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Cannabis als Medizin: Ergebnisse der Begleiterhebung des BfArM

Im März 2017 ist das Gesetz „Cannabis als Medizin“ in Kraft getreten; Ziel ist die Verbesserung der Palliativversorgung ([1], vgl. [2]). Seitdem dürfen Ärztinnen und Ärzte schwerkranken Patienten unter bestimmten Voraussetzungen Cannabisarzneimittel auf einem Betäubungsmittelrezept verordnen. Gleichzeitig wurde das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beauftragt, eine Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln durchzuführen. Die Erhebung umfasste Cannabisarzneimittel, die gesetzlich Versicherten nach Genehmigung der Krankenkassen verschrieben wurden und die zur Behandlung der bestehenden Erkrankung oder Symptomatik nicht als Fertigarzneimittel zugelassen waren. Dies waren Cannabisblüten, Cannabisextrakte, Dronabinol, Nabilon und Sativex®. Die Ergebnisse der Begleiterhebung hat das BfArM im Juli 2022 auf seiner Homepage veröffentlicht [3]. Im aktuellen Bulletin zur Arzneimittelsicherheit vom September 2022 befassen sich die Autoren vor allem mit den Nebenwirkungen der Therapie mit Cannabisarzneimitteln als Teilaspekt der Begleiterhebung [4].

Die nicht-interventionelle Begleiterhebung wurde, den gesetzlichen Vorgaben entsprechend, zwischen April 2017 und März 2022 durchgeführt. Für die verordnenden Vertragsärzte bestand zwar eine gesetzliche Verpflichtung zur Teilnahme an der Erhebung, jedoch erfolgte diese aufgrund der weitgehenden Anonymisierung der Ärzte faktisch freiwillig. Die Daten wurden online erfasst. Erhoben wurden u.a. Angaben zu Diagnose, Therapie, Dosis und Nebenwirkungen. Die genaue Zahl der genehmigten Verordnungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherungen ist unbekannt und wird vom BfArM auf ca. 70.000 geschätzt. Nur 21.000 Behandlungen wurden an das BfArM gemeldet; in die Auswertung wurden 16.809 vollständige Datensätze einbezogen.

Die Patientinnen und Patienten, die mit Cannabisarzneimitteln insgesamt behandelt wurden, waren im Durchschnitt 57 Jahre alt; etwa 54% waren Frauen. Bei mehr als drei Vierteln der gemeldeten „Fälle“ wurden die Cannabisarzneimittel zur Behandlung chronischer Schmerzen angewendet (76,4%). Weitere häufig behandelte Symptome waren Spastik (9,6%), Anorexie/„Wasting“-Syndrom (5,1%) und Übelkeit/Erbrechen (2,2%). Bei 14,5% lag eine Tumorerkrankung vor und bei 5,9% eine Multiple Sklerose. Vor Beginn der Behandlung mit einem Cannabisarzneimittel waren die Patienten im Durchschnitt bereits 8 Jahre wegen der bestehenden Symptomatik behandelt worden. Bei den in der Begleiterhebung übermittelten „Fällen“ wurde am häufigsten Dronabinol (62,2%) als Cannabisarzneimittel verordnet, gefolgt von Blüten (16,5%), Extrakten (13%) und Sativex® (8%). Die mittlere Tagesdosis an THC, dem Hauptwirkstoff der Cannabispflanze, lag bei Verwendung von Dronabinol, Cannabisextrakten und Sativex® bei etwa 15 mg, bei den Cannabisblüten jedoch bei 249 mg. Bei ungefähr drei Vierteln wurde über eine Besserung der Symptomatik durch Cannabisarzneimittel berichtet. Bei einem Drittel wurde die Therapie vor Ablauf eines Jahres abgebrochen, hauptsächlich aufgrund fehlender Wirkung (38,5%), aber auch aufgrund von Nebenwirkungen (25,9%) sowie Tod (20,2%). Bei 70% wurde über eine Verbesserung der Lebensqualität berichtet.

Ergebnisse zur Behandlung mit Cannabisblüten unterschieden sich von denen mit anderen Cannabisarzneimitteln: Die Patienten waren jünger (im Durchschnitt 45,5 Jahre) und mehr als zwei Drittel waren Männer. Sie bewerteten den Therapieerfolg grundsätzlich als besser, brachen die Therapie seltener ab und gaben seltener Nebenwirkungen an. Lediglich die Nebenwirkung „euphorisierende Wirkung“ wird dreimal häufiger angegeben als bei den anderen Cannabisarzneimitteln. Das BfArM weist daraufhin, dass die verordnenden Ärzte bei der Therapieplanung mit Cannabisblüten angesichts der sehr hohen THC-Dosen, die weit über jeglicher Dosierungsempfehlung liegen, dem hohen Anteil von Männern und dem niedrigen Durchschnittsalter die Gefahr von Missbrauch und Abhängigkeit stärker beachten sollten.

Art und Häufigkeit der Nebenwirkungen der Cannabisarzneimittel entsprachen weitgehend denen, die von den Fertigarzneimitteln (u.a. Sativex®, Canemes®) in zugelassenen Indikationen bekannt sind. Sie traten häufig auf. Angaben zur Schwere der Nebenwirkungen wurden in der Begleiterhebung nicht gemacht. Da sie nur selten zum Abbruch der Behandlung führten, vermuten die Autoren, dass sie in der Regel nicht schwerwiegend waren. Weil viele der häufigen Nebenwirkungen die Vigilanz betreffen, können sie für die Betroffenen trotzdem äußerst relevant sein. Sehr häufig wurde über Müdigkeit berichtet, die teils bis zur Lethargie reichte. Auch die als häufig beschriebenen Nebenwirkungen, wie Schwindel, Gleichgewichts-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie verschwommenes Sehen und Desorientierung, können die Teilnahme am üblichen sozialen Leben einschränken. Insbesondere bei älteren Patienten ist auch die Sturzgefahr zu beachten. Gelegentlich traten psychotische Symptome auf, wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Sinnestäuschungen, aber auch Angst und Panikattacken. Zu den selten dokumentierten Nebenwirkungen gehören Albträume und aggressives Verhalten. Teils als gewünschte Nebenwirkungen wurden häufig auch Appetitsteigerung, Gewichtszunahme und euphorische Stimmung berichtet. Nebenwirkungen traten bei Frauen häufiger auf als bei Männern.

Das BfArM weist darauf hin, dass die Daten der Begleiterhebung klinische Studien nicht ersetzen können, sieht jedoch eine wertvolle Grundlage für deren Planung und Durchführung. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soll auf der Grundlage der Ergebnisse der Begleiterhebung Details für die ambulante Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Cannabisarzneimitteln regeln und festlegen, für welche Indikationen Cannabis erstattungsfähig bleibt. Ein entsprechender Beschluss sollte eigentlich bis Ende September 2022 verabschiedet werden, steht aber aktuell noch aus.

Fazit

Die nicht-interventionelle Begleiterhebung des BfArM zu Cannabisarzneimitteln in nicht zugelassenen Indikationen zeigt, dass sie häufig zur Behandlung von Schmerzen eingesetzt werden. Nebenwirkungen sind häufig, aber wohl meist eher leichterer Natur. Für die Betroffenen können sie trotzdem sehr relevant sein, weil sie oft die Vigilanz betreffen. Kontrollierte Studien sind notwendig, um die Sicherheit und Wirksamkeit der Arzneimittel beurteilen zu können und sollten auch die Grundlage für die Entscheidung über mögliche Kassenleistungen bilden.

Literatur

  1. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2017/maerz/cannabis-als-medizin-inkrafttreten.html (Link zur Quelle)
  2. AMB 2020, 54, 92DB01. AMB 2015, 49, 41. AMB 2012, 46, 55. (Link zur Quelle)
  3. www.bfarm.de/cannabis-begleiterhebung (Link zur Quelle)
  4. https://www.bfarm.de/DE/Aktuelles/Publikationen/Bulletin/Ausgaben/2022/3-2022.html;jsessionid=453BFA801C8D82DA99430B9BA84AFA97.intranet262 (Link zur Quelle)