Während Allgemeinwissen durch neue Medien immer einfacher und günstiger verfügbar wird, scheint bei den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung das Gegenteil der Fall zu sein. Wer als Nicht-Abonnent einen einzigen Online-Artikel in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift Lancet (Verlag: Elsevier) in der „Full-Text”-Version lesen möchte, hat dafür zurzeit 31,50 US-$ zu zahlen (1). Wenn man ein Lancet-Jahres-Abonnement für eine Institution beziehen möchte, werden 1.477 US-$ (in Europa 1.482 €) fällig (2). Für andere Zeitschriften liegen die Preise noch um ein Vielfaches höher, so z.B. für Brain Research (Verlag: ebenfalls Elsevier), für dessen Jahres-Abonnement eine Institution derzeit 24.047 US-$ (Europa: 21.440 €) berappen muss (3). Die Preise wissenschaftlicher Journale haben sich im vergangenen Jahrzehnt nahezu verdoppelt. Für die Bibliotheken der Universitäten und Forschungsinstitute – die mit immer kleineren Budgets auskommen müssen – sind sie mittlerweile kaum noch zu finanzieren.
Den lukrativen Markt für Wissenschaftspublizistik beherrschen einige wenige große Verlage. Allein die drei größten – Elsevier, Wiley-Blackwell und Springer – kommen zusammen auf einen Marktanteil von 40%. Da Forscher auf die Lektüre angewiesen sind und die einzelnen Journale in ihren Fachdisziplinen wenig Konkurrenz haben, können die Wissenschaftsverlage de facto die Preise diktieren. In den vergangenen Jahren machte insbesondere Marktführer Elsevier (Jahresumsatz 2011: 2,5 Mrd. €; jährlich 250.000 Artikel in 2000 Journalen) wegen seiner aggressiven Preispolitik im Zeitschriftenbereich von sich reden. So wurden Bibliotheken dazu gezwungen, Abonnements mehrerer (teilweise nur selten gelesener) Zeitschriften im Bündel zu erwerben, wenn sie nicht Einzel-Abonnements noch teurer bezahlen wollten. Bereits seit Jahren formiert sich daher zunehmend Widerstand in der globalen wissenschaftlichen Gemeinschaft: 2003/2004 empfahlen die Universität Stanford und die University of California ihren Forschern, nicht in bei Elsevier verlegten Journalen zu publizieren. Auf Initiative von Forschern der Universität Cambridge, UK, läuft seit Anfang 2012 eine Protestaktion internationaler Forscher und Bibliotheken gegen Elsevier. Auf einer Website mit dem Namen „The Cost of Knowledge” haben sich bisher 12.312 Wissenschafter aus allen Disziplinen registriert und verpflichtet, für Elsevier nicht zu publizieren, keine Editorials zu verfassen und nicht aus Elsevier-Journalen zu zitieren (4). Im Mai 2012 beschloss die Fakultät für Mathematik der Technischen Universität München, „aufgrund unzumutbarer Kosten und Bezugsbedingungen alle abonnierten Elsevier-Zeitschriften ab 2013 abzubestellen” (5).
Das System der Wissenschaftspublizistik stammt in seinen Grundzügen aus dem 19. Jahrhundert und ist infolge der informationstechnologischen Entwicklung des vergangenen Jahrzehnts eigentlich überholt: Kommerzielle Verleger machen Profite auf Basis der ihnen von Forschern und deren Institutionen kostenlos zur Verfügung gestellten wissenschaftlichen Daten – und dieselben Institutionen zahlen auch noch exorbitante Abonnementgebühren, um ihren Forschern den Zugang zu wissenschaftlicher Information zu ermöglichen. Zudem verkaufen viele Fachjournale teuren Anzeigenraum an die Industrie – im Falle von Medizinjournalen meist Pharma- und Medizintechnikhersteller. Dass sich dieses Publikationssystem auch für ein verstecktes – und damit äußerst kostengünstiges – Marketing von Produkten instrumentalisieren lässt (Stichworte: Ghostwriting, Publication Planning, Pre-Launch Marketing), ist ein weiterer Aspekt (vgl. 7). Offensichtlich gibt es also eine Reihe von mächtigen Interessenten für die Aufrechterhaltung des Status quo. Warum benötigt aber ein redlicher Forscher, der einfach nur seinen Artikel publizieren will, einen Verlag, obwohl doch heute jedermann jederzeit jede beliebige Information auch ohne einen Verlag einer uneingeschränkten Öffentlichkeit zugänglich machen kann? Er ist angewiesen auf die von den Verlagen organisierten internen und externen Peer-Review-Prozesse (also die Begutachtung der eingereichten Arbeiten) sowie auf das Prestige, das sie ihren Autoren in Form karrierefördernder Impact-Punkte verleihen. Das Aufkommen des Internets Ende der 1990er Jahre schuf die Voraussetzungen, diese Prozesse vom kommerziellen Vorgang der konventionellen Publikation zu entkoppeln. Es entstand die Open-Access (OA)-Bewegung, getragen von Forschern auf der ganzen Welt, die sich in gemeinsamen Erklärungen (Budapest Open Access Intiative, Berliner Erklärung) für das Prinzip aussprachen, dass „im Internet all jene Literatur frei zugänglich sein sollte, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne Erwartung, hierfür bezahlt zu werden, veröffentlichen”. Es entstanden OA-Verlage wie die „Public Library of Science” (PLOS) und BioMed Central. Zu Beginn wurden diese Projekte von privaten Stiftungen getragen; mittlerweile finanzieren sie sich selbst und haben zahlreiche Mitstreiter gefunden. In dem von der schwedischen Universität Lund betriebenen Directory of Open Access Journals (DOAJ) sind zurzeit 7960 Zeitschriften mit Peer-Review oder „editorieller Qualitätskontrolle” gelistet (8). Sogar die etablierten Verlage beginnen sich dafür zu interessieren. So wurde BioMed Central vor vier Jahren von Springer gekauft. Das OA-Geschäftsmodell ist in der Regel das sogenannte „Author-Pays”-Prinzip (anstelle der üblichen „Reader-Pays”-Variante), d.h. die Autoren zahlen für die Publikation eines Artikels eine Gebühr. Unter besonderen Umständen kann die Gebühr variabel sein, auf freiwilliger Basis beruhen oder ganz erlassen werden. Immer mehr Forschungsinstitutionen bieten Erstautoren die Übernahme der OA-Gebühren an und investieren damit quasi direkt in ihre Forscher und Institute anstatt in überteuerte Abonnements. Manche OA-Verlage bieten Bibliotheken oder Forschungseinrichtungen auch institutionelle Mitgliedschaften an, um den zugehörigen Wissenschaftlern kostenlos oder vergünstigt Publikationen zu ermöglichen.
Kritiker der OA-Bewegung merken zu Recht an, dass ein alleiniges „Author-Pays”-Modell den freien Zugang zur Publikationstätigkeit und damit den Austausch von Forschungsresultaten behindern würde. Manche äußern auch Bedenken, dass OA-Verlage nicht nur in Konkurrenz zu rein kommerziellen Verlagen, sondern auch zu anderen, weniger profitorientierten Herausgebern treten, wie z.B. wissenschaftlichen Fachgesellschaften, für die die Abonnement-Gebühren ihrer Publikationen wichtige Einnahmequellen sind.
Fazit: In der wissenschaftlichen Gemeinschaft regt sich immer mehr Widerstand gegen das herkömmliche System der Wissenschaftspublizistik. Wegen unzumutbarer und intransparenter Preisgestaltung kam es bereits zu Boykottaufrufen gegen kommerzielle Fachverlage. Die Open-Access-Bewegung ist ein vielversprechender Schritt in Richtung eines leichteren Zugangs zum Fachwissen, wie er im nicht-wissenschaftlichen Umfeld bereits selbstverständlich ist.
Literatur
- http://www.thelancet.com (Zugriff 9.7.2012). Link zur Quelle
- http://download.thelancet.com/flatcontentassets/RateCard2012.pdf (Zugriff 9.7.2012). Link zur Quelle
- http://www.elsevier.com/wps/find/journaldescription.cws_home/506048/bibliographic (Zugriff 9.7.2012). Link zur Quelle
- http://thecostofknowledge.com/(Zugriff 9.7.2012). Link zur Quelle
- http://www.ma.tum.de/Mathematik/BibliothekElsevier (Zugriff 9.7.2012). Link zur Quelle
- http://www.elsevier.com/wps/find/intro.cws_home/elsevieropenletter (Zugriff 13.9.2012). Link zur Quelle
- Lundh, A., et al.:PLoS Med. 2010, 7, e1000354 Link zur Quelle . Vgl. AMB 2011, 45,35 Link zur Quelle und AMB 2012, 46, 59. Link zur Quelle
- http://www.doaj.org/ (Zugriff 12.7.2012). Link zur Quelle