Die meisten der mit dem neuen humanpathogenen SARS-CoV-2 infizierten Personen bleiben symptomlos oder entwickeln nur milde Krankheitssymptome (1). SARS-CoV-2 hat zahlreiche Homologien zu den saisonal zirkulierenden Schnupfenviren, die teilweise auch zu den Coronaviren zählen (2, 3). Die Ähnlichkeit der strukturellen und nicht-strukturellen Proteine dieser Viren lässt eine Kreuzimmunität erwarten. Inzwischen konnte tatsächlich nachgewiesen werden, dass eine humorale und zelluläre Immunreaktion gegen Schnupfenviren auch gegen das SARS-CoV-2 nachweisbar ist (3-14). Über das Ausmaß des klinischen Nutzens einer solchen kreuzreaktiven Immunität wurde bislang kontrovers diskutiert (2, 8, 15). Allerdings wurde beobachtet, dass Menschen, die kürzlich einen Schnupfen mit saisonalen Coronaviren durchgemacht hatten, mildere Verläufe von COVID-19 hatten (16). Etwa 90% der Bevölkerung haben Antikörper gegen die saisonalen Schnupfenviren (17, 18). Die Arbeitsgruppe um Andreas Thiel an der Charité in Berlin hat aktuell die präexistierende, durch CD4+-T-Lymphozyten vermittelte zelluläre Immunität gegen SARS-CoV-2 und humane saisonale Schnupfenviren untersucht und mit der von Genesenen und Geimpften verglichen (19).
Methodik: Sequenzvergleiche ergaben Bereiche hoher Homologie in fast allen untersuchten SARS-CoV-2-Proteinen zu den entsprechenden Proteinen der saisonalen Schnupfenviren aus der Familie der Coronaviren. Bereiche der „open reading frame“ (ORF1a/b), die für die nicht-strukturellen Proteine 8, 10 sowie 12 bis 16 kodieren, hatten die höchste Homologie und wurden ebenfalls für Stimulationsexperimente benutzt. Weiterhin wurde die Immunantwort auf das SARS-CoV-2-Spike-Glykoprotein (S-Gp) durch überlappende Peptide genauer untersucht. Für all diese Stimulationsuntersuchungen wurden Lymphozyten aus dem Blut SARS-CoV-2-infizierter Patienten sowie von geimpften und nachweislich nicht infizierten Personen isoliert, wobei die Zahl der Probanden in den vielen Untersuchungen sehr unterschiedlich war. Die CD4+T-Lymphozyten wurden hinsichtlich ihrer Reaktivität auf Peptide verschiedener struktureller und nicht-struktureller Coronavirus-Proteine getestet. Die Stimulation der Zellen erfolgte ex vivo, und die Reaktivität wurde anhand intrazellulärer Expression von Gamma-Inferferon mittels Durchflusszytometrie (FACS) untersucht; zusätzlich wurde CD40-Ligand als Marker einer spezifischen Reaktion auf den Zellen gemessen. Die Immunantwort wurde auch mit dem Lebensalter korreliert.
Ergebnisse: Sowohl bei den nicht mit SARS-CoV-2-infizierten Personen wie auch bei Personen mit durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion wurde eine breite Immunantwort gegen das S-Gp und andere Virusproteine nachgewiesen. Die kreuzreaktive CD4+-T-Zellantwort nahm mit dem Alter ab. In dieser Untersuchung wurde ein immundominanter kreuzreaktiver Peptidabschnitt (S816-S830) im S-Gp ermittelt. Eine Immunantwort gegen dieses Peptid war nachweisbar bei 20% der bisher nicht mit SARS-CoV-2 infizierten Personen, bei ca. 50% der Personen mit durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion und bei 97% der Personen, die zweimal mit BNT162b2 geimpft waren. Darüber hinaus wurde mittels HLA-Typisierung festgestellt, dass bestimmte HLA-Typen mit einer besseren Immunantwort gegen dieses immundominante Peptid assoziiert sind. Gedächtnis-Immunzellen gegen dieses Peptid fanden sich auch bei den SARS-CoV-2-naiven Patienten. Die Stärke der zellulären Immunantwort gegen dieses Peptid korrelierte mit der Höhe der Antikörpertiter gegen das SARS-CoV-2-S-Gp. Die kreuzreaktive Immunantwort wird sowohl durch die Impfung wie auch durch die Infektion verstärkt. Die nachgewiesene Kreuzimmunität könnte mit ein Grund dafür sein, dass oft milde bzw. asymptomatische Verläufe bei vielen, insbesondere jüngeren Menschen nach SARS-CoV-2-Infektion beobachtet werden. Darüber hinaus machen sie plausibel, warum viele Personen schon nach der 1. Impfung mit starker Immunantwort reagieren.
Die Bedeutung dieser Befunde wird durch die klinische Beobachtung unterstrichen, dass eine frühe CD4+-T-Zell-Antwort nach Infektion mit dem SARS-CoV-2 mit milderen Verläufen assoziiert ist (20). Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass eine bereits vorhandene Immunität gegen Corona-Schnupfenviren durch Kreuzimmunität vor schweren Verläufen von COVID-19 schützt oder sogar zu asymptomatischen Verläufen beiträgt (21-22). Die Untersuchungen zeigen, dass eine durch CD4+-T-Lymphozyten vermittelte zelluläre Immunität bei der Abwehr von SARS-CoV-2 eine wichtige Rolle spielt, und dass die humorale Immunität infolge der Bildung SARS-CoV-2-spezifischer Antikörper nicht überschätzt werden sollte, da sie nur einen Teil der schützenden Immunantwort ausmacht.
Fazit: Eine starke Immunantwort gegen saisonale Corona-Schnupfenviren, wie sie besonders bei Kindern, Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen nachweisbar ist, könnte – durch Kreuzimmunität – auch vor einer Infektion mit dem SARS-CoV-2 schützen. Außerdem scheint eine solche vorhandene Kreuzimmunität die anti-SARS-CoV-2-Immunantwort nach Impfung oder nach einer Infektion mit dem SARS-CoV-2 zu verstärken.
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