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Quetiapin ist kein Schlafmittel

Unter dieser Überschrift beklagen klinische Pharmakologen in der norwegischen Ärztezeitung, dass dieses Antipsychotikum viel zu häufig und ohne Evidenz zur Behandlung von Schlafstörungen eingesetzt wird (1).

Quetiapin ist ein sog. atypisches Antipsychotikum (AP) und zugelassen zur Behandlung von Schizophrenie und bipolaren Störungen sowie zur ergänzenden Behandlung von Depressionen. Die empfohlene Tagesdosis für diese Indikationen beträgt bei Erwachsenen 300-800 mg (2). Eine Untersuchung der Verordnungen in Norwegen im Zeitraum 2004-2017 ergab, dass der Median der verordneten Quetiapin-Tagesdosis unter 100 mg/d lag (3). Nur 4% der Anwender erhielten eine Dosis, die mit einer zulassungsgemäßen Verwendung von Quetiapin vereinbar ist. Dies legt nahe, dass die Mehrzahl der Anwendungen von Quetiapin nicht fachgerecht bzw. außerhalb der Zulassung („Off-label“) erfolgt.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) warnte 2016 in einem „Leitfaden für Ärzte zur Verordnung von Quetiapin-haltigen Arzneimitteln“ explizit vor dem Off-label-Gebrauch (4). Es bemängelte die häufige Verordnung bei Schlaf-, Ess- und Persönlichkeitsstörungen sowie in der Behandlung von Substanzmissbrauch. Für diese Indikationen gäbe es keine Wirksamkeitsbelege und Hinweise auf eine ungünstige Nutzen-Risiko-Relation. Trotzdem nimmt die Verschreibung von Quetiapin in den letzten Jahren immer weiter zu (5). Informationen zu den Verordnungsindikationen in Deutschland gibt es nicht; es gibt aber keinen Grund anzunehmen, dass die Situation wesentlich anders ist als in Norwegen.

Quetiapin ist ein breit wirksames Neuroleptikum. Es interagiert mit Rezeptoren für Serotonin, Dopamin und Histamin. Der hypnotische Effekt wird dem Histamin-H1-Antagonismus zugeschrieben und tritt schon in niedriger Dosierung auf. Überraschenderweise gibt es nur wenige Studien mit sehr kleinen Patientenzahlen zur Wirksamkeit von Quetiapin bei Schlafstörungen. Ein systematisches Review zu atypischen AP als Schlafmittel aus dem Jahre 2016 kommt zu dem Ergebnis, dass nur „eine qualitativ sehr niedrige Evidenz vorliegt, wonach Quetiapin bei primärer Insomnie die Schlafparameter im Vergleich zu Plazebo verbessert“ (6). Die Autoren raten von einer Anwendung als Hypnotikum ab, solange keine aussagekräftigen Studien vorliegen. Seither wurde nach einer aktuellen Pubmed-Recherche keine kontrollierte Studie mit Quetiapin bei Schlafstörungen mit ausreichend großen Patientenzahlen und längerer Nachbeobachtung mehr publiziert. Auch die S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin aus dem Jahre 2017 erwähnt, dass AP in der Geriatrie häufig zur Behandlung von Schlafstörungen eingesetzt werden, aber nur Melperon und Pipamperon eine Zulassung für diese Indikation haben. Generell sei die Studienlage jedoch unzureichend für eine Empfehlung (7). In der S3-Leitlinie zu Demenzen aus dem Jahre 2016 wird betont, dass bei Menschen mit Demenz keine höhergradige Evidenz für eine Behandlung von Schlafstörungen mit pharmakologischen Ansätzen vorliegt, auch nicht für AP (8).

Diesem unbewiesenen Nutzen als Schlafmittel steht eine Vielzahl von Nebenwirkungen gegenüber. Die Interaktion mit mehreren zentralen Rezeptoren kann zu Symptomen führen, wie extrapyramidale Bewegungsstörungen, Benommenheit am Tag, Aufmerksamkeitsstörungen, Schwindel, Mundtrockenheit und Kopfschmerzen. Zudem kann Quetiapin auch schon in geringen Dosen zu raschen und erheblichen Gewichtzunahmen führen (9) mit negativen Auswirkungen auf die Blutfette und die kardiovaskuläre Morbidität. Auch Absetzsymptome werden beschrieben, und es gibt Hinweise, dass sich bei längerer Anwendung hinsichtlich der hypnotischen Wirkung eine Toleranz entwickeln kann (1).

Quetiapin ist also sicher kein mildes Hypnotikum ohne Suchtpotenzial. Das Vertrauen in Wirkungen und Sicherheit von Quetiapin wird mündlich tradiert und resultiert möglicherweise auch aus dem Marketing des Herstellers in der Vergangenheit. Quetiapin wurde in den USA unzulässigerweise für mehrere Off-label-Anwendungen beworben, darunter auch als Schlafmittel, wofür der Hersteller 2010 zu einer Geldstrafe von 520 Mio. US-$ verurteilt wurde (10).

Eine lesenswerte Übersicht zur Behandlung der Insomnie im höheren Lebensalter ist gerade in der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie erschienen (11). Bei akuter Schlaflosigkeit sollten demnach kurzfristig (< 2-4 Wochen) traditionelle Hypnotika mit Zulassung für diese Indikation verwendet werden. Genannt werden Z-Hypnotika (Zolpidem, Zopiclon) und einige Benzodiazepine mit kurzer Halbwertszeit (z.B. Triazolam). Bei chronischer Schlaflosigkeit ist die Situation schwieriger. Es werden in erster Linie nicht medikamentöse Behandlungen empfohlen, wie Verbesserung der Schlafhygiene und kognitive Verhaltenstherapie. Etwa 80% sollen von einer derartigen Behandlung profitieren. Weiterhin wird auf die Bedeutung von Tageslicht, die Verwendung von Lichtquellen mit hohem Blauanteil und Melatonin in der Therapie hingewiesen. Bei den übrigen Arzneimitteln sind die Autoren sehr zurückhaltend. Die Ergebnisse aus randomisierten kontrollierten Studien seien ernüchternd. Die Veränderungen der Einschlaflatenz und der nächtlichen Wachzeiten lägen in der Größenordnung von 10-30 Minuten. Manche Arzneimittel, wie selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer oder Monoaminooxidase-Hemmer, erhöhen sogar die Wachzeiten.

Fazit: Quetiapin ist ein Antipsychotikum, das sehr häufig in niedriger Dosis und off-label als Schlafmittel eingesetzt wird. Das vermeintliche Wissen über die gute und sichere Wirkung als Hypnotikum stützt sich in erster Linie auf tradierte Empirie und geht wohl teilweise auch auf ein unzulässiges Marketing zurück. Kontrollierte Studien mit eindeutigem Wirksamkeitsnachweis gibt es nicht. Daher raten sowohl die Autoren der S3-Leitlinie zu Schlafstörungen als auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte von dem Gebrauch bei Schlafstörungen ab (12). Wenn es trotzdem verordnet wird, müssen die Patienten auf die zu erwartende signifikante Gewichtszunahme und weitere Nebenwirkungen hingewiesen werden.

Literatur

  1. Boilding Debernard, K.A., et al.: Tidsskr. Nor. Laegeforen 2019, Sep. 16,139. Link zur Quelle
  2. Fachinformationen Quetiapin. Link zur Quelle (Zugriff am 30.1.2020).
  3. Gjerden, P., et al.: Eur. J. Clin. Pharmacol. 2017, 73, 1173. Link zur Quelle
  4. https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/ DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risikoinformationen/ EducationMaterial/ Anlagen/quetiapin-seroquel-aerzte.pdf … Link zur Quelle
  5. Lohse, M.J., und Müller-Oerlinghausen, B.: Psychopharmaka. In: Schwabe, U., Paffrath, D., Ludwig, W.-D., Klauber, J. (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2019. Springer-Verlag Berlin, 2019.
  6. Thompson, W., et al.: Sleep Med. 2016, 22, 13. Link zur Quelle
  7. Rieman, D., et al.: Somnologie 2017, 21, 2. Link zur Quelle
  8. S3-Leitlinie „Demenzen“ Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), 2016. Link zur Quelle (Zugriff am 30.1.2020).
  9. Yeh, T.C., et al.: J. Clin. Psychopharmacol. 2019, 39, 472. Link zur Quelle
  10. AstraZeneca faces $520m Seroquel fine. Financial Times. April 28 2010. Link zur Quelle (Zugriff am 30.1.2020).
  11. Richter, K., et al.: Z. Gerontol. Geriat. publ. Online 21.1.2020. Link zur Quelle (Zugriff am 30.1.2020).
  12. https://www.bfarm.de/SharedDocs/ Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/ Risikoinformationen/EducationMaterial/ Anlagen/quetiapin-seroquel-aerzte.pdf? __blob= publicationFile&v=4 Link zur Quelle