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Gastrointestinale Blutungen bei Aortenstenose – das Heyde-Syndrom

Im N. Engl. J. Med. wurde kürzlich eindrucksvoll dargestellt, wie wichtig exakte Anamnesen und klinische Untersuchungen sind und wie es von einer klinischen Beobachtung zur Aufklärung eines komplizierten Pathomechanismus kommen kann (1). Im Jahre 1958 hatte E.C. Heyde, ein Allgemeinarzt aus Vancouver, Washington, in einem Leserbrief an das N. Engl. J. Med. geschildert, dass er in seinem Berufsleben mindestens zehn Patienten mit Aortenstenose gesehen hat, die massiv aus dem Intestinaltrakt geblutet hatten (2). Er fragt in seinem Brief nach Erfahrungen und Beobachtungen anderer Kollegen, da er in der Literatur zu dieser Assoziation nichts gefunden hatte. 28 Jahre später wurden gastrointestinale Angiodysplasien als Ursache solcher Blutungen entdeckt (3). Weitere Aufklärung ergab eine Mitteilung über 14 Patienten mit gastrointestinalen Blutungen, die nach einem Aortenklappenersatz wegen Aortenstenose keine Blutungsereignisse mehr hatten (4). Zwei Arbeitsgruppen hatten ein Jahr zuvor nachgewiesen, dass Multimere des von-Willebrand-Faktors (VWF) bei angeborenen und erworbenen Aortenstenosen verringert sind (5, 6). Der VWF ist ein 2050-Aminosäure-Protein-Monomer, das zu einer 250-kD Subeinheit dimerisiert. Im Blutplasma multimerisiert diese Untereinheit zu Komplexen von 20-40 und manchmal zu noch größeren Multimeren. Diese großen Multimere sind besonders wichtig für die Hämostase. Bei den meisten Patienten mit Aortenstenose sind die hochmolekularen Multimere vermindert (8). Dieser Zustand ist assoziiert mit einer verringerten Thrombozytenadhäsion und -aggregation (8) und bessert sich nach einem Aortenklappenersatz deutlich. Die Erklärung ist folgende: Die großen Multimere im Plasma haben normalerweise eine gewickelte molekulare Form. Durch die verstärkten Scherkräfte im Bereich hochgradiger Aortenstenosen kommt es zu einer Konformationsänderung, d.h. die Wicklungen werden gestreckt. Dadurch wird eine bestimmte Domäne für die Plasmaprotease ADAMTS13 zugänglich, die das multimere Molekül zerschneidet (9, 10). Die Hämostase wird durch diese Veränderung gestört, und es kommt häufiger zu Blutungen, z.B. aus Angiodysplasien der Darmschleimhaut, wo in den anatomisch veränderten Gefäßen ebenfalls größere Scherkräfte auftreten. Aufgrund der veränderten Fließbedingungen können solche Angiodysplasien auch mit Doppler-Ultraschall nachgewiesen werden (7). Inzwischen gibt es sogar Hinweise, dass aktive Formen des VWF auch dabei mitwirken, die Morphologie der Kapillaren zu erhalten und somit keine Angiodysplasien entstehen (11).

Die bemerkenswerte klinische Beobachtung, die E.C. Heyde in einem Leserbrief mitgeteilt hat, ist nach 50 Jahren weitgehend geklärt.

Literatur

  1. Loscalzo, J.:N. Engl. J. Med. 2012, 367, 1954. Link zur Quelle
  2. Heyde,E.C.: N. Engl. J. Med. 1958, 259, 196.
  3. Greenstein, R.J., etal.: Am. J. Surg. 1986, 151, 347. Link zur Quelle
  4. King,R.M., et al.: Ann. Thorac. Surg. 1987, 44, 514. Link zur Quelle
  5. Gill,J.C., et al.: Blood 1986, 67, 758. Link zur Quelle
  6. Salzmann,E.W., et al.: N. Engl. J. Med. 1986, 314, 1402. Link zur Quelle
  7. Jaspersen, D., etal.: Gastointest. Endosc.1994, 40, 40. Link zur Quelle
  8. Panzer,S., et al.: Thromb. Haemost. 2010, 103, 408. Link zur Quelle
  9. Tsai, H.M.,et al.: Blood 1994, 83, 2171. Link zur Quelle
  10. Crawley,J.T., et al.: Blood 2011, 118, 3212. Link zur Quelle
  11. Ho-Tin-Noé,B., et al.: J.Thromb. Haemost. 2011, 9 Suppl. 1, 56. Link zur Quelle