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Ethische Aspekte der Herzschrittmachertherapie

Implantierbare elektronische Medizinprodukte („Devices“) haben sich in der Kardiologie als hochwirksame Therapie bradykarder und tachykarder Herzrhythmusstörungen sowie bestimmter Formen der Herzinsuffizienz etabliert. Parallel zur quantitativen Zunahme der damit behandelten Patienten haben sich in den vergangenen Jahrzehnten die Device-Therapien, z.B. mit Herzschrittmachern (SM) und implantierbaren Cardioverter-Defibrillatoren (ICD) immer mehr differenziert. Auch einfache SM haben heute – teilweise herstellerspezifische – programmierbare Funktionen, die weit über die SM-Basisfunktionen hinausgehen. Wir haben in den vergangenen Jahren mehrfach auf verschiedene Herausforderungen hingewiesen, die diese Entwicklungen mit sich bringen, wie Besonderheiten der Zulassung von Medizinprodukten (1, 2), Komplikationsraten (3, 4) und Aspekte bei alten und komorbiden Patienten (5). Ein aktuelles Review australischer Autoren befasst sich mit ethischen Aspekten der SM-Therapie (6). ICD werden zwar nicht explizit besprochen, jedoch trifft der Großteil der Schlussfolgerungen auf ICD ebenso zu wie auf SM. Sechs sensible Bereiche werden von den Autoren aufgelistet:

Der erste Punkt betrifft ein in den vergangenen Jahren in Fachkreisen verhältnismäßig intensiv erörtertes Thema:

1. Deaktivierung am Ende des Lebens. Es handelt es sich um einen rechtlich unzureichend definierten Graubereich. Das grundlegende Recht des Patienten auf Ablehnung einer Behandlung trifft zwar auf implantierte SM ebenso zu wie auf jede andere Art von Therapie. In der Praxis ergeben sich jedoch schwierige ethische und juristische Fragen, insbesondere bei Patienten, die von einer Deaktivierung unmittelbar vital betroffen wären: Auf wessen Wunsch, unter welchen Voraussetzungen und durch wen darf ein Herzschrittmacher deaktiviert werden? Im Einzelfall müssen zur Entscheidung individuelle Faktoren und die jeweils gültige Rechtsgrundlage berücksichtigt werden. In der Regel wird die Entscheidung für die Deaktivierung eines rein antibradykarden SM wesentlich zurückhaltender und seltener getroffen als bei ICD. Falls für die Deaktivierung eines SM entschieden wird, muss für eine angemessene palliative Weiterbetreuung des Patienten gesorgt sein. Idealerweise sollte dieses sensible Thema mit Patienten und Angehörigen bereits vor der SM-Implantation sachlich besprochen werden, wobei es nicht zuletzt auch wichtig ist, die häufig von Patienten geäußerte Angst, „mit einem SM nicht sterben zu können“, zu relativieren.

Die folgenden drei Punkte behandeln Interessenkonflikte und evidenzbasierte Risiko-Nutzen-Abwägungen, die im Bereich der Medizintechnik besonderen Gegebenheiten unterliegen:

2. Interessenkonflikte. Ärzte: Wie bei allen medizinischen Implantaten besteht auch bei Device-Therapien im kardiologischen Bereich eine besonders intensive Kooperation zwischen Ärzten und Herstellerfirmen im klinischen Alltag. Ärztliches Wissen und Feedback sind unerlässlich für Forschung und Entwicklung besserer SM-Systeme. Es ist davon auszugehen dass – analog zur Arzneimitteltherapie, wo Einflüsse auf das Verschreibungsverhalten gut belegt sind (vgl. 7) – auch in der SM-Therapie bewusste und unbewusste Interessenkonflikte der Ärzte bestehen.

Vertreter der Herstellerfirmen: Vielerorts besteht eine enge Einbindung von Firmenvertretern in SM-Implantation, -Nachsorge und -Programmierung, die dabei die Interessen von drei verschiedenen Gruppen berücksichtigen müssen: ihre Arbeitgeber, ihre Kunden (= Ärzte) und die Patienten, deren Behandlung sie unterstützen. Wenn sie Empfehlungen zur Auswahl des SM-Aggregats oder zur Entscheidung über den Zeitpunkt eines SM-Austauschs äußern, kann der Einfluss kommerzieller Interessen potenziell negative Auswirkungen auf Patienten und/oder auf Behandlungskosten haben. Der nicht nur in den USA weitverbreitete (und durch Marktkonkurrenz getriggerte) Usus, dass Firmenvertreter SM-Nachsorge alleine durchführen und dabei mitunter auch klinisch relevante Entscheidungen treffen (z.B. Umprogrammierungen des SM), ist nachdrücklich abzulehnen.

Institutionen: Die Aus- und Weiterbildung von Ärzten für die immer komplexere SM-Therapie (SM-Auswahl, Implantation, Nachsorge) ist nur unter Mithilfe der Herstellerfirmen möglich, und Kliniken sind darauf angewiesen. Die Grenzen zwischen „Training“ und „Marketing“ sind dabei allerdings häufig noch schwieriger zu erkennen als in anderen Bereichen der Medizin. Dasselbe trifft auf technischen Support zu, wie etwa die kostenlose Bereitstellung von Programmiergeräten, wodurch z.B. Entscheidungen für oder gegen bestimmte SM-Systeme beeinflusst werden können. Regulatorische Behörden und Krankenhäuser sollten hier eine klare Trennung fordern: Firmenvertreter, die Training und technischen Support liefern, sollten von der Verkaufsabteilung unabhängig agieren und nicht direkt am Umsatz beteiligt sein.

3. Einfluss der Konkurrenz um Marktanteile. Die SM-Therapie ist ein hochkompetitives Feld in einem großen globalen Markt. Mehrere konkurrierende Herstellerfirmen bemühen sich um laufende Verbesserungen bei Hard- und Software. Dabei gibt es eine Reihe von problematischen Aspekten:

Kompatibilität und rascher Produktwechsel: Das frühere Problem inkompatibler SM-Sonden und SM-Aggregate wurde Ende der 1980er Jahre durch regulatorische Maßnahmen (ISO-Standard) gelöst. Im Bereich der Software und der Programmiergeräte sind die SM-Hersteller aber weiterhin untereinander nicht kompatibel, und auch die Kompatibilität neuerer mit älteren SM-Generationen desselben Herstellers („backwards compatibility“) ist nicht immer gegeben. Neue SM-Modelle werden von den Herstellern etwa einmal jährlich vorgestellt, während die Lebenszeit eines implantierten Aggregats bei 8-12 Jahren liegt. Diese Diskrepanz zwischen kommerziellem und technischem Lebenszyklus eines SM kann analog zur „geplanten Obsoleszenz“ in der Unterhaltungselektronik den Zwang zu – oder auch einfach den Wunsch nach – einem rascherem (aber medizinisch nicht notwendigen) Wechsel auf einen neuen (und teureren) SM hervorrufen.

Einfluss auf ärztliche Expertise: Die kurze technologische Halbwertszeit führt dazu, dass es für Ärzte immer schwieriger wird, mit allen SM-Generationen ausreichend vertraut zu bleiben. Eine dieser Entwicklung entsprechende engmaschige kontinuierliche Weiterbildung kann nur durch Spezialisten erfolgen.

Limitierte Evidenz: Für viele der immer komplexeren SM-Funktionen gibt es kaum Evidenz für einen klinischen Nutzen. Sofern sich ein SM nicht substanziell von seinem Vorgängermodell unterscheidet sind keine Zulassungsstudien erforderlich.

4. Risiken der Schrittmacher-Fernabfrage. Fernabfragen (z.B. über Internet, Smartphone) und die elektronische Übermittlung von SM-Daten ermöglichen eine SM-Nachsorge, ohne dass der Patient persönlich erscheinen muss. SM-Fehlfunktionen können früher erkannt werden. Zahlreiche rechtliche Fragen zum Datenschutz sind jedoch noch ungeklärt, etwa wenn patientenbezogene Daten auf Servern der Herstellerfirmen gespeichert und von Firmenpersonal verwaltet und bearbeitet werden. Auf die Möglichkeit von Hackerangriffen wurde bereits hingewiesen.

Die letzten beiden Punkte betreffen vor allem Gesundheitssysteme mit eingeschränkten Ressourcen:

5. Ausgewogener Zugang zur Gesundheitsversorgung. An gut ausgestatteten kardiologischen Zentren sind Expertise und Programmiergeräte für SM-Systeme aller Hersteller und aller Generationen vorhanden. Aber je weiter in der (geographischen und in manchen Ländern auch sozialen) Peripherie sich ein Patient befindet, desto schwieriger kann – insbesondere im Notfall – eine SM-Abfrage und/oder -Umprogrammierung werden, wobei dies durchaus auch in entlegenen Regionen westlicher Industrieländer der Fall sein kann. Es muss an Industrie und an regulatorische Behörden appelliert werden, analog zu den SM-Sonden einen einheitlichen Standard zu entwickeln, damit zumindest basale Funktionen künftiger SM-Systeme mit einem einzigen Programmiergerät abgefragt und programmiert werden können.

6. Wiederverwendung gebrauchter Herzschrittmacher. In manchen – v.a. afrikanischen – Ländern ergibt sich eine ganze Reihe von Fragen durch die dort gängige Praxis der Wiederverwendung gebrauchter SM-Aggregate. Dazu zählen verschiedene Aspekte: hygienisch-infektiologische, technische (Mindestlebensdauer der SM-Batterie, Funktionsfähigkeit des SM), juristische (Einwilligung des „Spenders“, Besitzverhältnisse) und ethische (Vertretbarkeit einer nicht standardgemäßen Behandlung des „Empfängers“ mit gebrauchtem SM). Es handelt sich dabei um explantierte SM Verstorbener oder um SM, die aus unterschiedlichen Gründen lebenden Patienten explantiert werden.

Fazit: Die Zahl der Patienten mit implantierten Herzschrittmachern wird durch die demographische Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten deutlich zunehmen. Es ist davon auszugehen, dass parallel dazu auch die Schrittmachersysteme komplexer werden. Ethische Aspekte reichen von (fehlenden) Handlungsanweisungen für Situationen am Lebensende über vielschichtige Interessenkonflikte und Probleme, die sich beispielsweise aus dem raschen technologischen Fortschritt im Bereich implantierbarer elektronischer Medizinprodukte ergeben. Hinzu kommt in unterprivilegierten Regionen und Ländern die immer größer werdende Diskrepanz zwischen industrieseitig angebotener High-Tech-Medizin einerseits und der für Patienten und Gesundheitssysteme erschwinglichen und verfügbaren Versorgung andererseits. Die daraus entstehenden Herausforderungen werden nicht nur Ärzte sowie Patienten und deren Angehörige zunehmend betreffen, sondern auch Hersteller und regulatorische Behörden.

Literatur

  1. AMB 2010, 44, 09. Link zur Quelle
  2. AMB 2014, 48, 30b. Link zur Quelle
  3. AMB 2012, 46, 37a. Link zur Quelle
  4. AMB 2014, 48, 63. Link zur Quelle
  5. AMB 2012, 46, 22a. Link zur Quelle
  6. Hutchisen, K., und Sparrow, R.: Europace 2018, 20, 739. Link zur Quelle
  7. AMB 2017, 51, 32DB01 Link zur Quelle . AMB 2014, 48, 88DB01 Link zur Quelle . AMB 2012, 46, 16b. Link zur Quelle