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Mini-Dosis Edoxaban bei hochbetagten Patienten mit Vorhofflimmern

Randomisierte, plazebokontrollierte Arzneimittelstudien mit hochbetagten Menschen sind eine Rarität, obwohl diese Bevölkerungsgruppe in den Industrieländern sehr stark wächst und das Wissen über die Nutzen-Risiko-Relation von Arzneimitteln in diesem Lebensalter sehr begrenzt ist. Eine japanische Studie mit dem Akronym ELDERCARE-AF beweist nun, dass solche Studien machbar sind (1).

In ELDERCARE-AF wurden knapp 1.000 Patienten > 80 Jahre eingeschlossen. Das mittlere Alter der Teilnehmer betrug 86,6 Jahre. Untersucht wurde, wie wirksam und sicher eine sehr niedrig dosierte orale Antikoagulation (OAK) mit dem direkten Faktor-Xa-Inhibitor Edoxaban im Vergleich zu Plazebo ist bei Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern und Kontraindikationen für eine OAK in den empfohlenen Dosierungen. Die Studie wurde in den Jahren 2016-2019 an 164 Zentren in Japan durchgeführt und vom Hersteller von Edoxaban, Daiichi Sankyo, finanziert.

Die Studienpopulation war nur gering selektiert: Von 1.086 in Frage kommenden Patienten wurden 984 (92%) randomisiert. Die wichtigsten Gründe, warum bei diesen eine OAK in den zugelassenen Dosierungen nicht möglich war, waren eine stark eingeschränkte Nierenfunktion (GFR < 30 ml/min; 41%), eine Vorgeschichte mit kritischen Blutungen (23%), ein sehr niedriges Körpergewicht (≤ 45 kg; 38%) oder die Notwendigkeit einer regelmäßigen Einnahme von NSAID (32%) oder ASS (54%).

Im Studienkollektiv waren 57,4% Frauen, insgesamt 40,9% wurden bei Studienbeginn als gebrechlich („frail“) eingeschätzt, und 35% waren im vorausgegangenen Jahr mindestens einmal gestürzt. Die mittlere GFR betrug 36,3 ml/min und der Body-Mass-Index 22,1, was für europäische Verhältnisse niedrig ist. Der mittlere CHADS2-Score lag bei 3,1 Punkten, entsprechend einem jährlichen Thromboembolie-Risiko von ca. 6% (beim CHADS2-Score erhält eine Anamnese mit Schlaganfall/TIA 2 Punkte und Herzinsuffizienz, Hypertonie, Diabetes sowie Alter > 75 Jahre jeweils einen Punkt; vgl. 2). Der hierzulande üblichere CHA2DS2-VASc-Score (vgl. 3) betrug 4,9. Der mittlere HAS-BLED-Score (vgl. 3), welcher das Blutungsrisiko abschätzt, betrug im Mittel 2,3. Dies entspricht einem jährlichen Blutungsrisiko von ca. 2%.

Es erhielten 492 Patienten 15 mg Edoxaban täglich und 492 Plazebo, wobei 15 mg/d einem Viertel der Volldosis bzw. der Hälfte der für diese Indikation zugelassenen reduzierten Dosis entsprechen. Primärer Studienendpunkt war eine Kombination von Schlaganfall und systemischer Thromboembolie, primärer Sicherheitsendpunkt eine Major-Blutung nach den Kriterien der „International Society of Thrombosis and Haemostasis“ (ISTH). Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 466 Tage (Interquartile range = IQR: 293-708). Etwa ein Drittel der Studienteilnehmer(innen) in beiden Gruppen schieden vorzeitig aus der Studie aus, meist wegen Nebenwirkungen (48%) oder weil sie nicht mehr teilnehmen konnten oder wollten (37%). Während der Nachbeobachtung starben 135 (13,7%), davon 66 in der Edoxaban- und 69 in der Plazebo-Gruppe. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgte nach „Intention to treat“.

Ergebnisse: Mit der Mini-Dosis Edoxaban trat der primäre Endpunkt hinsichtlich Wirksamkeit signifikant seltener auf als mit Plazebo. Die absolute Risikoreduktion betrug 4,4% pro Jahr. Dies entspricht einer „Number needed to treat“ von 23. Ein Überlebensvorteil ergab sich hierdurch allerdings nicht (s. Tab. 1). Analysen zu Behinderungen oder zum Einfluss auf die Lebensqualität liegen (noch) nicht vor. Der Nutzen war in nahezu allen analysierten Subgruppen nachweisbar, einzige Ausnahme waren Patienten, die kontinuierlich NSAID einnahmen (Hazard Ratio = HR: 1,24). Die Schlaganfall- und Thromboembolierate entspricht etwa der, die schon bei der Subgruppe der über 80-Jährigen in der ENGAGE-AF-TIMI-48-Studie mit 60 bzw. 30 mg Edoxaban beobachtet wurde (2,5% bzw. 2,8% bei 17% der gesamten Studienpopulation; 4).

Diesem Nutzen steht eine statistisch nicht signifikante Zunahme von Major-Blutungen um absolut 2,5% pro Jahr gegenüber. Dabei handelte es sich in erster Linie um gastrointestinale und nicht um intrazerebrale Blutungen. Die „Number needed to harm“ beträgt 40. Der „Net clinical benefit“ wurde aus den Ereignissen Schlaganfall, systemische Thromboembolie, Major-Blutung und Tod berechnet. Er war mit der Mini-Dosis Edoxaban nicht signifikant größer (13,5% vs. 15,6%; HR: 0,86; 95%-Konfidenzintervall: 0,65-1,15).

Die Autoren warnen davor, dieses Ergebnis unkritisch auf andere Populationen und Ethnien zu übertragen. Bei Asiaten haben direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) möglicherweise eine geringere therapeutische Breite als bei Europäern. Darauf könnten Registerdaten hinweisen, wonach ein Drittel der Patienten mit Vorhofflimmern in asiatischen Ländern „off-label“ mit reduzierten DOAK-Dosen behandelt werden. Diese Daten zeigen auch, dass ungerechtfertigt reduzierte Dosierungen mit einer erhöhten Mortalität assoziiert sind (vgl. 5).

Fazit: Bei hochbetagten Japanern mit nicht valvulärem Vorhofflimmern und Kontraindikationen für eine orale Antikoagulation in den zugelassenen Standarddosierungen hatte eine Mini-Dosis Edoxaban (15 mg/d) hinsichtlich der Prävention von Schlaganfällen und Thromboembolien eine günstige Nutzen-Risiko-Relation. Ein Überlebensvorteil ergab sich hieraus jedoch nicht. Ein derartiges Vorgehen muss jedoch zunächst an hochbetagten Europäern überprüft werden. Bei Patienten dieser Altersgruppe ist mit einer anderen Pharmakogenetik und -kinetik zu rechnen, und ungerechtfertigt reduzierte Dosierungen von DOAK könnten mit erhöhter Mortalität assoziiert sein.

Literatur

  1. Okumura, K., et al. (ELDERCARE-AF = Edoxaban Low-Dose for EldeR CARE Atrial Fibrillation patients: N. Engl. J. Med. 2020, 383, 1735. Link zur Quelle
  2. AMB 2011, 45, 73. Link zur Quelle
  3. AMB 2012, 46, 17. Link zur Quelle
  4. Giugliano, R.P., et al. (ENGAGE AF-TIMI 48 = Effective anticoagulation with Factor Xa – Next Generation in Atrial Fibrillation – Thrombolysis In Myocardial Infarction 48): N. Engl. J. Med. 2013, 369, 2093. Link zur Quelle Vgl. AMB 2014, 48, 71 Link zur Quelle . AMB 2015, 49, 60. Link zur Quelle
  5. AMB 2020, 54, 90b. Link zur Quelle

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