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Nicht fachgerechte Anwendung von Sacubitril/Valsartan

Das European Journal of Heart Failure ist die offizielle Zeitschrift der Heart Failure Association der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC). Es ist „peer reviewed“ und hat einen Journal Impact Factor von 10,6 (1). Im April erschien in dieser Zeitschrift ein sog. „Research Paper“, in dem Verordnungsdaten von Sacubitril/Valsartan (S/V = Entresto®) in Deutschland analysiert werden (2). Diese Publikation ist sowohl formal als auch inhaltlich bemerkenswert.

Formal deshalb, weil von den Herausgebern gänzlich unkommentiert die Daten eines Marktforschungsinstituts (IQVIA, vormals IMS Health) als „longitudinale Kohortenstudie“ abgedruckt werden. Es handelt sich um anonymisierte Rezeptdaten, die IMS Health von deutschen Apotheken-Rechenzentren gekauft hat. Diese Daten beinhalten Alter und Geschlecht der Patienten, die verordneten Arzneimittel (Wirkstoff, Handelsname, Dosis, Packungsgröße), das Dispensierungsdatum und die Fachrichtung der verordnenden Ärzte. Das Geschäftsmodell von IMS Health bestand darin, aus solchen Daten Vermarktungs- und Anlagestrategien zu entwickeln und weiter zu verkaufen (3). Angeblich überblickt das Institut den Arzneimittel-Konsum von 60% aller Versicherten in Deutschland. Ein derartiger Handel mit anonymisierten Daten ist prinzipiell legal. In der Vergangenheit kamen jedoch immer wieder Zweifel auf, dass diese ohne Zustimmung der Patienten und Ärzte vorgenommene Datenweitergabe ausreichend anonymisiert war (4).

Die nun publizierte Arbeit analysiert solche gekauften Daten. Sie wurde wohl in wesentlichen Teilen von einem medizinischen Schreibbüro verfasst und von Novartis, dem Hersteller von S/V bezahlt. Nur der Erstautor hat eine akademische Anbindung (Universität Leipzig). Die 8 Koautoren sind von Novartis, IQVIA sowie einer Consulting Firma, die Strategien zu „Market Access, Pricing and Reimbursement“ entwickelt (5). Ein Ethikvotum wurde weder von den Autoren noch von den Reviewern als notwendig erachtet.

Auch inhaltlich ist diese Publikation bemerkenswert. Ziel der Analyse war es, die rezeptierte S/V-Dosis zu prüfen sowie die Persistenz und Adhärenz zu diesem Arzneimittel. Die empfohlene Anfangsdosis von S/V beträgt laut EPAR (European Public Assessment Report; vgl. 6) zweimal 100 mg (49 mg S/51 mg V). Wenn Patienten diese Dosis vertragen, soll sie nach 2-4 Wochen auf zweimal 200 mg (97 mg S/103 mg V) verdoppelt werden (= Zieldosis). Bei Verträglichkeitsproblemen (symptomatische Hypotonie, Hyperkaliämie, Nierenfunktionsstörung) soll die S/V-Dosis reduziert und/oder die Begleitmedikation (z.B. Betablocker- und Diuretika-Dosis) angepasst werden.

In der Zulassungsstudie PARADIGM-HF wurde die Zieldosis von zweimal 200 mg bei nahezu allen Patienten (99%) erreicht, vermutlich weil die Verträglichkeit zuvor in einer „Run-in“-Phase ausgetestet wurde (7). Dabei schieden 19,7% der Patienten wegen Unverträglichkeit aus der Studie aus, was einer der Kritikpunkte an dieser Studie ist (vgl. 8). Bei 42% wurde die S/V-Dosis im Studienverlauf wegen Verträglichkeitsproblemen wieder reduziert. Von diesen konnten 39,8% wieder auf die Volldosis hochtitriert werden, 17,8% setzten S/V ab, meist wegen Nebenwirkungen. Risikofaktoren für Unverträglichkeiten sind höheres Lebensalter, fortgeschrittene NYHA-Klasse und sehr hohe NT-proBNP-Spiegel (N-terminales pro B-Typ Natriuretisches Peptid; 9). Die mittlere S/V-Dosis in der PARADIGM-HF-Studie betrug letztlich 375 ± 71 mg täglich (7). Auf der maximal tolerierten Dosis beruhen die positiven Effekte von S/V. Daher sollte diese auch angestrebt werden.

Laut Marktforschung sieht die Realität in Deutschland anders aus. Die IMS-Health-Daten analysieren S/V-Rezepte aus dem Jahre 2016, also dem ersten Jahr nach der Zulassung von S/V. Sie zeigen, dass das mittlere Alter der Patienten um 7,5 Jahre über dem der Patienten aus der PARADIGM-Studie liegt (71,3 vs. 63,8 Jahre). Die erste ambulant rezeptierte und dispensierte S/V-Dosis betrug bei 64% zweimal 50 mg, bei 32% zweimal 100 mg und bei 4% zweimal 200 mg. Bei 62% der Patienten wurde in den ersten 6 Monaten die Dosierung überhaupt nicht erhöht. Die Zieldosis von zweimal 200 mg/d wurde nur bei knapp jedem fünften Patienten erreicht: bei 19%, wenn die verordnenden Ärzte Allgemeinmediziner und bei 26%, wenn sie Kardiologen waren. Die Ein-Jahres-Persistenz zu S/V wurde mit 71% berechnet. Bei den restlichen 29% wurde S/V meist innerhalb der ersten 90 Tage nicht weiter verordnet. Die Adhärenz, definiert als Rezeptabdeckung von > 80% der zu erwartenden Tage (Proportion of days covered), betrug 80-85%, je nach Dosis.

Fazit: Marktanalysen zeigen, dass Sacubitril/Valsartan sehr häufig nicht fachgerecht angewendet wird. Nur bei einem Fünftel der Patienten wird die Zieldosis von zweimal 200 mg/d erreicht. Bei zwei Dritteln der Patienten wird die Anfangsdosis über Monate nicht erhöht. Dies dürfte nicht dazu beitragen, die Behandlung herzinsuffizienter Patienten zu verbessern. Bemerkenswert ist, dass die offizielle Zeitschrift der Heart Failure Association innerhalb der europäischen kardiologischen Gesellschaft unkommentiert Marktanalysen von Arzneimittelherstellern und kommerziellen, auf Marktforschung spezialisierten Firmen veröffentlicht. Dies belegt einmal mehr die große Industrienähe mancher Fachgesellschaften.

Literatur

  1. Webseite Eur. J. Heart Failure. Link zur Quelle Zugriff am 23.4.2019.
  2. Wachter, R., et al.: Eur. J. Heart Fail. 2019, 21, 588. Link zur Quelle
  3. Wikipedia-Artikel zu IMS Health: Link zur Quelle Zugriff am 23.4.2019.
  4. Schmundt, H.: Verkaufte Rezeptdaten. Keine Verschlüsselung, sondern Verschleierung. Spiegel Online 20.11.2014. Link zur Quelle Zugriff am 23.4.2019.
  5. Webseite Wellmera AG Basel. Link zur Quelle Zugriff am 23.4.2019.
  6. EPAR Entresto®: Link zur Quelle Zugriff am 23.4.2019.
  7. McMarray, J.J.V., et al.: (PARADIGM-HF = Prospective comparison of ARNI with ACE-I to Determine Impact on Global Mortality and morbidity in Heart Failure): N. Engl. J. Med. 2014, 371, 993. Link zur Quelle
  8. AMB 2014, 48, 75. Link zur Quelle
  9. Vardeny, O., et al. (PARADIGM-HF = Prospective comparison of ARNI with ACE-I to Determine Impact on Global Mortality and morbidity in Heart Failure): Eur. J. Heart Fail. 2016, 18, 1228. Link zur Quelle