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Protonenpumpenhemmer für Patienten auf der Intensivstation mit Risiko für gastrointestinale Blutungen?

Patienten auf Intensivstationen erhalten regelmäßig Protonenpumpenhemmer (PPI), um stressbedingten gastrointestinalen Blutungen vorzubeugen, denn diese können die Prognose verschlechtern (1, 2). Für Patienten mit entsprechenden Risikofaktoren ist dieses Vorgehen bereits in Leitlinien verankert (3). Als Risikofaktoren für eine gastrointestinale Blutung auf der Intensivstation sind folgende Situationen definiert: mechanische Beatmung, Blutgerinnungsstörung, Antikoagulation sowie Störungen der Leber- und Nierenfunktion (4-6). Fast alle Patienten einer internistischen Intensivstation haben mindestens einen der hier aufgeführten Risikofaktoren, und daher erhalten die meisten Patienten PPI (7). In den USA gehören PPI zu den am häufigsten “off label” eingesetzten Medikamenten auf Intensivstationen, weil die Food and Drug Administration (FDA), ebenso wie die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) PPI für die „Stress-Ulkus“-Prophylaxe nicht zugelassen hat (8). Die Evidenz für Vorteile der massenhaften Verwendung von PPI auf Intensivstationen ist allerdings gering (9, 10). In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass PPI auch beträchtliche Nebenwirkungen bei längerer Einnahme verursachen können (vgl. 11). Zu diesen zählen u.a. Clostridium-difficile-assoziierte Erkrankungen, Pneumonie und myokardiale Ischämie (12-14). Nun wurde eine Studie publiziert, die den Nutzen und den potenziellen Schaden dieses Vorgehens auf Intensivstationen untersucht hat (15).

Methodik: Diese große europäische, verblindete, randomisierte, kontrollierte Multicenterstudie wurde mit Mitteln des dänischen Staates finanziert. Insgesamt waren 33 Intensivstationen aus folgenden Ländern beteiligt: Dänemark, Finnland, Niederlande, Norwegen, Schweiz und England. Zwischen Januar 2016 und Oktober 2017 wurden insgesamt 3.298 über 18 Jahre alte Patienten (65% Männer; medianes Alter 67 Jahre) in die Studie eingeschlossen, die unplanmäßig auf eine Intensivstation aufgenommen werden mussten und die Risiken für eine gastrointestinale Blutung hatten (s.o.). Die Verteilung von Alter, Geschlecht und anderen Charakteristika war in den beiden Gruppen nicht unterschiedlich. Eine Gruppe erhielt 40 mg/d Pantoprazol i.v. (n = 1.645), die andere Plazebo (n = 1.653). Der primäre Endpunkt war Tod bis 90 Tage nach Randomisierung.

Ergebnisse: Daten für den primären Endpunkt konnten bei 3.282 (99,5%) Patienten erhoben werden. Bis zum Tag 90 nach Randomisierung waren 510 (31,1%) in der Pantoprazol-Gruppe und 499 (30,4%) in der Plazebo-Gruppe gestorben (Relatives Risiko = RR: 1,02; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,91-1,13; p = 0,76). Ein zusammengesetzter Endpunkt aus wichtigen klinischen Ereignissen (gastrointestinale Blutung, Pneumonie, Clostridium-difficile-assoziierte Erkrankung, Myokardischämie) trat in beiden Gruppen gleich häufig auf: bei 21,9% in der PPI-Gruppe und bei 22,6% in der Plazebo-Gruppe (RR: 0,96; CI: 0,83-1,11). In der PPI-Gruppe hatten 2,5% der Patienten eine relevante gastrointestinale Blutung und in der Plazebo-Gruppe 4,2% (keine statistische Auswertung, da dies kein primärer Endpunkt und die Studie dafür auch nicht „gepowered“ war). Infektionen und andere schwerwiegende Ereignisse waren in beiden Gruppen nicht unterschiedlich. Für verlässliche Aussagen zu seltenen Nebenwirkungen von Pantoprazol war die Zahl der Studienteilnehmer zu gering. In einem Editorial zu dieser Studie (16) wird angeregt, eine Studie mit gleichem Design und bei Patienten mit noch höherem Blutungsrisiko zu initiieren, um die Auswirkungen einer PPI-Behandlung hinsichtlich relevanter Blutungen besser zu erfassen.

Fazit: Die Ergebnisse dieser großen prospektiven Studie zeigen keinen Nutzen der weitverbreiteten „Stress-Ulkus-Prophylaxe“ mit Protonenpumpenhemmern bei Patienten auf Intensivstationen. Dieses generelle Vorgehen ist „off label“ und sollte kritisch überprüft werden.

Literatur

  1. Cook, D.J., et al.: Crit. Care 2001, 5, 368. Link zur Quelle
  2. Saigal, S., und Doyle, L.W.: Lancet 2008, 371, 261. Link zur Quelle
  3. Rhodes, A., et al.: Intensive Care Med. 2017, 43, 304. Link zur Quelle
  4. Cook, D., et al.: Crit. Care Med. 1999, 27, 2812. Link zur Quelle
  5. Krag, M., et al.: Intensive Care Med. 2015, 41, 833. Link zur Quelle
  6. Barletta, J.F.: Ann. Pharmacother. 2014, 48, 1276. Link zur Quelle
  7. Krag, M., et al. (SUP-ICU = Stress Ulcer Prophylaxis in the Intensive Care Unit): Acta Anaesthesiol. Scand. 2015, 59, 576. Link zur Quelle
  8. Barletta, J.F., et al.: J. Intensive Care Med. 2015, 30, 217. Link zur Quelle
  9. Krag, M., et al.: Intensive Care Med. 2014, 40, 11. Link zur Quelle
  10. Cook, D., und Guyatt, G.: N. Engl. J. Med. 2018, 378, 2506. Link zur Quelle
  11. AMB 2017, 51, 63a Link zur Quelle . AMB 2016, 50, 41 Link zur Quelle . AMB 2008, 42, 89 Link zur Quelle . AMB 2008, 42, 49. Link zur Quelle
  12. MacLaren, R., et al.: JAMA Intern. Med. 2014, 174, 564. Link zur Quelle
  13. Charlot, M., et al.: Ann. Intern. Med. 2010, 153, 378. Erratum: Ann. Intern. Med. 2010, 154, 76. Link zur Quelle
  14. Krag, M., et al.: Curr. Opin. Crit. Care 2016, 22, 186. Link zur Quelle
  15. Krag, M., et al. (SUP-ICU = Stress Ulcer Prophylaxis in the Intensive Care Unit): N. Engl. J. Med. 2018, Oct. 24. Link zur Quelle
  16. Barkun, A., und Bardou, M.: N. Engl. J. Med. 2018, Oct 24. Link zur Quelle