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Tuberkulose – eine vernachlässigte Infektionskrankheit. Gibt es neue Therapien?

Zusammenfassung: 1,3 Mio. Menschen sterben jährlich an Tuberkulose (Tbc), obwohl es Therapien gibt (1). Die antituberkulöse Therapie umzusetzen, wird erschwert durch mangelnde Aufklärung, ungenügende Arzneimitteladhärenz bei langer Therapiedauer und durch zahlreiche Wechsel- und Nebenwirkungen der Wirkstoffe. Hinzu kommen Probleme mit resistenten Mykobakterien. In vielen Ländern sind Tbc-Patienten auch häufig mit dem HIV infiziert. Beide Infektionen beeinflussen sich gegenseitig ungünstig in ihrem klinischen Verlauf. Probleme bereiten auch Wechselwirkungen zwischen den antiretroviralen und antituberkulösen Wirkstoffen. 2011 haben wir darüber berichtet, dass bei Doppelinfektion mit HIV und Tbc eine frühe antiretrovirale Therapie die Morbidität und Letalität senkt (2). Mehr als 50 Jahre lang gab es keine neuen Entwicklungen in der Pharmakotherapie der Tbc. Inzwischen gibt es einige neue Wirkstoffe. Wir haben über die antituberkulöse Wirksamkeit von Moxifloxacin (3) berichtet, eine erste klinische Studie mit Delamanid (4) und Bedaquilin (5, 6) bei multiresistenter pulmonaler Tbc vorgestellt sowie eine weitere Studie referiert mit dem neuen Wirkstoff PA-824 (Nitroimidazon-Oxazin; 6). Derzeit laufen präklinische Studien mit weiteren neuen Wirkstoffen bzw. Kombinationen neuer mit alten Tuberkulostatika mit dem Ziel, die Therapiedauer zu verkürzen. Es werden auch dringend Arzneimittel benötigt, die gegen ruhende und persistierende Populationen von Mycobacterium tuberculosis wirksam sind.

Einleitung: 1993 hat die WHO die Tbc zu einem globalen Gesundheitsnotfall erklärt (7). Die Inzidenz von Neuerkrankungen wurde 2012 auf 8,6 Mio. geschätzt, darunter 2,9 Mio. Frauen und 530.000 Kinder. Unter den 1,3 Mio. Patienten, die an Tbc gestorben sind, waren 320.000 mit zusätzlicher HIV-Infektion. Insgesamt 170.000 Todesfälle waren auf multiresistente Mykobakterien zurückzuführen (1). Dieser Anteil ist hoch, wenn man davon ausgeht, dass weltweit die Zahl der Patienten mit multiresistenten Mykobakterien auf 450.000 geschätzt wird (8). Eine weitere alarmierende Zahl ist, dass von 94.000 Menschen mit multiresistenter Tbc, die für eine Behandlung in Frage kamen, nur 77.000 wirklich behandelt wurden, da für die anderen die antituberkulöse Zweitlinientherapie nicht verfügbar war (8). In einer kürzlich im Lancet publizierten Studie aus Südafrika wurde berichtet, dass von 107 Tbc-Patienten mit extensiv-multiresistenten (XDR) Mykobakterien (in dieser Studie Resistenzen gegen mindestens acht Substanzen) nach 24-monatiger Therapie nur 17 einen guten Verlauf hatten, 49 – also knapp die Hälfte – waren gestorben, sieben hatten die Therapie abgebrochen und 25 hatten auf die Therapie gar nicht angesprochen (9).

Zur Geschichte der Tbc-Therapie: Im August 2013 war der 70. Jahrestag der Entdeckung des ersten Wirkstoffs gegen Mycobacterium tuberculosis – Streptomycin (10, 11). Selman A. Waksman bekam für diese Entdeckung 1952 den Nobelpreis für Medizin. Die britische Gesundheitsbehörde (UK Medical Research Council Tuberculosis Unit) veranlasste die ersten kontrollierten randomisierten Studien zur Behandlung der Tbc (12). Dabei stellte sich schnell heraus, dass sich Resistenzen entwickeln, wenn nur eine wirksame Substanz zur Behandlung der Tbc eingesetzt wird (13). In den ersten sechs Monaten war Streptomycin deutlich wirksam (27% der Patienten ohne Streptomycin starben vs. 7% mit Streptomycin), aber nach fünf Jahren war die Letalität in beiden Gruppen nicht mehr unterschiedlich (58% vs. 76%), und bei fast allen Patienten waren die Erreger Streptomycin-resistent (12). Fast zeitgleich entdeckte der Schwede Jörgen Lehmann die antituberkulöse Wirksamkeit von Paraaminosalicylsäure (PAS), und in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden INH, Pyrazinamid, Cycloserin, Kanamycin und Ethambutol entwickelt. Ein weiterer Durchbruch gelang mit der Entdeckung der antituberkulösen Wirkung von Rifampicin, denn dadurch konnte die Kombinationstherapie von 18 Monaten auf neun Monate verkürzt werden.

Probleme bei antituberkulöser Therapie und wichtige Ziele neuer Behandlungsregime:

  1. Ein großes Problem ist die lange Behandlungsdauer von mindestens sechs Monaten. Dabei müssen in der Regel vier Wirkstoffe (Rifampicin, Ethambutol, INH und Pyrazinamid) kombiniert zwei Monate lang eingenommen werden und zwei davon (Rifampicin und INH) danach für weitere vier Monate. Dies bedarf einer eingehenden Aufklärung der Patienten, um eine optimale Arzneimitteladhärenz zu erreichen. Dass diese komplizierte langdauernde Therapie häufig nicht korrekt umgesetzt wird, ist die wichtigste Ursache für die Entstehung bakterieller Resistenzen und für erhöhte Letalität (13). Daher muss es ein wichtiges Ziel sein, ein Behandlungsregime mit kürzerer Dauer zu entwickeln, z.B. 2-3 Monate. Mykobakterien können bis zu 100 Tage nach Beginn einer prinzipiell wirksamen Therapie persistieren, was auf „ruhende“, nicht stoffwechselaktive Bakterien zurückgeführt wird (14). Neue Wirkstoffe sollten daher die Erreger idealer Weise in allen Stadien erreichen.
  2. Wegen der weltweit zunehmenden Zahl von Infektionen mit resistenten oder mehrfach resistenten Mykobakterien müssen neue Wirkstoffe entwickelt werden. Als mehrfach resistent werden Mykobakterien bezeichnet, die gegen Rifampicin und INH resistent sind. Die Behandlung solcher Patienten erfordert es derzeit, viel toxischere und teurere Medikamente einzusetzen als bei üblicher Erstlinientherapie. Auch dauert die Behandlung wesentlich länger, in der Regel 18-24 Monate (15).
  3. Bei der Entwicklung neuer antituberkulöser Wirkstoffe sollte bedacht werden, dass weltweit viele Menschen gleichzeitig mit HIV infiziert sind und eine antiretrovirale Therapie benötigen. Zukünftige antituberkulöse Wirkstoffe sollten daher möglichst wenige Wechselwirkungen mit der antiretroviralen Therapie haben.
  4. Ein weiteres Ziel muss es sein, die Behandlung der „latenten“ Tbc zu verbessern, um die Ansteckung innerhalb von Familien und anderen Gemeinschaften zu verringern. Wir haben kürzlich über die Schwierigkeiten und Defizite in diesem Bereich am Beispiel der südafrikanischen Minenarbeiter berichtet (16).

Neue antituberkulöse Wirkstoffe: Nach jahrzehntelangem Stillstand in der Forschung befinden sich seit ca. fünf Jahren mehrere Wirkstoffe in präklinischen Studien, und einige haben bereits alle Phasen der Arzneimittelprüfung durchlaufen (s. Tab. 1). Diese Liste beinhaltet bekannte Antibiotika, deren Wirksamkeit gegen Mykobakterien getestet wurde, bekannte Tuberkulostatika mit neuen Dosierungen und chemischen Abwandlungen, sowie auch neu entwickelte Wirkstoffe. Am weitesten fortgeschritten ist die Weiterentwicklung bereits bekannter Wirkstoffklassen bzw. neue Dosierungen. Beispiele hierfür sind Rifampicin-Derivate und Vertreter aus der Gruppe der Fluorochinolone.

Die Sequenzierung des Genoms von Mycobacterium tuberculosis hat zu einigen Ansätzen für die Entwicklung neuer Tuberkulostatika geführt. Von diesen sind die Diarylchinoline (Bedaquilin), Benzothiazinone (BTZ-043 und PBTZ-169) und Imidazopyridin-Amide (Q203) hervorzuheben. Bis auf Bedaquilin (Phase II) befinden sich alle noch in der präklinischen Prüfung (s. Tab. 1).

TBA-354, ein Nitroimidazol der 2. Generation, ist ähnlich wirksam wie Delamanid aber besser als PA-824, beides Vertreter der gleichen Gruppe. Der Vorteil ist eine bessere Bioverfügbarkeit als bei der 1. Generation (17).

Riminophenazine wie z.B. Clofazimin sind ursprünglich Farbstoffe, die Potenzial haben, die Therapie bei multiresistenter Tbc zu verkürzen. Ein noch bestehendes Problem ist, dass sie im Fettgewebe angereichert werden und die Haut verfärben. Bei TBI-166, ebenfalls aus dieser Gruppe, ist die Hautverfärbung geringer ohne dass die antimykobakterielle Wirkung abgeschwächt ist (18).

Q203 ist ein Vertreter einer neuen Klasse antimykobakteriell wirksamer Substanzen, den Imidazopyridinen. Sie hemmen das Wachstum von Mykobakterien durch eine Blockierung des Atmungs-Zytochrom-Komplexes bc1. Q203 hat einen ähnlichen Angriffspunkt wie Bedaquilin, blockiert diesen Stoffwechsel aber effektiver, besonders bei multiresistenten Mykobakterienstämmen (19).

Zwei Vertreter der Benzothiazinone (PBTZ-169 und BTZ-043) stehen kurz vor der Phase I. Durch einen neuen Wirkmechanismus wird der Aufbau der Zellwand von M. tuberculosis gestört und es kommt zur Lyse (20).

Spectinamide sind eine neue Klasse semisynthetischer Tuberkulostatika. Sie leiten sich vom Antibiotikum Spectinomycin ab, das nur schwach tuberkulostatisch wirkt. In verschiedenen Tiermodellen mit normalen wie auch multi-resistenten Mycobacterium-tuberculosis-Stämmen war die neue Wirkstoffklasse überzeugend wirksam (21). Die schlechte Bioverfügbarkeit bei oraler Einnahme ist jedoch ein Hindernis (22).

Phase-IIa-Studien: Derzeit sind Fortschritte in der Therapie am schnellsten zu erreichen, indem eine bekannte antituberkulöse Wirksamkeit verschiedener Antibiotika durch chemische Veränderungen verbessert wird. Beispiele hierfür sind Vertreter aus der Gruppe der Oxazolidinone, z.B. Linezolid. Linezolid wurde zunächst gegen grampositive Bakterien entwickelt und seine Wirksamkeit gegen Mykobakterien erst später erkannt. Verschiedene Derivate wurden synthetisiert mit stärkerer antimykobakterieller Wirksamkeit und geringerer Myelotoxizität, z.B. Sutezolid, AZD-5847, Radezolid und Tedizolid (23). Diese Derivate werden derzeit im Tierversuch „head-to-head“ verglichen, um die besten Kandidaten für eine klinische Studie am Menschen zu finden (7).

Eine Kombination von Carbapenemen und Clavulansäure ist wirksam gegen ruhende und replizierende M. tuberculosis. Es bestehen jedoch noch Probleme, die orale Bioverfügbarkeit zu verbessern (24).

Verkürzung der Behandlungszeit: Derzeit wird geprüft, ob Flurochinolone, wie Moxifloxacin oder Gatifloxacin sowie Rifapentin dazu beitragen können, die Behandlungszeit zu verkürzen. In diesem Jahr werden die Ergebnisse einer Phase-III-Studie (REMoxTB) erwartet, in der die Wirksamkeit von vier Monaten Therapie unter Einschluss von Moxifloxacin mit sechsmonatiger Standardtherapie verglichen wird. Primärer Endpunkt dieser Studie sind bakteriologisches Versagen oder Rückfall der Erkrankung (25).

Neuzulassungen: Bedaquilin (Sirturo®) und Delamanid (Deltyba®) sind die ersten neuen Wirkstoffe, die zur Behandlung der Tbc seit über 50 Jahren zugelassen worden sind. Bedaquilin wurde von der FDA im Dezember 2012 und von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) im März 2014 für die Behandlung von Infektionen mit multiresistenten M. tuberculosis zugelassen, allerdings mit der Forderung nach einer Phase-III-Studie („Bedingte Zulassung“; 26). Delamanid wurde als zweiter neuer Wirkstoff zur Behandlung der multiresistenten Tbc von der FDA und im Mai 2014 auch von der EMA zugelassen (27). Außerdem erhielt – der seit Jahrzehnten bekannte Wirkstoff PAS – als Para-Aminosalicylsäure Lucane (PAS) die Zulassung zur Behandlung der multiresistenten Tbc (28).

Literatur

  1. http://www.who.int/tb/publications/global_report/en.Link zur Quelle
  2. AMB 2010, 44,27 Link zur Quelle . AMB 2011, 45, 86a. Link zur Quelle
  3. AMB 2009, 43,61. Link zur Quelle
  4. AMB 2012, 46,53. Link zur Quelle
  5. AMB 2009, 43,69b. Link zur Quelle
  6. AMB 2012, 46,85a. Link zur Quelle
  7. http://www.who.int/mediacentre/factsheets/who104/en/print.htmlLink zur Quelle
  8. Zumla, A.I., et al.:Lancet Infect. Dis. 2014, 14, 327. Link zur Quelle
  9. Pietersen, E., et al.:Lancet 2014, 383, 1230. Link zur Quelle
  10. Schatz, A.: Proc. Soc. Exp. Biol. Med. 1944, 55, 66.
  11. Wassersug, J.D.: N.Engl. J. Med. 1946, 235, 220. Link zur Quelle
  12. Medical ResearchCouncil: BMJ 1948, 2, 769. Link zur Quelle
  13. Falzon, D., et al.: Eur. Respir. J. 2011, 38, 516. Link zur Quelle
  14. Mukamolova, G.V., et al.: Am. J. Respir.Crit. Care Med. 2010, 181, 174. Link zur Quelle
  15. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK148644/Link zur Quelle
  16. AMB 2014, 48, 23. Link zur Quelle
  17. Upton, A.M.: TBA-354: a next generationnitroimidazole for treatment of drug sensitive and drug-resistant tuberculosis.52nd Interscience Conference on Antimicrobial Agents and Chemotherapy: SanFrancisco, CA, USA; Sept 9-12, 2012. 438.
  18. Zhang, D., et al.: J. Med. Chem. 2012, 55, 8409. Link zur Quelle
  19. Pethe, K., et al.: Nat. Med. 2013, 19, 1157. Link zur Quelle
  20. Makarov, V., et al.: Science 2009,324, 801. Link zur Quelle
  21. Lee, R.E., et al.: Nat. Med. 2014, 20,152. Link zur Quelle
  22. Nathan, C.: Nat. Med.2014, 20, 121. Link zur Quelle
  23. Sotgiu, G., et al.: Eur. Respir. J. 2012, 40, 1430. Link zur Quelle
  24. Hugonnet, J.E., et al.: Science2009, 323, 1215. Link zur Quelle
  25. http://www.tballiance.org/annualreport/clinical.htmLink zur Quelle
  26. http://www.ema.europa.eu/…Link zur Quelle
  27. http://www.ema.europa.eu/…Link zur Quelle
  28. http://www.ema.europa.eu/ema/…Link zur Quelle

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