Im JAMA Neurology wurde 2020 die bisher umfangreichste Studie zu Plasmakonzentrationen ausgewählter Antiepileptika (AntiEpileptic Drugs = AED) bei Säuglingen veröffentlicht, die unter der Therapie ihrer an Epilepsie erkrankten Mütter gestillt wurden [1]. Die Autoren gehören der Arbeitsgruppe MONEAD („Maternal Outcomes and Neurodevelopmental Effects of Antiepileptic Drugs“) in den USA an, die Auswirkungen einer Antiepileptika-Exposition bei Schwangeren und ihren Kindern bis zum Alter von 6 Jahren untersucht. Bei der Publikation [1] geht es speziell um Lamotrigin, Levetiracetam, Carbamazepin einschließlich des Metaboliten Carbamazepin-10,11-Epoxid, Oxcarbazepin, Topiramat, Valproinsäure und Zonisamid und die Ermittlung des prozentualen Anteils an der mütterlichen Plasmakonzentration, die bei den gestillten Kindern gefunden wurde. Bisher gab es zu dieser Frage nur Einzelfallberichte und kleine Fallserien. Die Exposition der Kinder wurde bisher vorwiegend anhand der Arzneimittel-Konzentration in der Muttermilch betrachtet und eine hiervon abgeleitete relative Dosis beim Kind gewichtsbezogen als Anteil an der mütterlichen Tagesdosis definiert. Konzentrationsbestimmungen in der Muttermilch erlauben aber naturgemäß keine Aussage zur tatsächlichen systemischen Exposition beim Kind, da dieser Ansatz gastrointestinale Verfügbarkeit, hepatische Verstoffwechselung und renale Clearance beim Säugling nicht erfasst.
Methodik: In die MONEAD-Studie [1] wurden insgesamt 345 Kinder einbezogen. Von diesen wurden 222 (64,3%) gestillt. Zu den Einschlusskriterien der Studie gehörte u.a. ein Alter der Mutter zwischen 14 und 45 Jahren, ein Intelligenz-Quotient (IQ) der Mutter von > 70 und ein Gestationsalter von < 20 Wochen zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Studienkohorte. Die Blutproben wurden bei Mutter und Kind etwa zeitgleich und zwischen 5 und 20 Wochen nach der Geburt entnommen.
Von den 135 Müttern, mit denen sich Mutter-Kind-Paare bilden ließen, erhielten 111 (82,2%) eine antiepileptische Monotherapie. Zu den 138 Kindern der 135 Mütter (3 Zwillingspaare) konnten 164 Konzentrationsbestimmungen den mütterlichen Plasmakonzentrationen gegenübergestellt werden, d.h. von den weitaus meisten Kindern wurde nur eine Probe genommen.
Zu den Variablen, die in der Regressionsanalyse berücksichtigt wurden, gehörte neben dem Alter des Kindes, den Zeitintervallen zwischen der mütterlichen AED-Einnahme, dem Stillen, der Probennahme auch eine semiquantitative Zuordnung der Stillmenge, die sich entweder an der geschätzten Stillzeit oder am täglichen Flascheninhalt abgepumpter Muttermilch orientierte. Auf etwa drei gleich große Gruppen verteilt, wurde der Stillumfang als „niedrig“, „mittel“ oder „hoch“ definiert, wobei die als niedrig definierte Gruppe < 3 Stunden täglich gestillt oder < ca. 270 g (9 Unzen) gefüttert hatte und die als hoch definierte mindestens 5 Stunden bzw. 720 g (24 Unzen).
Ergebnisse: Bei etwa 49% der Kinder lag die Arzneimittelkonzentration unterhalb der Quantifizierungsgrenze und wurde von den Autoren ersatzweise mit 50% dieses Grenzwerts angenommen. Der mediane Prozentsatz der Arzneimittelkonzentration bei den Säuglingen im Vergleich zum Wert bei den Müttern lag bei allen untersuchten Antiepileptika zwischen 0,3% (0,2%-0,9%) und 44,2% (35,2%-125,3%). Bei keinem der Kinder, deren Mütter Carbamazepin, Oxcarbazepin, Topiramat oder Valproat einnahmen, lagen die Werte oberhalb der Quantifizierungsgrenze. Gleiches traf für die meisten Kinder unter Levetiracetam und Zonisamid zu. Bei Lamotrigin hingegen ließen sich bei 62 von 70 Kindern (86,2%) die Konzentrationen im Blut des Kindes quantifizieren: Die mediane Konzentration lag bei 28,9% der Plasmawerte der Mütter.
Mithilfe multipler linearer Regression konnte nur bei Lamotrigin die Plasmakonzentration bei der Mutter als ein mit der Konzentration beim Kind signifikant assoziierter Faktor ermittelt werden („Pearson correlation coefficient“: 0,58; p < 0,001).
Insgesamt bestätigt diese Studie Ergebnisse früherer Arbeiten, dass der über die Muttermilch vom Kind aufgenommene Anteil an Antiepileptika gering ist, eine schädigende Wirkung beim Kind nicht zu erwarten ist und es – zumal bei Monotherapie – keinen Einwand gegen volles Stillen gibt. In diesem Zusammenhang ist eine frühere Publikation der gleichen Arbeitsgruppe interessant, in der der kognitive Entwicklungsstand von Kindern im Alter von 6 Jahren untersucht wurde durch Gegenüberstellung gestillter und nicht gestillter Kinder von Müttern mit Antiepileptika-Behandlung. Besonders erstaunlich war, dass die nach vorgeburtlicher Valproinsäure-Exposition in mehreren Studien nachgewiesenen IQ-Defizite bei Kindern bei den unter Valproinsäure gestillten Kindern nicht zu einer (weiteren) Verschlechterung des (verbalen) IQ führte, sondern diese im Mittel sogar signifikant besser abschnitten als die unter Valproinsäure nicht gestillten Kinder [2]. Beide Gruppen waren mit 11 bzw. 25 Mutter-Kind-Paaren relativ klein. Insofern sind die Ergebnisse hinsichtlich potenzieller Störfaktoren, wie z.B. mit der Stillbereitschaft assoziierte, förderliche mütterliche Charakteristika, vorsichtig zu interpretieren. Andere Studien konnten im Alter von 3 Jahren keine Beeinträchtigung der kognitiven Entwicklung durch Stillen unter mütterlicher AED-Einnahme finden [3] [4].
Einige Aspekte sprechen dafür, dass die Exposition über die Plazenta während der Schwangerschaft relevanter für die funktionelle ZNS-Entwicklung ist als der Einfluss post partum über die Muttermilch. Hierzu zählen der deutlich höhere Gradient des Übergangs von Arzneimitteln über die Nabelschnur zum ungeborenen Kind im Vergleich zum Transfer über die Muttermilch, die unausgereifte Blut-Hirn-Schranke und die größere Vulnerabilität des fetalen ZNS.
Zu den Schwächen der Studie [1] gehört, dass in den meisten Fällen lediglich nur eine – möglicherweise nicht repräsentative – Probe beim Kind genommen wurde anstelle wiederholter Mutter-Kind-Konzentrations-Bestimmungen. Außerdem wurden Proben der Kinder und Mütter in zwei verschiedenen Labors analysiert, deren Verfahren allerdings gegenseitig validiert wurden.