Sotagliflozin ist ein oral anzuwendender dualer Inhibitor von zwei Proteinen, die für den Glukosetransport verantwortlich sind – die Natrium(Sodium)-Glukose-Cotransporter Typ 1 und Typ 2 (SGLT1/2-Hemmer; 1). SGLT1 ist verantwortlich für die Glukoseaufnahme im Gastrointestinaltrakt und SGLT2 für die Reabsorption von Glukose in den proximalen Nierentubuli. Im April 2019 hat die Europäische Kommission die Marktzulassung für Sotagliflozin (Zynquista®) erteilt. Es ist zugelassen in den einmal täglichen Dosierungen von 200 mg und 400 mg zur Verbesserung der Blutzuckerkontrolle, ergänzend zu einer Insulintherapie bei Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes mellitus (DM1) und einem Body-Mass-Index (BMI) ≥ 27 kg/m2, die trotz optimaler Insulintherapie keine adäquate Blutzuckereinstellung erreichen.
Die Zulassung basierte im Wesentlichen auf drei Phase-III-Studien aus dem „inTandem“-Studienprogramm, die die Wirksamkeit und Sicherheit von Sotagliflozin bei etwa 3.000 Erwachsenen mit unzureichend kontrolliertem DM1 untersuchten (1). Die Studien wurden multizentrisch, randomisiert, doppelblind und plazebokontrolliert durchgeführt. Das durchschnittliche Alter der Patienten lag bei ca. 43 Jahren; ungefähr die Hälfte der Studienteilnehmer waren Frauen und > 70% übergewichtig. Zum Beginn der Studien lag der durchschnittliche HbA1c-Wert bei 7,6-7,7%. Als Zielwert empfohlen wird bei Patienten mit DM1 in der deutschen S3-Leitlinie ein HbA1c-Wert ≤ 7,5%, abhängig vom Hypoglykämierisiko und von Komorbiditäten auch ≤ 6,5% bis < 8,5% (2).
In zwei der Studien mit insgesamt 1.575 Patienten wurde Sotagliflozin zusätzlich zu einer vorher optimierten Behandlung mit Insulin in zwei Dosierungen (200 mg und 400 mg) mit Plazebo verglichen. Primärer Endpunkt zur Wirksamkeit war die Reduktion von HbA1c im Vergleich zu Plazebo. In beiden Dosierungen führte Sotagliflozin zusätzlich zu Insulin zu einer Senkung des HbA1c-Werts um etwa 0,4 Prozentpunkte nach 24 Wochen Behandlung, verglichen mit fast keiner Senkung des HbA1c-Werts nach Zugabe von Plazebo zu Insulin. Exploratorische Daten zur Wirksamkeit nach einem Jahr zeigten einen Anstieg der HbA1c-Werte nach Woche 24 mit dem Ende der optimierten Insulinbehandlung. Der Unterschied im Vergleich zu Plazebo blieb aber signifikant (-0,25% für die 200 mg-Dosis und -0,3% für die 400 mg-Dosis).
In der dritten Studie mit 1.405 Patienten wurde nur die höhere Dosis von Sotagliflozin (400 mg) untersucht. Eine Optimierung der Insulintherapie wurde nicht durchgeführt, um der späteren Anwendung des Arzneimittels außerhalb von Studien möglichst nahe zu kommen. Primärer Endpunkt in dieser Studie war der Anteil der Patienten, die HbA1c-Werte < 7,0% erreichten und bei denen darunter keine Episoden einer schweren Hypoglykämie oder diabetischen Ketoazidose auftraten. Nach 24 Wochen war dieser Anteil unter Sotaglifozin größer als unter Plazebo (28,6% vs. 15,2%).
In allen Studien führte Sotagliflozin zu einer statistisch signifikanten Gewichtsabnahme von 1,7-2,7 kg Körpergewicht; dagegen betrug die Gewichtszunahme in den Plazebo-Gruppen 0,2-0,8 kg. Die Einnahme von Sotagliflozin war außerdem mit einer geringen Abnahme des systolischen Blutdrucks assoziiert (-2 bis -3,5 mm Hg) und einer Zunahme der Zeit im Blutzuckerzielbereich (70-180 mg/dl; Sotagliflozin 200 mg von 52,2% auf 57,8%; bei 400 mg von 50,7% auf 64,2%).
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität wurde mit dem Diabetes Treatment Satisfaction Questionaire und der Diabetes Distress Scale 2 erhoben. Beide Instrumente ergaben eine Verbesserung der Lebensqualität unter Sotagliflozin im Vergleich zu Plazebo.
Zu den möglichen Nebenwirkungen von Sotagliflozin gehören wie bei anderen SGLT2-Hemmern Exsikkose, Harnwegsinfekte und Pilzinfektionen. Die Hemmung von SGLT1 durch Sotagliflozin verzögert und reduziert die Glukoseaufnahme im Darm, was zu Durchfall führen kann. Im Vergleich zu Plazebo traten Hypoglykämien und schwere Hypoglykämien unter Sotagliflozin seltener auf, Frakturen waren ähnlich häufig.
Das größte Sicherheitsrisiko von Sotagliflozin ist das erhöhte und dosisabhängige Risiko von diabetischen Ketoazidosen, die lebensbedrohlich sein können (vgl. 3). Obwohl die Ketonspiegel in den Phase-III-Studien eng überwacht wurden, betrug die kumulative Inzidenz der Ketoazidosen in den ersten beiden Studien in Woche 52 für Sotagliflozin 200 mg und 400 mg etwa 2,8% und 4,1% im Vergleich zu 0,2% für Plazebo. Am häufigsten betroffen sind Patienten mit einer Ketoazidose in der Vorgeschichte, Patienten mit erhöhten Ketonkörpern zu Behandlungsbeginn und Patienten, die eine Insulinpumpe verwenden.
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) beurteilte das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Sotagliflozin für alle Patienten mit DM1 als negativ, weil das Risiko für Ketoazidosen trotz Präventionsmaßnahmen nicht ausgeräumt werden kann. Nur bei übergewichtigen Patienten mit unzureichender Blutzuckerkontrolle sah sie ein Überwiegen des Nutzens, da bei diesen Patienten eine intensivierte Insulintherapie zu einer Gewichtszunahme führen kann.
Zur Prävention der Ketoazidosen erstellt der Zulassungsinhaber Informationsmaterialien für Fachpersonal und Patienten, in denen u.a. Informationen über eine regelmäßige eigenständige Kontrolle der Ketonkörper durch die Patienten vermittelt werden. Eine Studie zur Sicherheit des Arzneimittels nach der Zulassung ist geplant. Wegen fehlender Daten wird die Anwendung von Sotagliflozin bei Patienten > 75 Jahren oder mit einer eGFR < 60 ml/min nicht empfohlen.
Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde hat wegen des erhöhten Risikos für diabetische Ketoazidosen eine Zulassung von Sotagliflozin abgelehnt (4). Ob und wann Sotagliflozin in Europa auf den Markt kommt, ist noch unklar. Zur Behandlung von Patienten mit DM1 ist bereits der SGLT2-Hemmer Dapagliflozin zugelassen und verfügbar; Canagliflozin und Empagliflozin sind in klinischer Prüfung (5, 6). Design und Ergebnisse der Studien zu den verschiedenen SGLT-Hemmern bei DM1 sind ähnlich.
Fazit: Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes mellitus führt die zusätzliche Einnahme des SGLT1/2-Hemmers Sotagliflozin zu einer Senkung des HbA1c um ca. 0,4 Prozentpunkte bei deutlich erhöhtem Risiko für diabetische Ketoazidosen, wie drei Phase-III-Studien mit einer Dauer von bis zu 52 Wochen gezeigt haben. Die Studiendauer ist zu kurz, um einen eventuellen Nutzen von Sotagliflozin bei kardiovaskulären Endpunkten zu belegen. Auch die Sicherheit des Arzneimittels bei der langfristigen Anwendung ist unklar, beispielsweise hinsichtlich des Knochenstoffwechsels. Für andere SGLT-Hemmer fehlen solche Daten bei Typ-1-Diabetikern ebenfalls. Solange diese Informationen nicht vorliegen, sollten diese SGLT-Hemmer nur in seltenen Ausnahmefällen unter strenger Beachtung der zugelassenen Anwendungsgebiete (u.a. BMI ≥ 27 kg/m2) und aller Maßnahmen zur Prävention der potenziell tödlichen Ketoazidosen eingesetzt werden.
Literatur
- https://www.ema.europa.eu/en/ documents/assessment-report/ zynquista-epar-public-assessment-report_en.pdf Link zur Quelle
- https://www.awmf.org/uploads/ tx_szleitlinien/057-013l_S3- Therapie-Typ-1-Diabetes_2018-08.pdf Link zur Quelle
- AMB 2017, 51, 07a Link zur Quelle . AMB 2016, 50, 52. Link zur Quelle
- http://www.news.sanofi.us/2019-03-22- FDA-issues-Complete-Response-Letter- for-Zynquista-TM-sotagliflozin Link zur Quelle
- Riddle, M., und Cefalu, W.: Diabetes Care 2018, 41, 2444. Link zur Quelle
- AMB 2017, 51, 91. Link zur Quelle