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Der Hype um Cannabidiol

Immer mehr Kranke und Gesunde experimentieren mit Cannabidiol (CBD)-haltigen Ölen, Kapseln, Salben, Aromen, Kaugummis, e-liquids für E-Zigaretten oder Kosmetika. Überall schießen CBD-Automaten und Hanfshops aus dem Boden, und es gibt kaum eine günstige Wirkung, die dieser mysteriösen Substanz nicht zugesprochen wird.

Es gibt mehrere Unterarten und Hybride von Cannabis sativa. Diese unterscheiden sich nicht nur in ihrer geographischen Verteilung, sondern auch in ihrem Phänotyp und der Konzentration ihrer Inhaltsstoffe. In Hanfgewächsen finden sich > 450 Inhaltsstoffe, darunter > 100 Cannabinoide. Die zwei bedeutsamsten sind das berauschende Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC), das in hohen Konzentrationen in den weiblichen Blüten v.a. des indischen Hanfs vorkommt (Cannabis indica) und das mengenmäßig überwiegende CBD. Im Gegensatz zu THC besitzt CBD keine berauschende Wirkung, auch nicht in hohen Dosen. Der Hype um CBD dürfte wohl auch daher rühren, dass viele Anwender unwissend sind und zwischen CBD und THC nicht unterscheiden können.

Bei der Herstellung von Hanfprodukten wird zwischen Medizinalhanf und Nutzhanf für Stoffe, Seile, Dämmmaterial, Speiseöle u.v.m unterschieden. Medizinalhanf zeichnet sich durch einen hohen THC-Gehalt aus. Anbau, Ernte, Verarbeitung, Qualitätsprüfung, Lagerung, Verpackung sowie die Abgabe sind gesetzlich geregelt und wird in Deutschland durch die sog. Cannabisagentur im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) kontrolliert (1). Über die medizinische Anwendung von Cannabis, THC und seine synthetischen Derivate haben wir berichtet (vgl. 2).

CBD ist das dominierende Cannabinoid im Nutzhanf. Es wird als Nahrungsergänzungsmittel (Definition: Lebensmittel-Produkt zur ergänzenden Versorgung des menschlichen Stoffwechsels mit Nährstoffen wie Vitaminen oder Mineralstoffen), als Lebensmittel oder Aromastoff vertrieben. Obwohl CBD auch chemisch synthetisiert werden kann, wird es von den meisten Herstellern aus der Pflanze extrahiert. Ein CBD-Produkt kann und darf Rückstände von THC enthalten, in Deutschland maximal 0,2% bzw. in Österreich 0,3%. Anderenfalls unterliegen die CBD-Produkte dem Betäubungs- bzw. Suchtmittelgesetz.

Seit 2011 gibt es CBD auch als rezeptpflichtiges Arzneimittel (s.u.), was die Abgrenzung zwischen Medizinal- und Nutzhanf zunehmend schwierig macht. CBD interagiert mit dem körpereigenen Endocannabinoid-System. Es bindet an die CB1- und CB2-Rezeptoren und hat antagonistische und agonistische Wirkungen (3). Experimentelle und klinische Daten weisen darauf hin, dass CBD angstlösend und antipsychotisch wirkt. Außerdem wurden günstige Effekte bei Suchterkrankungen sowie Epilepsie bei Kindern nachgewiesen. CBD wird auch zur Behandlung von chronischen Schmerzen (z.B. Fibromyalgie), Schlafstörungen, Entzündungen, Appetitmangel und Depressionen getestet.

Eine Zulassung als Arzneimittel hat CBD für 2 Indikationen, zum einen als Orphan Drug (Epidyolex®) bei Kindern ab 2 Jahren mit Lennox-Gastaut- oder Dravet-Syndrom, zwei schweren Formen der kindlichen Epilepsie. Es ist als Ko-Antikonvulsivum mit Clobazam zu verordnen (4). In den für die Zulassung relevanten Studien war der Anteil der Responder (Patienten, deren Anfallshäufigkeit um mindestens 50% abgenommen hatte) nach 14 Wochen in den CBD-Gruppen signifikant höher als mit Plazebo (55,6% vs. 36,6%). Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sah 2019 „Anhaltspunkte für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen“ (5). Die Erhaltungsdosis von Epidyolex® beträgt 10 mg/kg/d. Ein Fläschchen mit 100 ml (100 mg/ml) kostet derzeit laut Gelber Liste knapp 1.400 €; der Preis pro Milligramm beträgt somit 0,14 € (6).

Das zweite zugelassene Arzneimittel mit dem Wirkstoff CBD ist das Mischpräparat Nabiximols (Sativex®). Nabiximols enthält CBD und THC und wurde 2011 zur Linderung von Symptomen bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik bei Multipler Sklerose zugelassen, ebenfalls nur als Zusatzbehandlung (7). Der G-BA sah 2018 „Hinweise auf einen geringen Zusatznutzen gegenüber einer optimierten Standardtherapie mit Baclofen oder Tizanidin oder Dantrolen“ (8). Ein Milliliter eines Sprays zur Anwendung in der Mundhöhle enthält 25 mg CBD und 27 mg THC. Derzeit werden laut Gelber Liste 3 Fläschchen mit je 10 ml für 345 € verkauft; der Preis pro Milligramm beträgt somit 0,46 € (7).

Kürzlich ist ein Systematischer Review zu weiteren (Off-label-) Indikationen von CBD erschienen (9). Darin wurden 25 Studien eingeschlossen, 22 kontrollierte (davon 20 RCTs) und 3 unkontrollierte; die Patientenzahl lag zwischen 10 und 88. Die geprüften Indikationen waren: Angststörungen, Psychosen, Cannabis- und Nikotinabhängigkeit, Typ-2-Diabetes, Hyperlipidämien und chronisch entzündliche Darmerkrankungen. In den meisten dieser Studien wurde eine reine Form von CBD in Kapseln und mit Einzeldosen von 150-900 mg geprüft. Eine Anwendung als sublinguales Öl oder mittels Verdampfung gab es kaum. Hinweise auf positive Wirkungen wurden bei Angstzuständen, Schizophrenie und Tabakabhängigkeit gefunden. Keine oder und nur geringfügige Wirksamkeit bei den Indikationen Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Dyslipidämie und Cannabiskonsum. Die Ergebnisse wurden nach dem „Risk-of-Bias-Tool“ von Cochrane überwiegend als sehr störanfällig bewertet, bedingt v.a. durch die kleinen Patientenzahlen, selektive Berichterstattung der Ergebnisse und unzureichende Randomisierung und Verblindung. Eine abgeschlossene plazebokontrollierte Studie mit reinem CBD bei chronischen Schmerzen ist in Pubmed nicht zu finden, nur Studien mit THC-haltigen Mischpräparaten. Somit gilt zur Therapie mit Cannabinoiden auch 2020 die Überschrift aus dem Deutschen Ärzteblatt: „Viel Erfahrung, wenig Evidenz“ (10).

Die wichtigsten Nebenwirkungen dieser geprüften und rezeptpflichtigen CBD-haltigen Medikamente sind dosisabhängige Erhöhungen der Transaminasen, Magen-Darm-Störungen (Durchfall und Appetitlosigkeit) und Hautausschlag. Darüber hinaus wurden auch neuropsychiatrische Störungen wie Schläfrigkeit und vermehrt Suizidgedanken beschrieben. Das Risiko von Missbrauch und Sucht wird als gering eingeschätzt. Es besteht ein erhöhtes Potenzial für pharmakokinetische Wechselwirkungen über das Zytochrom(CYP2C19)- und das Uridin-5′-diphospho-glucuronosyltransferase-System (Glukuronidierung; 3).

Der mit Abstand größte Teil der CBD-Präparate geht jedoch nicht als Arzneimittel, sondern als Lebensmittel oder Aromastoff über den Tresen. Diese Produkte unterliegen nicht der Arzneimittelaufsicht. Sie dürfen auch nicht mit Heilsversprechungen beworben werden. Meist handelt es sich um Öle mit alkoholischen Auszügen und CBD-Konzentrationen zwischen 5 und 25%. Die Preise für ein 10 ml-Fläschchen mit 500-2.500 mg CBD liegen zwischen 35 und 85 €, entsprechend 0,03-0,07 € pro Milligramm. Nicht eruiert werden kann, wie groß der Jahresumsatz mit CBD-Produkten hierzulande mittlerweile ist. Es gibt Schätzungen aus Großbritannien, wonach einer von 10 Briten bereits Erfahrungen mit CBD gemacht hat und dass der Jahresumsatz mit > 300 Mio. ₤ den von Vitamin D- und C-Präparaten längst überflügelt hat (11).

In einer aktuell publizierten Übersichtsarbeit aus dem King’s College in London zu den unzähligen „Over-the-Counter“-Präparaten (11) wird darauf hingewiesen, dass die meisten dieser Produkte Mischextrakte sind und weitere Pflanzenbestandteile enthalten wie Cannabigerol, Cannabinol, Terpenoide, Linalool und auch Rückstände von Pestiziden. Die Deklaration der Inhalte sei meist unzureichend und die Angaben zum CBD-Gehalt ungenau. Daher sollten diese Produkte nach Ansicht der Autoren auch besser als „Cannabis-based medicine extracts“ (CBMEs) bezeichnet werden. Die bei diesen Produkten üblicherweise empfohlenen Tagesdosen (5-20 mg) liegen mehr als eine Zehnerpotenz unter denen, die in den klinischen Studien verwendet werden. Daher sind relevante pharmakologische Effekte kaum zu erwarten.

Fazit: Der Hype um Cannabidiol (CBD) ist irrational. Obwohl ein enormes Verbraucherinteresse besteht, gibt es kaum Hinweise darauf, dass die vielen nicht als Arzneimittel zugelassenen Produkte eine relevante pharmakologische Wirksamkeit haben und irgendwelche gesundheitlichen Vorteile bieten, die über den Plazeboeffekt hinausgehen. Zudem ist der Inhalt der Produkte meist diffus und unzureichend deklariert und der Preis für den Extrakt aus einer uralten und mit dem Hopfen verwandten heimischen Kulturpflanze unangemessen hoch.

Literatur

  1. https://www.bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle/ Cannabis/Cannabisagentur/_node.html Link zur Quelle
  2. AMB 2015, 49, 41. Link zur Quelle
  3. Urits, I., et al.: Best Pract. Clin. Anaesthesiol. 2020, 34, 463. Link zur Quelle
  4. European Public Assessment Report (EPAR; 4.10.2019) zu Epidyolex: Link zur Quelle
  5. Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Cannabidiol vom 2.4.2020: Link zur Quelle
  6. Gelbe Liste: Link zur Quelle
  7. Gelbe Liste: Link zur Quelle
  8. Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Sativex vom 1.11.2018: Link zur Quelle
  9. Larsen, C., und Shahinas, J.: J. Clin. Med. Res. 2020, 3, 129. Link zur Quelle
  10. Grunert, D.: Dtsch. Arztebl. 2018, 115, [24]. Link zur Quelle
  11. Chesney, E., et al.: Ther. Adv. Psychopharmacol. 2020, 10, 2045125320954992. Link zur Quelle