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Das postoperative Delir: Wirkungen von Paracetamol sowie der Sedativa Dexmedetomidin und Propofol

Ein Delir, früher als Durchgangssyndrom bezeichnet, ist eine zerebrale Dysfunktion, die charakterisiert ist durch eine akute fluktuierende Bewusstseins-, Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsstörung bis hin zu Agitation und psychotischen Zuständen. Ein Delir ist mit deutlich erhöhter Letalität und verlängertem stationären Aufenthalt von bis zu 10 Tagen verbunden (1). Pro Delirtag sinkt die Ein-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit um etwa 10% (2). Auch kognitive Leistungen sind auf lange Sicht verschlechtert (3, 4). In einer Kohortenstudie hatten 52% der Patienten drei Monate nach einem Delir noch kognitive Defizite (5). Eine rechtzeitige adäquate Diagnostik und Therapie sind deshalb auch prognostisch wichtig.

Die Inzidenz des Delirs nach chirurgischen Eingriffen wird zwischen 5,1% und 52,2% angegeben, je nach Schwere und Dauer des Eingriffs (6, 7). Bei kardiochirurgischen Eingriffen beträgt sie etwa 50% (8), bei Intensivpatienten allgemein 30-80%, wobei sich besondere Probleme mit Delieren bei langzeitbeatmeten Patienten ergeben. Risikofaktoren sind bereits bestehende kognitive Einschränkungen, Depression, postoperative Schmerz- und Entzündungsreaktionen sowie der Einsatz von Opioiden und Sedativa. Andererseits erhöht eine unzureichende Analgesie das Risiko für ein Delir. Einfachen, nichtmedikamentösen Maßnahmen, wie verbale Kontaktaufnahme und Frühmobilisation, kommt in der Prävention von Deliren eine besondere Bedeutung zu. Sie dienen der Reorientierung der Patienten, der Vermeidung von Angst und der Förderung geistiger Aktiviät.

Man unterscheidet ein hypoaktives (30%), ein hyperaktives (5%) sowie ein Delir vom Mischbild (65%; 9, vgl. 11). Die Symptome reichen von der Katatonie bis zur Exzitation. Der zuverlässigste Test zur Erfassung eines Delirs bei Intensivpatienten ist der CAM-ICU-Score (Confusion Assessment Method for the Intensive Care Unit), der selbst bei beatmeten Patienten eine Einschätzung erlaubt (10, 11). Der CAM-ICU-Score beinhaltet standardisierte Fragen zur Erfassung von Delir-typischen Merkmalen wie akuter Beginn, im Tagesverlauf fluktuierende Denk- und Aufmerksamkeitsstörungen wechselnder Intensität (der Patient kann z.B. ganzen Sätzen nicht folgen), Vigilanzstörungen bzw. eine veränderte Bewusstseinslage, die nicht auf eine primär erklärbare organische Ursache zurückzuführen ist, wie beispielsweise ein Infektrezidiv, und auch nicht mit einer möglicherweise vorbestehenden Demenz zu erklären ist. Die 12-stündliche Erfassung von Delirsymptomen mittels systematischer Fragebögen des CAM-ICU-Score wird – obwohl in der Leitlinie zu Analgesie, Sedierung und Management des Delirs empfohlen (7) – noch nicht flächendeckend durchgeführt, so dass Delire, vor allem hypoaktive, auf Intensivstationen häufig übersehen werden.

In den Leitlinien werden bei Agitation Alpha-2-Agonisten (z.B. Clonidin) und kurzwirkende Benzodiazepine sowie Neuroleptika empfohlen. Langwirkende Benzodiazepine wie Lorazepam kommen zum Einsatz bei der Entwöhnung nach längerer Analgosedierung. Das Narkotikum Propofol wird in niedriger Dosierung als Sedativum zur Linderung postoperativer Schmerzen eingesetzt (7). Auch Paracetamol (P) und nicht steroidale Antiphlogistika werden zur Schmerzlinderung bzw. Verminderung von Deliren verwendet (17), letztere allerdings mit dem Risiko häufigerer Blutungen. P, i.v. verabreicht, sichert eine kalkulierbare Bioverfügbarkeit. Dexmedetomidin (Dex) ist ein sedierender, selektiver Alpha-2-Rezeptor-Agonist mit Opioid-sparender Komponente und antiinflammatorischen Eigenschaften (12, 13). Hinsichtlich des Nutzens bei Deliren nach herzchirurgischen Eingriffen ist die Beurteilung noch uneinheitlich (14-16).

In einer aktuellen monozentrischen, randomisierten, kontrollierten Studie aus Boston, Massachusetts, wurden die Kombinationen P plus Dex bzw. Propofol im Hinblick auf die Delir-Inzidenz nach kardiochirurgischen Eingriffen gegen die Kombinationen Plazebo plus Dex bzw. Propofol verglichen (18). Eingeschlossen wurden Patienten (≥ 60 Jahre) mit aortokoronarer Bypassoperation (CABG) mit oder ohne zusätzlichem Aorten- oder Mitralklappen-Ersatz. Ausschlusskriterien waren u.a. eine linksventrikuläre Ejektionsfraktion < 30%, vorbestehende kognitive Einschränkungen, Alzheimer- oder Parkinson-Erkrankung, aktiver Drogen- oder Alkoholabusus, anamnestisch Krampfanfälle, ein Serumkreatinin > 2 mg/dl und Leberfunktionsstörungen. Patienten, die notfallmäßig eine CABG erhalten mussten, wurden nicht eingeschlossen. Die Studie wurde gesponsert von Mallinckrodt, einem Hersteller von Paracetamol.

In einer Computer-generierten 1:1:1:1-Block-Randomisierung erhielten 120 Patienten über 48 Std. intravenös die Studienmedikation: 1. P plus Dex (n = 29), 2. P plus Propofol (n = 31), 3. Plazebo (0,9%ige NaCl-Lösung) plus Dex (n = 30) oder 4. Plazebo plus Propofol (n = 30). Da Propofol wegen der milchigen Lösung eindeutig zu erkennen ist, war die Injektion dieses Sedativums nicht verblindet. P (jeweils 1 g) wurde innerhalb der 1. Std. postoperativ auf der Intensivstation appliziert, danach im 6-Std.-Intervall (insgesamt 8 Injektionen). Alle Patienten erhielten zusätzlich über 48 Std. eine bedarfsgerechte Therapie mit Analgetika nach aktuellen Standards. Zusätzliche Injektion von P außerhalb der Studienmedikation waren nicht erlaubt. Alle Patienten wurden nach einem protokollierten Schema zur Entwöhnung vom Beatmungsgerät (Weaning) so früh wie möglich extubiert und früh mobilisiert.

Primärer Studienendpunkt war das Auftreten eines Delirs während des stationären Aufenthalts. Die kognitiven Funktionen wurden einmal täglich erfasst mit dem CAM- bzw. CAM-ICU-Score für intubierte Patienten. Sekundäre Endpunkte waren: die Dauer des Delirs, kognitive Defizite bei Entlassung, eine erfolgreiche Schmerzkontrolle nach 48 Std. postoperativ, die Länge des Aufenthalts auf der Intensivstation, d.h. bis zur Verlegung auf die Normalstation, und die Länge des gesamten stationären Aufenthalts. Der i.v. und perorale Verbrauch von Opioiden und anderen Schmerzmitteln wurde genau erfasst und der Gesamtverbrauch berechnet aus der Summe von Äquivalenzdosen zu Morphin nach der Formel: (Fentanyl-Dosis x 2,4) + (Hydromorphon-Dosis x 4) + Morphin-Dosis + (Oxycodon-Dosis x 1,5; vgl. 19).

Zur Beurteilung des postoperativen kognitiven Defizits wurde der Montreal Cognitive Assessment (MoCA)-Test angewendet, wobei 0 Punkte das schlechteste und 30 das beste Ergebnis widerspiegeln (20). Täglich wurden einfache kognitive Fähigkeiten in einem standardisierten Delirium-Symptom-Interview von besonders geschulten, unabhängigen und Therapie-verblindeten Interviewern erfasst, der CAM- bzw. CAM-ICU-Test durchgeführt und der Schmerz auf einer 10-Punkte-Skala eingestuft. Post-hoc-Analysen berücksichtigten den Delirium Severity Score (CAM-S): 0 = kein Delir, 19 = schweres Delir (vgl. 21), die mediane Zeit bis zur Entlassung von der Intensivstation bei Patienten mit und ohne Delir sowie das tägliche postoperative Schmerzmaximum. Weil Hypotension und Bradykardie häufige Nebenwirkungen dieser Therapie sind, wurden ein systolischer RR < 90 mm Hg über ≥ 5 Minuten und eine Bradykardie < 50/Min. als schwere unerwünschte Ereignisse definiert.

Ergebnisse: Von 1.051 präoperativ gescreenten Patienten konnten 140 eingeschlossen und am Ende 120 ausgewertet werden. Davon waren 84% Männer und 66% erhielten eine isolierte CABG-Operation, überwiegend bei koronarer 3-Gefäßerkrankung. Bei Patienten mit simultanem Klappenersatz wurde, bis auf wenige Ausnahmen, die Aortenklappe ersetzt. Die Gruppen stimmten in wesentlichen demografischen Daten und dem Body Mass Index überein. Die meisten Patienten konnten sich zuvor im Alltag selbst versorgen und hatten einen höheren Bildungsstatus.

Insgesamt entwickelten 46 (38%) Patienten ein Delir. Sie hatten einen signifikant längeren Aufenthalt auf der Intensivstation als Patienten ohne Delir: im Median 52,4 Std. gegenüber 29,2 Std.; p = 0,01. Patienten unter Analgesie mit P hatten signifikant seltener ein postoperatives Delir im Vergleich zu Plazebo (10% vs. 28%; 95%-Konfidenzintervall = CI: -32% bis -5%; p = 0,01). Patienten mit P hatten im Median auch ein kürzeres Delir als mit Plazebo (1 vs. 2 Tage) bei etwa gleichem MoCA-Score zum Zeitpunkt der Entlassung (im Median 24,0 Punkte in beiden Gruppen). Der Aufenthalt auf der Intensivstation war bei P-Behandelten signifikant kürzer als bei Plazebo: 29,5 Std. vs. 46,2 Std. (CI: -20,3 bis -0,8; p = 0,02). Der gesamte stationäre Aufenthalt war jedoch in allen vier Gruppen, nahezu gleich: etwa 8-8,5 Tage. Patienten der P-Gruppe hatten einen geringeren Opioid-Bedarf als alle anderen – sowohl bei schweren als auch moderaten Schmerzen auf der Schmerzskala. In Post-hoc-Analysen war das Delir von Patienten mit P nicht weniger schwer im CAM-S-Score als in den anderen Gruppen, aber die Zeit bis zum Auftreten des Delirs war unter P deutlich länger als unter Plazebo (Hazard Ratio: 2,8; CI: 1,1-7,8). Bei den Sedativa ergab sich im Hinblick auf die Delir-Inzidenz zwischen Propofol (21%) und Dex (17%) kein Unterschied, jedoch war sie deutlich häufiger als unter P.

Zwischen Dex und Propofol ergaben sich keine signifikanten Unterschiede, weder bei der Dauer des Delirs (Median 1,0 vs. 2,0 Tage, p = 0,31), noch hinsichtlich der Schwere, noch hinsichtlich der Verweildauer auf der Intensivstation bzw. des gesamten stationären Aufenthalts. Patienten unter Propofol hatten einen höheren Bedarf an Opioiden in den ersten 48 Std. postoperativ im Vergleich zu Dex (im Median 328,8 μg vs. 397,5 μg Morphin-Äquivalent; CI: -155 bis -4 μg; p = 0,04). In der Post-hoc-Analyse unterschieden sich weder mediane Schmerz- noch CAM-S-Scores in den verschiedenen Gruppen. Bei ca. 45% der Patienten in der Plazebo/Dex- bzw. in der P/Propofol-Gruppe trat mindestens einmal eine relevante Hypotension auf, in der P/Dex- bzw. Plazebo/Propofol-Gruppe bei ca. 24%. Bradykardien waren mit 3% dagegen selten.

Die Autoren weisen auf die eingeschränkte Aussagekraft ihrer Studie hin und kommen zu dem Schluss, dass eine multizentrische, verblindete, randomisierte kontrollierte Studie mit einer größeren Zahl an Patienten wünschenswert sei. Außerdem ist anzumerken, dass die hier verwendete hohe Dosierung von Paracetamol in einem Bereich liegt, der lebertoxisch sein kann.

Fazit: Paracetamol, nach einem festen Schema über 48 Std. nach herzchirurgischer Operation i.v. injiziert (insgesamt 8 g!), senkte in jeweiligen Kombinationen mit den Sedativa Propofol bzw. Dexmedetomidin bei älteren Patienten die Inzidenz postoperativer Delire im Vergleich zu Plazebo mit Propofol bzw. Dexmedetomidin. Auch war die Dauer der Delire und der Aufenthalt auf der Intensivstation kürzer und der Opioid-Bedarf geringer. Dexmedetomidin reduzierte den postoperativen Bedarf an Opioiden zwar stärker als Propofol, aber die Inzidenz und die Dauer der Delire sowie auch die Dauer des stationären Aufenthalts waren nicht unterschiedlich zu Propofol. Der potenziell Opioid-sparende und durch seine schmerzlindernde Wirkung Delir-reduzierende Effekt von Paracetamol könnte in das postoperative Management einbezogen werden, sofern keine eingeschränkte Leberfunktion bei den Patienten besteht. Das Ergebnis dieser kleinen, monozentrischen Studie muss in einem großen RCT überprüft werden.

Literatur

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