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Tranexamsäure nach Schädel-Hirn-Trauma vorteilhaft?

Weltweit erleiden jedes Jahr mehr als 60 Mio. Menschen eine Schädel-Hirn-Verletzung (Schädel-Hirn-Trauma = SHT; 1). Intrakranielle Blutungen sind bei SHT eine häufige Komplikation, die durch Erhöhung des Hirndrucks oder Herniation zum Tod führen kann. Das Antifibrinolytikum Tranexamsäure hemmt die Spaltung von Fibrin durch Bindung an Plasminogen. Im Unterschied zum Polytrauma, bei dem eine Verminderung der Sterblichkeit durch Tranexamsäure belegt ist, gibt es beim SHT bisher keine verlässliche Evidenz für den Nutzen hämostatisch wirkender Arzneimittel. Eine Metaanalyse von zwei randomisierten kontrollierten Studien (RCT) – mit insgesamt nur ca. 500 Patienten – zeigte unter Tranexamsäure einen signifikanten Rückgang der Ausdehnung der Blutung nach SHT, aber lediglich einen Trend zu besseren klinischen Ergebnissen (2-4). In Leitlinien wird die Gabe von Tranexamsäure als Option aufgeführt (5). Mit Spannung erwartet wurden die Ergebnisse der groß angelegten CRASH-3-Studie, die nun veröffentlicht sind (1). Die Untersuchung wurde in London organisiert und aus öffentlichen Mitteln finanziert.

Die CRASH-3-Studie wurde in 175 Krankenhäusern in 29 Ländern durchgeführt. Eingeschlossen wurden Erwachsene mit SHT, deren Trauma nicht länger als 3 Stunden zurücklag und die einen Glasgow Coma Scale (GCS)-Wert von ≤ 12 (vgl. 6) hatten oder eine computertomographisch gesicherte intrakranielle Blutung, sowie keine schwere extrakranielle Blutung. Ursprünglich lag das Zeitfenster bei 8 Stunden. Ohne Kenntnis der Studienergebnisse wurde das Protokoll im Jahr 2016 geändert, weil andere Studiendaten darauf hinwiesen, dass eine spätere Behandlung nicht wirksam ist. Der geplante Stichprobenumfang wurde daraufhin auf 13.000 Patienten erhöht, um Daten von 10.000 Patienten auswerten zu können.

Die Patienten erhielten randomisiert im Krankenhaus entweder Tranexamsäure (initial 1 g über 10 Minuten i.v., gefolgt von einer Infusion von 1 g über 8 Stunden) oder Plazebo. Primärer Endpunkt war die Sterblichkeit nach 28 Tagen infolge des SHT der Patienten, die Tranexamsäure innerhalb von 3 Stunden erhalten hatten. Für eine Sensitivitätsanalyse wurde vorab festgelegt, Patienten mit einem GCS von 3 (sehr schweres SHT) und solche mit bilateral nicht reagiblen Pupillen zu Studienbeginn auszuschließen. Zu den sekundären Endpunkten gehörten die Gesamtsterblichkeit, das neurologische Behandlungsergebnis, thromboembolische Ereignisse (Myokardinfarkt, Schlaganfall, tiefe Venenthrombose, Lungenembolie), Krampfanfälle und Nebenwirkungen.

Zwischen Juli 2012 und Januar 2019 wurden 12.737 Patienten mit SHT randomisiert, von denen 9.202 innerhalb von 3 Stunden nach dem Trauma behandelt wurden (Tranexamsäure: n = 4.649, Plazebo: n = 4.553). Die Patienten waren durchschnittlich ca. 42 Jahre alt, und 80% waren Männer. In der Gesamtgruppe dieser Patienten ergab sich unter Tranexamsäure im Vergleich zu Plazebo keine statistisch signifikante Verminderung der Letalität (18,5% vs. 19,8%; Relatives Risiko = RR: 0,94; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,86-1,02). In der vordefinierten Sensitivitätsanalyse ohne die Patienten mit GCS 3 oder beidseits nicht reagiblen Pupillen zeigte sich eine SHT-bedingte Sterblichkeit von 12,5% in der Tranexamsäure-Gruppe und von 14,0% in der Plazebo-Gruppe (RR: 0,89; CI: 0,80-1,0). Eine statistisch signifikante Verminderung der Letalität unter Tranexamsäure im Vergleich zu Plazebo ergab sich in einer ebenfalls vordefinierten Subgruppe von Patienten mit leichtem bis mittelschwerem SHT (GCS 9-12): 5,8% vs. 7,5%; RR: 0,78; CI: 0,64-0,95), dagegen nicht bei Patienten mit schwerem SHT (GCS 3-8): (39,6% vs. 40,1%; RR: 0,99; CI: 0,91-1,07). Auch bei Patienten mit reagiblen Pupillen war die Letalität unter Tranexamsäure signifikant vermindert, nicht aber bei solchen mit nicht reagiblen Pupillen. Bei Patienten mit leichtem bis mittelschwerem SHT (GCS 9-15) war Tranexamsäure umso wirksamer, je früher die Behandlung begonnen wurde. Dagegen war bei Patienten mit schwerem SHT (GCS 4-8) ein Effekt von Tranexamsäure nicht nachweisbar, egal zu welchem Zeitpunkt sie gegeben wurde. Die Gesamtsterblichkeit und das neurologische Behandlungsergebnis unterschieden sich zwischen der Tranexamsäure- und Plazebo-Gruppe nicht.

Das Risiko für thromboembolische Ereignisse war in beiden Gruppen ähnlich, ebenso wie das Risiko für Krampfanfälle. Auch hinsichtlich anderer Nebenwirkungen bestand kein Unterschied zwischen den Gruppen.

Die Aussagekraft der Studie ist u.a. deswegen eingeschränkt, weil das Protokoll und der primäre Endpunkt verändert wurden. Darüber hinaus wurden danach nicht wie geplant 10.000 Patienten, sondern nur 9.202 innerhalb von 3 Stunden nach dem Trauma eingeschlossen. Tranexamsäure wurde im Krankenhaus verabreicht. Ob und wie ein präklinischer Einsatz die Ergebnisse verändert, müsste in weiteren Studien untersucht werden.

Fazit: In einer großen randomisierten plazebokontrollierten Studie zum Nutzen von Tranexamsäure bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma (STH) im Vergleich zu Plazebo zeigte sich in der Gesamtgruppe keine signifikante Verminderung der SHT-bedingten Sterblichkeit. In einer Subgruppenanalyse ergab sich jedoch bei Patienten mit einem Glasgow Coma Scale (GCS)-Wert > 8 (mittelschweres STH) eine niedrigere Letalität unter Tranexamsäure, ebenso wie bei Patienten mit reagiblen Pupillen. Zu diesen Subgruppen sind weitere Studien erforderlich, um eventuell zu einer Empfehlung zu kommen.

Literatur

  1. CRASH-3 Collaborators (Clinical Randomisation of an Antifibrinolytic in Significant Haemorrhage-3): Lancet, Published online October 14, 2019. Link zur Quelle
  2. CRASH-2 Collaborators (Clinical Randomisation of an Antifibrinolytic in Significant Haemorrhage-2): BMJ 2011, 343, d3795. Link zur Quelle
  3. Yutthakasemsunt, S., et al.: BMC Emerg. Med. 2013, 13, 20. Link zur Quelle
  4. Zehtabchi, S., et al.: Am. J. Emerg. Med. 2014, 32, 1503. Link zur Quelle
  5. https://www.awmf.org/ uploads/tx_szleitlinien/ 008-001l_S2e_Schaedelhirntrauma_ SHT_Erwachsene_2016-06.pdf Link zur Quelle
  6. https://www.glasgowcomascale.org/downloads/German_v2.pdf Link zur Quelle