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Rifaximin ist keine gute Wahl beim Reizdarm-Syndrom

Wir hatten mehrfach über Versuche berichtet, für das schwer resorbierbare Antibiotikum Rifaximin (Xifaxan®) eine Indikation zu schaffen (1, 2). Zunächst ging es um die Reisediarrhö (3), dann um die hepatische Enzephalopathie (4) und jetzt um den Reizdarm (5).

In der jetzt vorgestellten Studie, die vom Hersteller Salix Pharmaceuticals konzipiert und finanziert wurde, hat man sich nun ein schwer definierbares, aber sehr weit verbreitetes Beschwerdebild – den Reizdarm – als Ziel vorgenommen und für die Vermarktung von Rifaximin entdeckt – ein potenziell sehr großer Markt. In den westlichen Ländern geht man davon aus, dass 10-20% der Erwachsenen an Reizdarm-Symptomen leiden (6). Trotz intensiver Forschung sind die Ursachen und die pathophysiologischen Vorgänge dieses Syndroms nicht klar. Man vermutet, dass auch Störungen der intestinalen Flora und der mukosalen Immunfunktionen daran beteiligt sind (7).

Klinisch ist der Reizdarm u.a. durch wiederkehrende funktionelle abdominelle Beschwerden charakterisiert. Manchmal verläuft die Erkrankung mehr mit Verstopfung, manchmal mit häufigeren Stuhlentleerungen. Es gibt aber auch Verläufe, bei denen sich beide Formen abwechseln. Zu den Symptomen gehören abdominelle Schmerzen, veränderte Stuhlentleerungen, Blähungen und Völlegefühl, ohne dass morphologische oder biochemische Veränderungen als Ursache gefunden werden können. Da es für diese Erkrankung also keine objektiven und festen diagnostischen Messgrößen gibt, ist man bei Therapiestudien auf die Angaben der Patienten angewiesen.

In der nun vorgestellten plazebokontrollierten Phase-III-Studie wurden in zwei gleich konzipierten Teilen (TARGET 1 und 2) 1258 Patienten mit Reizdarm-Syndrom ohne Obstipation eingeschlossen. Die Verum-Gruppe bekam Rifaximin in einer Dosis von 550 mg dreimal täglich zwei Wochen lang und wurde danach zehn Wochen lang nachverfolgt. Visiten wurden an den Tagen 1, 7, 14, 28 und 84 und telefonische Befragungen an den Tagen 42, 56 und 70 durchgeführt. Der primäre Endpunkt der Studie war der Anteil an Patienten, der eine Besserung der Reizdarm-Symptome in mindestens zwei von vier Wochen zwischen Woche 3 und 6 angab. Dieser Endpunkt war durch die Antwort ja oder nein auf die Frage nach der Reizdarm-Symptomatik definiert. Der sekundäre Endpunkt bezog sich auf die Besserung des Völlegefühls. Andere sekundäre Endpunkte bezogen sich auf Bauchschmerzen, Stuhlkonsistenz und Unwohlsein.

Wir wollen uns nicht näher mit den Zahlenspielen der von dem Hersteller finanzierten Autoren befassen, sondern nur den Hauptbefund herausgreifen. In dieser Studie ergab sich bei der Befragung der Patienten, dass in der Rifaximin-Gruppe 9-12% mehr Teilnehmer als in der Plazebo-Gruppe angaben, die Symptome hätten sich gebessert. Das ist im Graubereich dessen, was von Experten auf diesem Gebiet überhaupt als klinisch relevant angesehen wird (8). Leider erwähnt das nach unserer Meinung viel zu positive Editorial im sonst so seriösen N. Engl. J. Med. diese wichtige Botschaft auch nur am Rande (9). Es entsteht der Eindruck, dass hier versucht wird, Einfluss auf die Food and Drug Administration zu nehmen, um eine Zulassung von Rifaximin für diese Indikation zu erreichen. Es wird von drei positiven Studien gesprochen (TARGET 1 und 2 werden als zwei Studien gezählt!), die allerdings alle vom selben Autor stammen, der vom Hersteller finanziert ist. Dies legt nahe, dass es auch ein TARGET war, die Zulassung zu beschleunigen. Die Kosten für eine „Kur” mit der hier untersuchten Dosierung von Rifaximin würden bei über 400 € pro Patient liegen, und ca. 90% der so behandelten Patienten hätten klinisch keinen Vorteil. Zudem ist nicht klar, ob die Besserung der Beschwerden länger anhält.

Interessant ist, dass andere Behandlungsversuche bei dieser Erkrankung mit ganz ähnlichen Ergebnissen nicht im N. Engl. J. Med. veröffentlicht wurden, wie z.B. die Therapie mit dem Serotonin-Typ-3-Rezeptor-Antagonisten Ramosetron (10). Auch mit Plazebos, die bewusst und ohne den Patienten darüber zu täuschen, beim Reizdarm eingesetzt werden, sind ganz ähnliche Ergebnisse zu erzielen (11). Auf die Probleme, die mit Ausweitung der Indikation für Rifaximin verbunden sein können, haben wir hingewiesen (1, 2). Die Homöostase der Darmflora, speziell ihr Wechselspiel mit dem Immunsystem, ist von großer Bedeutung für die Gesundheit, und Störungen durch Antibiotika können sich langfristig negativ auswirken.

Fazit: Es scheint, dass Salix Pharmaceuticals, der Hersteller von Rifaximin, aggressiv die Zulassung für die Indikation Reizdarm betreibt. Die in der TARGET-Studie vorgestellten Daten haben unserer Meinung nach keine klinische Relevanz. Mit intensiver ärztlicher Beratung und bewusstem Verzicht auf teure Arzneimittel mit langfristig nicht einschätzbaren Risiken bei diesem heterogenen, ungeklärten und nicht lebensbedrohlichen Krankheitsbild kann wahrscheinlich mehr erreicht werden.

Literatur

  1. AMB 2005, 39,75. Link zur Quelle
  2. AMB2010, 44, 38a. Link zur Quelle
  3. DuPont, H.L., et al.:Ann. Intern. Med. 2005, 142, 805 Link zur Quelle . Erratum: Ann. Intern. Med. 2005, 143, 239.
  4. Bass, N.M., et al.: N.Engl. J. Med. 2010, 362, 1071. Link zur Quelle
  5. Pimentel, M., et al.(TARGET 1 und 2): N. Engl. J. Med. 2010, 364, 22. Link zur Quelle
  6. Longstreth,G.F., et al.: Gastroenterology 2006, 130, 1480 Link zur Quelle . Erratum: Gastroenterology 2006, 131, 688.
  7. Ohman, L.,und Simrén, M.: Nat. Rev. Gastroenterol. Hepatol. 2010, 7, 163. Link zur Quelle
  8. Corazziari, E., et al.:Aliment. Pharmacol. Ther. 2003, 18, 569. Link zur Quelle
  9. Tack, J.: N. Engl.J. Med. 2010, 364, 81 21208112. Link zur Quelle
  10. Matsueda, K., et al.: Scand. J. Gastroenterol.2008, 43, 1202. Link zur Quelle
  11. Kaptchuk, T.J., et al.: PlosOne 2010, 5, e15591. Link zur Quelle