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„Pharmaceutical Crime“ – Arzneimittelfälschungen nehmen zu

Wiederholt wurde in den vergangenen Monaten in der Laien- und Fachpresse über gefälschte Arzneimittel berichtet. Betroffen waren Trastuzumab (Herceptin®), Pemetrexeb (Alimta®), Somatotropin (Humatrope®), Bevacizumab (Avastin®), Rituximab (MabThera®). Die Präparate waren offenbar ursprünglich für den italienischen Markt bestimmt, wurden dort gestohlen, umetikettiert und gelangten über „Parallelimporte“ in andere EU-Länder (vgl. 1). Patienten sind hoffentlich nicht zu Schaden gekommen.

Diese Vorfälle sind nur eine Spitze des globalen Problems der Arzneimittelfälschung. Nach WHO-Schätzungen (2) sind weltweit 10% aller verkauften Arzneimittel gefälscht – mit enormen regionalen Unterschieden: in den reichen und besser regulierten Industrieländern liegt der Anteil geschätzt um 1%. Tendenziell sind hier teure Arzneimittel wie Lifestyle-Präparate, onkologische und antirheumatische Biologika, Antibiotika und Steroide besonders betroffen, aber auch billigere, generische Antihypertensiva, Analgetika, Grippemittel etc. In Asien, Afrika und Lateinamerika wird mit einem Anteil von bis zu 30% gerechnet, mit teilweise ausgeprägtem Land-Stadt-Gefälle innerhalb der Länder. Arzneimittel gegen lebensbedrohliche Erkrankungen stehen hier im Vordergrund, wie Antibiotika, Antimalariamittel, Tuberkulostatika und HIV/AIDS-Medikamente.

Eine besondere Dynamik des Betrugs hat sich in den vergangenen Jahren durch den Internethandel entwickelt. 50% aller über das Internet erhältlichen Arzneimittel dürften Fälschungen sein. Bestellung, Bezahlung und Lieferung unter Umgehung der ärztlichen Verschreibung sind bei unseriösen Anbietern sehr einfach möglich. Bereits 2006 schätzte die WHO, dass der Verkauf von gefälschten Arzneimitteln 2010 weltweit den Wert von 75 Mrd. US-$ erreichen wird, was einer Steigerung von 90% seit 2005 entspricht (2).

Fälschung ist dabei nicht gleich Fälschung: Ein Arzneimittel gilt definitionsgemäß als gefälscht, wenn es vorsätzlich und in betrügerischer Absicht falsch gekennzeichnet wurde und zwar hinsichtlich seines Inhalts und/oder seiner Herkunft. Somit ergeben sich verschiedene Szenarien:

  • Die Packung/Packungsbeilage ist unzulässig verändert, aber der Inhalt in Qualität und Quantität korrekt (wie wahrscheinlich in den aktuellen Fällen aus der EU).
  • Der Inhaltsstoff ist qualitativ korrekt, aber die Dosis falsch (zu hoch, meist zu niedrig).
  • Das Präparat enthält gar keinen Wirkstoff.
  • Die Inhaltsstoffe wurden vorsätzlich verändert.
  • Die Inhaltsstoffe wurden falsch gelagert oder das Verfallsdatum ist abgelaufen.
  • Das Präparat enthält andere, nicht deklarierte Inhaltsstoffe.

Tablettenfälschungen ohne Inhaltsstoffe sind sehr kostengünstig in gewöhnlichen Haushalten oder Hinterhöfen herzustellen. Zunehmend werden Arzneimittel aber auch hochtechnisiert mit täuschend echten Verpackungen und billigeren Inhaltsstoffen gefälscht. Sie sind auch in chromatographischen Routinetests von echten Wirkstoffen kaum zu unterscheiden (vgl. 3).

Auch im Bereich der Medizinprodukte werden Marken gefälscht: Die Produktpalette reicht von Kondomen, Kontaktlinsen und Rollstühlen über Spritzen und chirurgische Instrumente bis hin zu Röntgengeräten.

Besonders häufig werden im Internet Nahrungsergänzungsmittel zur Gewichtsabnahme oder zur Steigerung der Erektion angeboten, vor allem aus China. Viele von ihnen sind mit zugelassenen oder wegen Nebenwirkungen inzwischen verbotenen Arzneimitteln versetzt bzw. gepanscht, werden aber als natürliche Mittel verkauft. Die Inhaltsstoffe sind nicht deklariert und zum Teil sehr gefährlich. Die Zeitschrift „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ warnt auf ihrer Website (4) an Hand einer Liste von inzwischen mehr als 1200 amtlich untersuchten und als gepanscht erkannten Nahrungsergänzungsmitteln vor den unkalkulierbaren Gefahren.

Ermittlungsbehörden haben den Begriff „Pharmaceutical Crime“ geprägt. Er bezeichnet Herstellung, Handel und Verteilung von gefälschten, gestohlenen oder verbotenen Arzneimitteln (5). Die Ausmaße des Problems werden auch in den publizierten Zahlen der jährlich vom Interpol-Hauptquartier in Lyon koordinierten internationalen Aktionen ersichtlich: 2008 nahmen unter dem Namen „Pangea“ noch zehn Länder an einer konzertierten Fahndungsaktion teil. In der bisher letzten, vom 13. bis 20. Mai 2014 durchgeführten Aktion „Pangea VII“ arbeiteten bereits fast 200 nationale und internationale Behörden (Polizei, Zoll, WHO) und private Organisationen (Microsoft, VISA, pharmazeutische Unternehmen) aus 111 Ländern zusammen (6). 19.000 Social-Media-Werbeanzeigen für illegale Arzneimittel und mehr als 10.600 Websites wurden entfernt, drei Fabriken lokalisiert und demontiert sowie diverse illegale Online-Bezahl- und Lieferdienste identifiziert und geschlossen. Darüber hinaus wurden Arzneimittel im Gegenwert von 36 Mio. US-$ beschlagnahmt. Neben der jährlich im Frühjahr stattfindenden Operation „Pangea“ gibt es regionale, in unregelmäßigen Abständen durchgeführte Operationen in Ostafrika („Mamba“), Westafrika („Cobra“), Südafrika („Giboia“) und Südost-Asien („Storm“).

Ein weiterer Ansatz zur Bekämpfung dieser Fälschungen sind spezielle Kennzeichnungen der Einzelpackungen, die es – idealerweise auch dem Endverbraucher – ermöglichen, die Arzneimittel bis hin zu Herstellern und Zulieferbetrieben zu verfolgen. Bereits weit entwickelte Konzepte sind der elektronische „Medikamentenstammbaum“ „E-Pedigree“ und das deutsche „It’s-True-Siegel“. Zudem wird versucht, Fälschungen auf anderen Wegen zu erkennen bzw. zu verhindern: Die Packung des weltweit am häufigsten gefälschten Arzneimittels, des Sildenafil-Originalpräparats Viagra®, ist mit einem Hologramm als Sicherheitsmerkmal markiert, so wie bei modernen Banknoten.

Fazit: Verschiedenartige Fälschungen von Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln erobern in Zeiten des Internethandels zunehmend Marktanteile. Diese kriminellen Machenschaften sind ein großes, unkalkulierbares Gesundheitsrisiko für die Patienten bzw. Verbraucher. Patienten und Internetkunden müssen wissen, dass sie ein großes Risiko eingehen, wenn sie bei Online-Anbietern Arznei- oder Nahrungsergänzungsmittel kaufen. Diese sind häufig gefälscht und manchmal lebensgefährlich gepanscht. Auch Ärzte müssen an diese Möglichkeit denken, wenn eine Arzneimittelwirkung ausbleibt oder unerwünschte Wirkungen unerklärlich sind. Nationale und internationale regulatorische und Ermittlungsbehörden arbeiten daran, die Sicherheit zu erhöhen, aber eine einfache Lösung ist bei der Vielschichtigkeit des Problems nicht in Sicht.

Literatur

  1. Haarhoff, H., und Braun,M.: TAZ.Am Wochenende. 12./13. Juli 2014. S. 08.
  2. http://www.who.int/medicines/services/counterfeit/impact/ImpactF_S/en/index1.htmlLink zur Quelle
  3. AMB 2008, 42, 30. Link zur Quelle
  4. http://gutepillen-schlechtepillen.de/pages/tipps-themen/gepanschtes.phpLink zur Quelle
  5. http://www.interpol.int/Crime-areas/Pharmaceutical-crime/Pharmaceutical-crimeLink zur Quelle
  6. http://www.bka.de/nn_233148/DE/Presse/Pressemitteilungen/Presse2014/ 140522__PangeaVII.html Link zur Quelle