%) aus der Plazebo-Gruppe. Die Hazard ratio (HR) von 0,63 (95%-Konfidenzintervall = CI: 0,35-1,13; p = 0,12) und die Poisson-Regression unter der Berücksichtigung multipler primärer Ereignisse zeigte eine Inzidenzratio von 0,56 (CI: 0,32-0,99; p = 0,05). In einer Per-Protokoll-Analyse von etwa 60% der Teilnehmer (258 in der ASS- und 250 in der Plazebo-Gruppe), die die Studienmedikation mindestens zwei Jahre lang eingenommen hatten (überprüft durch Tablettenzählung), war das Kolonkarzinom signifikant seltener: HR: 0,41 (CI: 0,19-0,86; p = 0,02) und Inzidenzratio 0,37 (CI: 0,18-0,78; p = 0,008). Während der Studie gab es hinsichtlich der UAW keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Andere Risikofaktoren wurden in der Studie sehr ausführlich berücksichtigt. So konnten auch regionale Unterschiede in der Inzidenz des Kolonkarzinoms für die Studienteilnehmer ausgeschlossen werden. Passend zur angenommenen Wirkweise von ASS bei der Prävention des Kolonkarzinoms (1), ist ein Unterschied in den Gruppen erst nach einem längeren Zeitraum messbar.
Fazit: Diese sorgfältige prospektive Studie mit Hochrisikopatienten für Kolonkarzinom (Lynch-Syndrom) zeigt, dass durch die Einnahme von 600 mg ASS täglich über im Median 25 Monate die Rate an Kolonkarzinomen gesenkt wird. Weitere Studien sind nötig, um optimale Dosierung und Dauer dieser Prophylaxe und die UAW zu ermitteln. Bei Patienten mit sehr hohem Risiko für Kolonkarzinom scheint ASS eine sinnvolle Ergänzung zu den üblichen Überwachungsmaßnahmen zu sein. Ob auch Patienten mit niedrigerem Risiko für Kolonkarzinom von ASS profitieren, ist nicht klar.
Literatur
- AMB 2010, 44,93. Link zur Quelle
- AMB 2010, 44,94a. Link zur Quelle
- Burn, J., et al. (CAPP2 = Colorectal Adenoma/carcinomaPrevention Programme2): Lancet 2011;vorveröffentlicht. Link zur Quelle
- Burn, J., etal. (CAPP2 = Colorectal Adenoma/carcinoma PreventionProgramme2): N. Engl. J. Med. 2008, 359, 2567 Link zur Quelle. Erratum: N. Engl. J. Med. 2009, 360, 1470.