Fragen von Dr. K.-H.B. aus B.: >> Wie auch im AMB vor Jahren beschrieben (1) besteht bei Appetitzüglern das Risiko der Entwicklung einer pulmonalen Hypertonie. Medikamente zur Behandlung der ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) vom Amphetamin-Typ haben ja Analogien zu Appetitzüglern und werden zunehmend auch Erwachsenen verschrieben. Ich habe Bedenken wegen kardiopulmonaler Risiken. Gibt es Zahlen zur Inzidenz irreversibler kardiopulmonaler Nebenwirkungen bei ADHS/ADS-Medikation oder Empfehlungen, Patienten zu screenen, die Methylphenidat oder Dexamphetamin einnehmen, z.B. 3-monatlich das NT-ProBNT (N-terminal prohormone of brain natriuretic peptide) zu bestimmen? <<
Antwort: << Es gibt bei kardiopulmonalen Nebenwirkungen dieser Wirkstoffgruppe grundsätzlich zwei Messwerte, auf die besonders zu achten ist: Blutdruck und Herzfrequenz. Bei Einnahme der meisten ADHS-Medikamente (bis auf Guanfacin) steigt, bedingt durch ihren Wirkmechanismus, der systolische Blutdruck und die Herzfrequenz. Zudem sind Vorhofflimmern- und flattern, Verlängerung der QTc-Zeit, Herzinfarkt und auch plötzliche Todesfälle beschrieben. Weiterhin werden arterielle Spasmen und die Induktion von Vaskulitiden diskutiert. Die Induktion einer pulmonalarteriellen Hypertonie (PAH) oder auch Veränderungen an Herzklappen sind prinzipiell nicht auszuschließen, jedoch als nicht sehr wahrscheinlich anzusehen. Die PAH taucht in keiner Fachinformation als Nebenwirkung auf, und in der europäischen Datenbank zu Arzneimittel-UAW sind nur ganz wenige Verdachtsfälle aufgeführt (s. Tab. 1). Eine Pubmed-Recherche ergab nur einen einzigen Fallbericht, und unser französisches Schwesterblatt „Prescrire“ hat über zwei Fälle berichtet (2).
Die Wahrscheinlichkeit kardialer Nebenwirkungen unter Sympathikomimetika steigt mit der verwendeten Dosis, der Komedikation (pharmakodynamische und -kinetische Interaktionen) sowie bei kardialen Vorerkrankungen. Als Kontraindikationen für die meisten ADHS-Arzneimittel wird ein mittelschwerer und schwerer Bluthochdruck genannt. Zudem wird zur Vorsicht gemahnt bei Herz-Kreislauf-Krankheiten (z.B. Angina pectoris, Herzrhythmusstörungen, angeborenem Herzfehler, Kardiomyopathien), arterieller Verschlusskrankheit sowie bei Schlaganfall, zerebralen Gefäßanomalien und Vaskulitiden.
In einer gerade publizierten Registerarbeit (3) mit > 2 Mio. Patienten (54,1% jünger als 22 Jahre), die neu ein ADHS-Medikament (Amphetamin-Abkömmlinge, einschließlich Lisdexamphetamin, Methylphenidat und Atomoxetin) erhalten hatten, betrug die Inzidenz von Herzinsuffizienz bzw. Kardiomyopathie in den Altersgruppen < 22 Jahre und 22-44 Jahre weniger als 50 „Fälle“ pro 10.000 Personenjahre (0,005 pro Jahr), ohne erkennbaren Zusammenhang mit der Anwendungsdauer (Beobachtungsdauer 0-1095 Tage). Die höchste Inzidenz wurde in der Altersgruppe ≥ 65 Jahre (950 „Fälle“ pro 10.000 Personenjahre) und in den ersten 3 Monaten der Behandlung registriert. Das spricht dafür, dass eine kardiale Vorerkrankung mitentscheidend für die Entwicklung einer kardiovaskulären Nebenwirkung sein dürfte.
Gemäß der S3-Leitlinie „ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen“ von 2017 (4) soll vor Beginn jeder medikamentösen ADHS-Therapie eine körperliche und neurologische Untersuchung durchgeführt werden. Wenn sich bei der Anamnese Hinweise auf eine Herz-Kreislauf-Krankheit ergeben (z.B. Synkopen oder unerklärliche Atemnot) oder sich eine familiäre Belastung hierfür herausstellt, wird die Durchführung eines EKG und ggf. die Konsultation eines Kardiologen empfohlen. Zum Therapiemonitoring wird bei jeder Visite und jeder Dosisanpassung empfohlen, Blutdruck und Puls zu dokumentieren, ebenso das Gewicht und bei Heranwachsenden die Körpergröße. Alle Patienten, die unter der Therapie neue Symptome wie Palpitationen, Thoraxschmerzen, Synkopen oder Atemnot entwickeln, sollen umgehend zu einem Spezialisten geschickt werden. Eine routinemäßige Kontrolle des NT-proBNP wird nirgends empfohlen. <<
Literatur
- AMB 1997, 31, 79. Link zur Quelle
- http://files.sld.cu/medicamentos/files/ 2016/08/methylphenidate__pulmonary_ hypertension_and_heart_valve_disease1.pdf Link zur Quelle
- Mosholder, A.D., et al.: J. Clin. Psychopharmacol. 2018, 38, 505. Link zur Quelle
- https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-045.html Link zur Quelle