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Katheterinterventioneller Aortenklappenersatz (TAVI) – eine Alternative auch für operable Patienten?

Zusammenfassung: Patienten < 75 Jahre mit symptomatischer hochgradiger Aortenklappenstenose, die mit niedrigem bis intermediärem Risiko operabel sind, sollten aufgrund der zurzeit unklaren Langzeit-Haltbarkeit der Prothesen ausschließlich im Rahmen klinischer Studien für eine TAVI in Betracht gezogen werden. Bei Patienten < 65 Jahre ist der chirurgische mechanische Klappenersatz weiterhin erste Option. Für alle Patienten ≥ 85 Jahre (unabhängig vom Operationsrisiko) sowie inoperable Patienten und solche mit sehr hohem Operationsrisiko (unabhängig vom Alter) kann TAVI als Option erster Wahl angesehen werden. Bei allen anderen Patienten kann eine TAVI in Betracht gezogen werden. Für jeden Patienten ist die Strategie nach objektiver Risiko-Nutzen-Abwägung in einem interdisziplinären Team festzulegen. Wegen der fehlenden Daten zur Langzeit-Haltbarkeit der Prothesen sollten Zuweisung und Indikationsstellung zur TAVI umso zurückhaltender sein, je länger die Lebenserwartung des Patienten ist. Es ist zu hoffen, dass die Europäische Gesellschaft für Kardiologie in der für 2017 geplanten Aktualisierung ihrer Leitlinien auf diese noch auf Jahre hinaus unsichere Datenlage entsprechend reagiert und individuell-differenzierte Empfehlungen ausspricht.

Vor vier Jahren haben wir erstmals über die katheterinterventionelle Aortenklappenimplantation (Transcatheter Aortic Valve Implantation = TAVI oder gleichbedeutend: Replacement = TAVR) berichtet. Aufgrund der begrenzten klinischen Erfahrung bei noch unklaren Risiken sahen wir damals eine Indikation für eine TAVI nur bei selektierten, nicht-operablen Patienten mit hochgradiger Aortenklappenstenose (AS) gegeben (1). Infolge neuer, teils positiver Studienergebnisse, durch den Druck von (länderspezifischen) Vergütungssystemen, den Einfluss von Herstellern sowie auch zunehmende Präferenzen der Patienten und zuweisenden Ärzte hat sich die Indikation sehr schnell auch auf operable Patienten ausgeweitet. Deutschland ist wie bei vielen interventionellen Verfahren „Vorreiter“: Bereits 2013 wurden erstmals mehr Bioprothesen mittels TAVI als chirurgisch implantiert (chirurgischer Aortenklappenersatz = cAKE).

Inzwischen wird bereits die Indikationserweiterung auf Patienten mit niedrigem OP-Risiko diskutiert – für uns Anlass zu einer aktuellen Bewertung der Evidenzlage und des aktuellen Stands der Leitlinien. Unsere Darstellung erfolgt – der „historischen“ Entwicklung entsprechend – anhand der Risikogruppen (niedrig, intermediär, hoch), die initial eher willkürlich durch kardiochirurgische Risikoscores definiert wurden, z.B. perioperatives Letalitätsrisiko nach STS (Society of Thoracic Surgeons)-Score: < 4%; 4-8%; > 8%. Da sich diese Scores als ungeeignet erwiesen haben, Patienten zu charakterisieren, die für eine TAVI in Frage kommen, werden sie hier nicht näher behandelt.

Inoperable Patienten und solche mit hohem Operationsrisiko: Für inoperable Patienten ist eine geringere Letalität der TAVI gegenüber einer „konventionellen“ Therapie (konservativ oder reine Ballon-Valvuloplastie) nachgewiesen: Das positive Ergebnis der randomisierten PARTNER-1-Studie (Kohorte B), für die inzwischen auch 5-Jahres-Daten publiziert sind (2), wurde in einer zweiten randomisierten Studie mit einem Jahr Nachbeobachtungszeit bestätigt (3). Bei operablen Patienten mit hohem OP-Risiko erwies sich die TAVI in der PARTNER-1-Studie (Kohorte A) gegenüber dem cAKE hinsichtlich Letalität nach 5 Jahren als gleichwertig (4). In einer weiteren randomisierten Studie mit drei Jahren Nachbeobachtung ergab die TAVI bei Patienten mit erhöhtem OP-Risiko einen Vorteil hinsichtlich der Letalität verglichen mit dem cAKE (5, 6). Über die eingeschränkte Aussagekraft und Kritikpunkte der PARTNER-1-Studie haben wir berichtet (1). So gab es Inkonsistenzen der beteiligten Zentren hinsichtlich Risikoeinschätzung, Patienteneinschluss und Implantationserfahrung (Lernkurven), Unausgewogenheiten der Baseline-Charakteristika, Interessenkonflikte der Autoren, keine Verblindung, verschiedene Hersteller und Sponsoren der einzelnen Studien (2, 4: Medtronic; 3, 5: Edwards) sowie nur TAVI-Systeme der ersten Generation. Registerdaten (AQUA, STS/ACC TVT, SOURCE etc.) deuten ebenfalls einigermaßen konsistent auf einen Vorteil der TAVI bei Patienten aus diesen Risikogruppen hin. Die aktuellen Leitlinien der europäischen und US-amerikanischen Fachgesellschaften von 2012 bzw. 2014 (7, 8) geben daher für inoperable Patienten eine Klasse-I-Empfehlung für die TAVI und für Patienten mit hohem OP-Risiko eine Klasse-IIa-Empfehlung (Evidenzgrad B). Aktualisierte europäische Leitlinien werden für 2017 erwartet.

Patienten mit intermediärem Operationsrisiko: Für diese Patientengruppe liegen Daten aus der PARTNER-2-Studie vor (9). In dieser Studie wurden 2.032 Patienten 1:1 für TAVI (n = 482 transthorakaler, n = 1550 transfemoraler Zugang) oder cAKE randomisiert. Der primäre kombinierte Endpunkt bestand aus Gesamtletalität und schwerem Schlaganfall. Dieser trat während einer Nachbeobachtung von zwei Jahren in beiden Gruppen nicht signifikant unterschiedlich häufig auf (Intention-to-treat-Auswertung): TAVI vs. cAKE 19,3% vs. 21,1%; Hazard ratio = HR für TAVI: 0,89; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,73-1,09; p = 0,25; p = 0,001 für Nicht-Unterlegenheit. In der Gruppe der transfemoralen TAVI (TF-TAVI) war das Ergebnis noch günstiger für die TAVI (16,3% vs. 20%; HR: 0,78; p = 0,04). Als Kritikpunkt an der PARTNER-2-Studie ist zu nennen, dass 12% der Patienten doch einen vergleichsweise hohen Risikoscore, also nicht wirklich ein intermediäres Risiko hatten. Ein prospektives Register mit einem TAVI-System der dritten Generation, dessen Daten mittels Propensity-Score-Analyse mit dem chirurgischen Arm der PARTNER-2-Studie verglichen wurde, ergab eine signifikante Überlegenheit der TAVI (10).

Patienten mit niedrigem Operationsrisiko: Für diese Patientengruppe liegen bisher nur Daten aus der kleinen randomisierten NOTION-Studie aus Dänemark vor (11): 280 Patienten wurden von 2009 bis 2013 für TAVI oder cAKE 1:1 randomisiert. Der primäre kombinierte Endpunkt bestand aus Gesamtletalität, Schlaganfall und Myokardinfarkt. Nach einer Nachbeobachtungszeit von einem Jahr war er in beiden Gruppen nicht signifikant verschieden (TAVI vs. cAKE 13,1% vs. 16,3%; p = 0,43), ebenso die Einzelkomponenten Letalität (4,9% vs. 7,5%; p = 0,38) und Schlaganfall (2,9% vs. 4,6%; p = 0,44). Das Ergebnis besteht auch nach zwei Jahren fort (12). Weitere Studien zu Patienten mit niedrigem Risiko werden derzeit durchgeführt (z.B. PARTNER 3, NOTION-2).

Prozedurale Komplikationen: Eine kürzlich im BMJ publizierte Metaanalyse (13) aller Vergleichsstudien TAVI vs. cAKE, die Patienten mit intermediärem und/oder niedrigem Risiko einschloss (6, 9, 11, 14), hatte folgendes Ergebnis: die über den transfemoralen Standardzugang durchgeführte TAVI führt seltener zu Schlaganfall (Relatives Risiko = RR: 0,80; CI: 0,63-1,01; I2 = 0%, d.h. keine Heterogenität der Studien), akutem Nierenversagen (RR: 0,38; CI: 0,27-0,53; I2 =0%), schweren Blutungen (RR: 0,39; CI: 0,29-0,54; I2 = 71%, d.h. deutliche Heterogenität der Studien) und Vorhofflimmern (RR: 0,43; CI: 0,35-0,52; I2 = 38%, d.h. mäßige Heterogenität der Studien) und resultiert in einer größeren postoperativen Klappenöffnungsfläche als ein cAKE. Allerdings haben Patienten mit TAVI häufiger paravalvuläre Leckagen (RR: 12,22; CI: 5,17-28,88; I2 = 0%), benötigen häufiger Re-Interventionen (RR: 3,25; CI: 1,29-8,14; I2 = 0%) und permanente Herzschrittmacher wegen AV-Blockierungen (RR: 2,45; CI: 1,17-5,14; I2 = 88%). Außerdem waren in den TAVI-Gruppen die Symptome der Herzinsuffizienz etwas stärker ausgeprägt (Wahrscheinlichkeit für eine um einen Punkt schlechtere NYHA-Klasse: im Vergleich zu cAKE: OR: 1,29; CI: 1,08-1,55; I2 = 0%).

Postoperative Frühkomplikationen: Die mit der Implantation assozierte Prothesenendokarditis scheint nach TAVI ähnlich häufig aufzutreten wie nach cAKE, ist aber – da eine leitliniengerechte Re-Operation aufgrund des per se bereits hohen OP-Risikos bei vielen Patienten nicht möglich ist – mit besonders hoher Letalität behaftet, wie wir kürzlich berichtet haben (15, 16). Die Bedeutung subklinischer Frühthrombosen einzelner Klappentaschen bleibt vorerst noch unklar. Sie wurden zunächst bei TAVI-Studienpatienten computertomographisch als Zufallsbefund und in Folge auch bei chirurgischen Bioprothesen entdeckt (17).

Spätkomplikationen und Langzeit-Haltbarkeit: Es gibt materialbedingte Spätkomplikationen, mit denen nach TAVI naturgemäß gerechnet werden muss, da sie auch von den chirurgischen Bioprothesen bekannt sind (18), aber auch TAVI-spezifische Komplikationen (19): strukturelle Klappendegeneration, z.B. durch Kalzifikation, Riss oder Fraktur der Prothese selbst und nicht-strukturelle Klappendysfunktion, z.B. durch Interposition von Pannus oder Gewebeanteilen, fehlerhafte Größe oder Positionierung der Prothese, paravalvuläre Lecks, Hämolyse, Koronarischämie durch Interaktion mit den Koronarostien, Spätendokarditis, Spätthrombose sowie Spätdislokation der Prothese. Auch wurde über irreversible Prothesendeformationen nach Herzdruckmassage berichtet (19). Zur Inzidenz dieser im Langzeitverlauf zu erwartenden Spätkomplikationen nach TAVI sind derzeit keine verlässlichen Aussagen möglich, denn es gibt bisher nur wenige Einzelberichte und unsystematische kleine Fallserien.

Es wird über die Gründe diskutiert (20, 23), weshalb die genannten Komplikationen nach TAVI möglicherweise früher als bei chirurgischen Bioprothesen auftreten und somit eine kürzere Haltbarkeit bedingen könnten:

· Klappenkonstruktion: Alle Bioprothesen bestehen aus trikuspiden Klappen, die aus bovinem oder porzinem Perikard gefertigt werden. TAVI-Bioprothesen sind in ein kreisrundes Stent-Gerüst montiert, dagegen simulieren chirurgische Bioprothesen die Geometrie der nativen Aortenklappe. Man vermutet, dass die Hersteller von TAVI-Bioprothesen ein dünneres und/oder anders vorbehandeltes Perikard verwenden, um im Einführungskatheter (Durchmesser um 6 mm) Platz zu sparen.

· Implantation: Alle TAVI-Bioprothesen werden unter verhältnismäßig großem Kraftaufwand zunächst gefaltet („Crimping“), damit sie in den Einführungskatheter passen. Bei einigen Systemen wird die Klappe zudem mittels Ballonaufdehnung in die verkalkte native Aortenklappe gepresst. Es ist nicht auszuschließen, dass es bei diesem Vorgang zu Mikroverletzungen der Prothese kommt.

· Postinterventionelles Ergebnis: Durch Kalk und anatomische Besonderheiten an der nativen Klappe und dem Klappenring kann es sein, dass die Bioprothese auch bei korrekter Implantation mit gutem funktionellen Ergebnis ihre ideale Geometrie nicht ganz erreicht, z.B. leicht ovalär und/oder asymmetrisch bleibt.

Die Langzeit-Haltbarkeit ist ein besonders großes Problem, wenn die Indikation für eine TAVI auf jüngere Patienten ausgeweitet wird. In der Herzchirurgie gilt laut aktuellen Leitlinien eine Altersgrenze von 60-65 Jahren als wichtigstes Einzelkriterium zur Auswahl zwischen biologischen und mechanischen Klappenprothesen (7, 8). Die Grenze ergibt sich aus mehreren großen Registern mit zehntausenden von Patienten und gut kalkulierbarer Relation von Haltbarkeit der Klappenprothesen zur Lebenserwartung (18). Solche Grenzen sind für alle katheterinterventionell implantierbaren Bioprothesen derzeit noch nicht bekannt und können erst nach Auswertung von Langzeitstudien mit einer ausreichenden Anzahl „jüngerer“ Patienten (< 75 Jahre) eruiert werden. Das wird – insbesondere für die TAVI-Systeme der dritten Generation – frühestens in fünf, eher aber erst in zehn Jahren der Fall sein. Die bisherigen TAVI-Studien werden in dieser Frage wahrscheinlich nicht weiterhelfen, denn das mittlere Alter der Patienten betrug sogar in der (bisher einzigen) Niedrig-Risiko-Studie NOTION 79 Jahre, bei allen anderen oben erwähnten TAVI-Studien 82-84 Jahre. Erste vorläufige Daten (kleine Patientenzahl, TAVI-Systeme früher Generationen, nur echokardiographische Endpunkte) deuten darauf hin, dass TAVI-Prothesen möglicherweise deutlich kürzer haltbar sind als chirurgische Bioprothesen (20).

Die Deutsche Kardiologische Gesellschaft (DGK) sieht nach einem aktualisierten Positionspapier für die transfemorale TAVI eine Klasse-I-Indikation bei allen Patienten > 85 Jahre (risikounabhängig) und ebenso bei allen Patienten mit intermediärem und hohem OP-Risiko (altersunabhängig). Für Patienten mit niedrigem OP-Risiko wird eine Klasse-IIb-Indikation genannt (21). Diese Empfehlungen sind aus unserer Sicht zu großzügig. Im BMJ (22) wird auf Basis der oben zitierten Metaanalyse (14) eine Vorgehensweise vorgeschlagen, die stärker nach dem Alter der Patienten differenziert. Sie kann wohl als Diskussionsgrundlage für künftige Leitlinien verstanden werden und liegt auch unserer Tab. 1 zugrunde. Es handelt sich dabei jedoch um eine stark vereinfachte und diskussionsbedürftige Darstellung eines Entscheidungsgerüstes, das nicht die individuelle klinische Endscheidung eines Teams gemeinsam mit dem Patienten ersetzen kann.

Literatur

  1. AMB 2012, 46, 89. Link zur Quelle
  2. Kapadia, S.R., et al. (PARTNER 1 = Placementof AoRTic traNscathetER valves 1): Lancet2015, 385, 2485. Link zur Quelle
  3. Popma, J.J., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2014, 63, 1972. Link zur Quelle
  4. Mack, M.J., et al. (PARTNER 1 = Placementof AoRTic traNscathetER valves 1): Lancet2015, 385, 2477. Link zur Quelle
  5. Deeb, G.M., et al.: J. Am. Coll. Cardiol.2016, 67, 2565. Link zur Quelle
  6. Adams, D.H., et al.: N. Engl. J. Med. 2014, 370, 1790.Link zur Quelle
  7. Nishimura, R.A., et al.: J.Am. Coll. Cardiol. 2014, 63, e57. Link zur Quelle
  8. Leon, M., et al. (PARTNER 2 = Placementof AoRTic traNscathetER valves 2).N. Engl. J. Med. 2016, 374, 1609. Link zur Quelle
  9. Thourani,V.H., et al.: Lancet 2016, 387, 2218. Link zur Quelle
  10. Thyregod,H.G., et al. (NOTION = Nordic aortic valve interventiontrial): J. Am. Coll. Cardiol. 2015, 65, 2184. Link zur Quelle
  11. Søndergaard,L., et al.: Circ. Cardiovasc. Interv. 2016, 9, e003665. Link zur Quelle
  12. Siemieniuk, R.A., et al.: BMJ 2016, 354, i5130. Link zur Quelle
  13. Nielsen,H.H., et al. (STACCATO): EuroIntervention 2012, 8, 383. Link zur Quelle
  14. AMB 2016, 50, 78. Link zur Quelle
  15. Regueiro,A., et al.: JAMA 2016, 316, 1083. Link zur Quelle
  16. Makkar, R.R., et al.: N. Engl. J. Med. 2015, 373,2015. Link zur Quelle
  17. Bourguignon,T., et al.: Ann. Thorac. Surg. 2015, 99, 831. Link zur Quelle
  18. Mylotte, D., et al.: Eur. Heart J.2015, 36, 1306. Link zur Quelle http://eurheartj.oxfordjournals.org/content/36/21/1306.long
  19. EuroPCR 2016; 17. Mai 2016; Paris, Frankreich. Link zur Quelle
  20. Kuck, K.-H., et al.: Kardiologe 2016, 10, 282. Link zur Quelle
  21. Vandvik,P.O., et al.: BMJ 2016, 354, i5085. Link zur Quelle
  22. Arsalan,M., und Walther, T.: Nat. Rev. Cardiol. 2016, 13, 360. Link zur Quelle

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