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Neues onkologisches Arzneimittel: Ruxolitinib (Jakavi®) zur Behandlung der Myelofibrose

Die Myelofibrose ist eine bösartige hämatologische Erkrankung, für deren Pathogenese erworbene Mutationen in der hämatopoetischen Stammzelle mit Störungen der Signaltransduktion, klonaler Myeloproliferation und abnormer Zytokinexpression verantwortlich gemacht werden. Sie kann primär (primäre Myelofibrose, PMF) oder sekundär, z.B. infolge einer Polycythaemia vera oder Essentiellen Thrombozythämie (Post-PV-MF, Post-ET-MF) auftreten. Myelofibrosen sind gekennzeichnet durch eine ausgeprägte Markfibrose mit Verödung des blutbildenden Knochenmarks sowie einer extramedullären Blutbildung in Milz und Leber mit teilweise beträchtlicher Splenomegalie. Die Allgemeinsymptome sind Gewichtsabnahme, Abgeschlagenheit, Nachtschweiß, Juckreiz sowie abdominelle Beschwerden (1, 2). Die Diagnose der PMF wird auf der Basis von WHO-Kriterien gestellt, zu denen als Hauptkriterien u.a. die typische Knochenmarkhistologie sowie der Nachweis einer somatischen Mutation der Janus-assoziierten Kinase 2 (JAK2V617F) und als Nebenkriterien ein leukoerythroblastisches Blutbild, eine erhöhte LDH, eine Anämie oder eine palpable Splenomegalie gehören (2).

Die primäre bzw. Post-PV-/ET-Myelofibrose wird risiko- und altersadaptiert behandelt. Zur Bestimmung der Prognose wurden zunächst folgende Variable mit negativem Einfluss auf das Überleben identifiziert: Alter > 65 Jahre, Hämoglobin < 10 g/dl, Leukozyten > 25.000/µl, zirkulierende Blasten im peripheren Blut ≥ 1% und konstitutionelle Symptome (2). Anhand dieser Risikofaktoren können vier Risikogruppen unterschieden werden, deren durchschnittliche Überlebenszeit zwischen 11,3 (niedriges Risiko) und 2,3 Jahren (hohes Risiko) variiert. Dieser Risikoscore wurde kürzlich verändert und auch die Notwendigkeit von Erythrozyten-Transfusionen, Thrombozyten < 100.000/µl sowie ungünstige zytogenetische Veränderungen berücksichtigt (2).

Bisher war für die Behandlung der primären bzw. Post-PV-/ET-Myelofibrose kein Wirkstoff zugelassen. Die einzige kurative Therapiestrategie ist die allogene Stammzelltransplantation, die allerdings mit einer transplantationsassoziierten Letalität von bis zu 20% und erheblicher Morbidität belastet ist. Bei Patienten mit guter Prognose ohne schwerwiegende Symptome sollte deshalb die Strategie „watch & wait” sein. Zur Besserung der jeweils vorherrschenden Symptome werden u.a. Hydroxyurea, Kortikosteroide, Erythropoese-stimulierende Wirkstoffe und Androgene eingesetzt. Stehen Beschwerden durch die Splenomegalie im Vordergrund, kann eine Splenektomie bzw. Milzbestrahlung erwogen werden (3).

Seit August 2012 ist Ruxolitinib (Jakavi®) zugelassen für die Behandlung der Splenomegalie oder anderer krankheitsbezogener Symptome bei erwachsenen Patienten mit Myelofibrose (PMF, Post-PV- oder Post-ET-Myelofibrose; 4). Es wurde als Arzneimittel für seltene Krankheiten (Orphan drug) zugelassen. Die Inzidenz der PMF beträgt 0,4-1,4 pro 100.000 Einwohner; 5).

Ruxolitinib ist ein selektiver Hemmer der Janus-assoziierten Kinasen (JAK) JAK1 und JAK2. Die JAK leiten Signale von Zytokinen und Wachstumsfaktoren weiter, die für die Hämatopoese und die Immunfunktion wichtig sind. Die Dysregulation der JAK-Signalwege ist charakteristisch für die Myelofibrose (4); ihre genaue pathogenetische Bedeutung ist jedoch noch nicht klar (9).

Für die Zulassung legte der Hersteller zwei randomisierte Phase-III-Studien vor: eine doppeltblinde plazebokontrollierte Studie (n = 309; COMFORT-I) und eine offene Studie, in der gegen die beste verfügbare Therapie (Best Available Therapy, BAT) geprüft wurde (n = 219; COMFORT-II; 5-7). Eingeschlossen wurden Patienten mit fortgeschrittener Myelofibrose (PMF oder Post-PV/ET-MF).

Primärer Endpunkt der Studien war die Verringerung der Milzgröße um mindestens 35% im Vergleich zum Ausgangswert. Zu den sekundären Endpunkten gehörten die Dauer dieses Ansprechens und das Gesamtüberleben. Außerdem wurden Daten zur Besserung von Symptomen und zur Lebensqualität erhoben. Dafür wurden verwendet: das modifizierte Myelofibrosis Symptom Assessment Form-Tagebuch bzw. zwei häufig verwendete Fragebögen zur Erfassung der Lebensqualität in der Onkologie (EORTC QlQ-C30 und FACT-Lym).

Eine Verkleinerung der Milz um ≥ 35% wurde unter Ruloxitinib bei ca. einem Drittel der Patienten erreicht: in der COMFORT-I-Studie in Woche 24 bei 65 Patienten (41,9%; 95%-Konfidenzintervall = CI: 34,1-50,1), unter Plazebo bei einem Patienten (0,7%; CI: 0,0-3,6). Die entsprechenden Ergebnisse waren in der COMFORT-II-Studie in der 48. Woche: 41 Patienten (28,5%; CI: 21,3-36,6) vs. keinem Patienten unter BAT (0%; CI: 0,0-0,5). Das Ergebnis war in beiden Studien statistisch signifikant (p-Wert jeweils < 0,0001). Subgruppenanalysen zeigten, dass Patienten mit einer JAK2 V617F-Mutation häufiger angesprochen hatten als Patienten ohne diese Mutation (47,8% vs. 27,5% bzw. 32,7% vs. 14,3%). Die Dauer des Ansprechens betrug in der plazebokontrollierten Studie im Median 48 Wochen. In COMFORT-II war der Median noch nicht erreicht, so dass die Dauer des Ansprechens noch offen ist. Im Vergleich zu Plazebo bzw. BAT besserten sich unter Ruxolitinib die Allgemeinsymptome und die Lebensqualität statistisch signifikant.

Dagegen wurde eine statistisch signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens unter Ruxolitinib in beiden Studien nicht nachgewiesen. Nach dem Absetzen von Ruxolitinib traten innerhalb von einer Woche die Symptome der Myelofibrose wieder auf (5).

Die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) unter Ruxolitinib waren Thrombozytopenie und Anämie. Die Thrombozytopenien waren nach Reduktion der Dosis oder Unterbrechen der Therapie im Allgemeinen reversibel. Zur Besserung der Anämie wurden Transfusionen eingesetzt, von denen die Patienten unter Ruxolitinib mehr benötigten als in den Vergleichsarmen. Außerdem kam es unter Ruxolitinib häufiger zu Neutropenien und Infektionen, darunter Tuberkulose, Herpes zoster und Harnwegsinfektionen. Weitere bedeutsame UAW von Ruloxitinib sind Blutungen und ein Anstieg der Transaminasen (5).

Die empfohlene Dosierung von Ruxolitinib ist abhängig von der Thrombozytenzahl (Anfangsdosis: 5, 15 oder 20 mg zweimal täglich, Erhaltungsdosis maximal 25 mg zweimal täglich). Es wird über CYP3A4 und CYP2C9 metabolisiert. Bei gleichzeitiger Einnahme von Inhibitoren oder Induktoren dieser Enzyme muss ggf. die Dosis angepasst werden (Einzelheiten s. Fachinformation bei 4).

Die Arzneimittelkosten von Ruxolitinib (20 mg zweimal täglich) betragen – ohne Berücksichtigung von Rabatten – ca. 5000 € pro Monat (8).

Fazit: Ruxolitinib ist bei ungefähr einem Drittel der Patienten mit Myelofibrose palliativ wirksam. Die Therapie verkleinert die Milz und bessert die Allgemeinsymptome, allerdings nur während laufender Behandlung. Histopathologische, zytogenetische oder molekulare Remissionen werden unter Ruxolitinib nicht erreicht; auch ein Überlebensvorteil ist nicht nachgewiesen. Darüber hinaus ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass Ruxolitinib eine Anämie bzw. Thrombozytopenie verursacht, als dass es sie korrigiert (9). Ruxolitinib sollte daher auf Patienten mit einer fortgeschrittenen PMF oder Post-PV/ET-MF beschränkt werden, die unter heftigen Allgemeinsymptomen oder einer stark symptomatischen Splenomegalie leiden.

Literatur

  1. Tefferi, A., undVainchenker, W.: J. Clin. Oncol. 2011, 29, 573. Link zur Quelle
  2. Tefferi, A.:Blood 2011, 117, 3494. Link zur Quelle
  3. Deutsche Gesellschaftfür Hämatologie und Onkologie: Primäre Myelofibrose. Leitlinie. Stand: März2010. Link zur Quelle
  4. Novartis Pharma:Fachinformation Jakavi® Tabletten. Stand: August 2012.
  5. EMA 2012: Link zur Quelle
  6. Verstovsek,S., et al. (COMFORT-I = COntrolled MyeloFibrosisstudy with ORal JAK inhibitor Treatment-I): N.Engl. J. Med. 2012, 366, 799. Link zur Quelle
  7. Harrison, C.,et al. (COMFORT-II = COntrolled MyeloFibrosisstudy with ORal JAK inhibitor Treatment-II): N.Engl. J. Med 2012, 366, 787. Link zur Quelle
  8. Lauer-Taxeonline, Stand: 01.11.2012.
  9. Tefferi, A.:N. Engl. J. Med. 2012, 366, 844. Link zur Quelle