Die „primäre“ oder „idiopathische“ schmerzhafte Schultersteife (Periarthropathia humeroscapularis oder „Frozen shoulder = FS) wird auch als „adhäsive Kapsulitis“ bezeichnet. Eine Synovitis mit proliferativer Fibrose führt zunehmend zu einem Verlust der aktiven und passiven Beweglichkeit, ohne dass radiologisch relevante Gelenkveränderungen nachzuweisen sind. Typischerweise verläuft die FS in drei Stadien: Stadium 1: Schmerzen, ca. 2-9 Monate; Stadium 2: eingeschränkte Beweglichkeit, ca. 4-12 Monate; Stadium 3: Wiederherstellung, ca. 5-24 Monate. Viele Patient(inn)en haben aber auch nach 2 Jahren noch erheblich beeinträchtigende Symptome. Die Inzidenz wird auf 2,4/100.000 pro Jahr und die Prävalenz auf 1-2% der Bevölkerung geschätzt (1, 3).
Zur Behandlung stehen neben der Schmerz- und antiphlogistischen Therapie verschiedene invasive und nicht invasive Verfahren zur Verfügung, jedoch existiert bisher kein evidenzbasiertes Therapiekonzept als Leitlinie (2). Im JAMA wurde jetzt ein systematisches Review veröffentlicht mit einer Metaanalyse zu derzeit verfügbaren, nicht operativen Therapieverfahren bei Symptomen, die kürzer als ein Jahr bestehen (3).
Studiendesign: Einbezogen wurden ausschließlich randomisierte Studien aus medizinischen Datenbanken zur Therapie der FS incl. Vergleichskollektiven: entweder alternative Therapieoptionen, Plazebo bzw. Scheinprozeduren oder keine Behandlung. Die Studien zur medikamentösen Therapie umfassten eine oder wiederholte intraartikuläre Injektionen eines Glukokortikosteroids (z.B. jede Woche über insgesamt 6 Wochen oder eine erneute Injektion z.B. nach 2 und 6 Wochen) oder Prednisolon oral, jeweils verglichen mit Plazebo oder keiner Therapie. In Studien zur Physiotherapie musste diese über die eigentlichen krankengymnastischen Bewegungsübungen hinaus zusätzlich die Anwendung von Kälte oder Wärme, Diathermie oder Elektrotherapie umfassen.
Als primäre Endpunkte galten die Schulterbeweglichkeit und der Ruheschmerz, als sekundärer Endpunkt die Funktion bei passiver Schulter-Rotation (ER ROM = „external rotation range of movement“). Diese wurde jeweils im kurzfristigen Verlauf (≤ 12 Wochen), mittelfristig (> 12 Wochen bis ≤ 12 Monate) und langfristig (> 12 Monate) erhoben. Eine standardisierte Kategorisierung der FS war den Studien nicht zu entnehmen. Der Schmerzgrad wurde auf einer visuellen Analogskala (VAS) eingestuft von 0-10, wobei 10 den denkbar stärksten Schmerz abbildet. Für die Erfolgsbeurteilung einer Therapie wurden in einer paarweisen Metaanalyse die mittleren Punktedifferenzen (MDs) für Schmerz und ER ROM herangezogen jeweils im Vergleich zu keiner Therapie oder Plazebo, sowie die standardisierten mittleren Differenzen (SMDs) für die Schulterfunktion, wodurch die verschiedenen in den Studien angewandten Scoring-Systeme vereinheitlicht wurden.
Ergebnisse: Es wurden 34 Studien mit insgesamt 2.402 Patienten in der paarweisen Metaanalyse und 39 Studien mit 2.736 Patienten in einer Netzwerk-Metaanalyse ausgewertet. Die FS-Symptomatik bestand bei den Patienten zwischen einem Monat bis zu maximal 7 Jahren mit einer Nachbeobachtung von einer Woche bis zu 2 Jahren, am häufigsten wurden die Symptome erhoben nach 6 Wochen, 12 Wochen und 6 Monaten.
In der paarweisen Metaanalyse ergaben sich mehrere einzelne signifikante Unterschiede, aber nur die intraartikuläre Glukokortikosteroid (iaKS)-Injektion zeigte im kurzfristigen Verlauf (≤ 12 Wochen) sowohl statistisch als auch klinisch eine Überlegenheit bei der Schmerzreduktion: Es ergab sich eine mittlere Differenz (MD) von -1,0 VAS-Punkten (95%-Konfidenzintervall = CI: -1,5 bis -0,5 Punkte; p < 0,001) im Vergleich zu keiner Therapie oder zur Injektion mit NaCl als Plazebo. Im Vergleich zu Physiotherapie ergab sich eine ähnlich signifikante MD von -1,1 VAS-Punkten. Die SMD für die Schulterfunktion betrug 0,6 (CI: 0,3-0,9; p < 0,001) verglichen mit keiner Therapie oder Plazebo bzw. 0,5 im Vergleich zur Physiotherapie. Die subakromiale Injektion war nicht wirksamer als die intraartikuläre Injektion. In einer Subgruppen- und Netzwerk-Metaanalyse zeigte sich, dass ein zusätzliches Bewegungsprogramm zuhause mit einfachen Übungen, Stretching und Physiotherapie mit Elektrotherapie den Erfolg einer iaKS-Therapie mittelfristig, d.h. innerhalb eines Jahres, wahrscheinlich noch verbessern kann: Schmerzdifferenz MD -1,4 VAS-Punkte (CI: -1,8 bis -1,1 VAS-Punkte, p < 0,001) im Vergleich zu keiner Therapie oder Plazebo. Im Mittel konnte die Rotation im Schultergelenk (ER ROM) innerhalb der ersten 6 Wochen um fast 18 Grad verbessert werden.
Eine arthrografische Distension (Aufdehnen des Schultergelenks durch Injektion von NaCl-Lösung) zusätzlich zur iaKS-Injektion zeigte einen günstigen Effekt besonders auf die frühe Schmerzlinderung mit einer Dauer von bis zu 12 Wochen, nicht aber auf die funktionelle Verbesserung. Die Erweiterung der Physiotherapie um Akupunktur brachte keinen Vorteil im Vergleich zur alleinigen Physiotherapie. Die Autoren räumen u.a. ein, dass der klinische Erfolg einer krankengymnastischen Behandlung von vielen Faktoren abhängig ist, die in der Analyse nicht im Einzelnen berücksichtigt werden konnten.
Die Ergebnisse decken sich mit denen anderer Autoren (4, 5), die auch einen kurz- und mittelfristigen Vorteil der iaKS-Injektion für Schmerz, Schulterfunktion und Rotation belegen. Gleiches gilt für die arthrografische Distension, wie auch in einem Cochrane Review gezeigt (6, 7). Eine rein manuelle Behandlung hatte in einem anderen Review schlechtere Ergebnisse gezeigt als die intraartikuläre Injektion (8). Der Stellenwert arthroskopisch operativer Verfahren wird noch kontrovers diskutiert (9-12). Eine aktuelle Studie aus England zeigt jedoch, dass operative Eingriffe – hier Manipulation unter Anästhesie bzw. arthrografische Distension – nicht besser wirksam sind nach 12 Monaten als eine frühe strukturierte Physiotherapie plus iaKS (13). Das National Institute of Health and Care Excellence (NICE) empfiehlt derzeit noch eine stufenweise Eskalation der Physiotherapie mit iaKS-Injektionen nur bei Versagen der konventionellen Therapie (14). Die aktuelle Studie stützt diese Vorgehensweise nicht. Weitere Studien wären wünschenswert.
Fazit: Bei „Frozen shoulder“ mit Symptomen seit < 1 Jahr führte eine intraartikuläre Injektion mit Glukokortikosteroiden (iaKS) zu einer klinisch signifikanten Besserung der Schmerzen innerhalb von 6 Wochen, die bis zu 6 Monaten anhält. Ein zusätzliches Bewegungsprogramm zuhause mit einfachen Übungen, Stretching und Physiotherapie mit Elektrotherapie kann den Erfolg einer iaKS-Therapie im Laufe eines Jahres wahrscheinlich noch verbessern. Patienten müssen über den Langzeitverlauf und die bezüglich der Funktionalität oft günstige Prognose im Hinblick auf eine konstruktive Mitarbeit bereits beim ersten Arztkontakt gut aufgeklärt werden.
Literatur
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- Rangan, A., et al.: (UK FROST = United Kingdom FROzen Shoulder Trial): Lancet 2020, 396, 977. Link zur Quelle
- National Institute for Health and Care Excellence. Shoulder pain: scenario: frozen shoulder. Link zur Quelle