Die dekompensierte Herzinsuffizienz kann sich mit Lungenstauung, Pleuraergüssen, Aszites und/oder Beinödemen manifestieren und ist ein sehr häufiger Grund für stationäre Aufnahmen. Amerikanische [1] und europäische Leitlinien [2] sowie die Nationale Versorgungsleitlinie zur chronischen Herzinsuffizienz [3] thematisieren die komplexe Stufentherapie im Detail. Wir haben mehrfach darüber berichtet [4].
Zur Rekompensation werden Schleifendiuretika wie Furosemid eingesetzt. Furosemid wirkt am Natrium-Kalium-2Chlorid-Cotransportsystem im aufsteigenden Teil der Henleschen-Schleife und hemmt hier kompetitiv den Chloridtransport und indirekt die Natrium- und Kalium- und Wasser-Rückresorption. In Kombination mit einem Thiazid-Diuretikum, das am distalen Tubulus die Rückresorption von Natrium und Wasser vermindert, können additive diuretische Effekte therapeutisch genutzt werden, bekannt als „sequenzielle Nephronblockade“. Auch die Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonisten (MRA) Spironolacton und Eplerenon entfalten hier ihre Wirkung [5]. Studienergebnissen zufolge sind nur 15% der Patienten mit kardialer Dekompensation bei Entlassung vollständig rekompensiert, ein Indiz für eine insgesamt ungünstige Prognose [6].
Im N. Engl. J. Med. wurde zu dieser Thematik jetzt die ADVOR-Studie veröffentlicht [7], begleitet von einem Editorial [8]. Acetazolamid (AAA) ist ein Carboanhydrase-Inhibitor, der die Rückresorption von Natrium und Bikarbonat-Ionen im proximalen Tubulus hemmt und so zu einer Natrium- und Wasserdiurese führt [9]. AAA ist etabliert in der Therapie von Höhenkrankheit und Glaukom.
Studiendesign: In einer randomisierten plazebokontrollierten doppelblinden Multicenterstudie wurden Patienten mit akuter kardialer Dekompensation eingeschlossen, die seit wenigstens einem Monat vor Randomisierung mindestens 40, maximal 80 mg/d Furosemid oder 20 mg/d Torasemid eingenommen hatten und deren Natriuretisches Peptid Typ B (NTproBNP) bei > 1000 pg/ml oder ein B-Typ Natriuretisches Peptid (BNP) bei > 250 pg/ml lag. Zu den Ausschlußkriterien zählten u.a. eine Behandlung mit einem anderen Diuretikum, das am proximalen Tubulus ansetzt, inklusive einem anderen „sodium-glucose cotransporter 2“(SGLT2)-Inhibitor, ein systolischer RR < 90 mm Hg sowie eine glomeruläre Filtrationsrate (GFR) < 20 ml/min/1,73 m2.
Die Teilnehmer wurden 1:1 randomisiert entweder in 500 mg AAA einmal täglich i.v. oder Plazebo, jeweils in Kombination mit einem Schleifendiuretikum. Die Behandlung wurde über mindestens 2 Tage durchgeführt, ggf. länger bis zur Rekompensation, wobei minimale residuale Beinödeme toleriert wurden. Orale Schleifendiuretika wurden abgesetzt und als i.v. Therapie in der doppelten der bisherigen Erhaltungsdosis fortgeführt. Die erste Dosis der Studienmedikation wurde sofort nach Randomisierung gegeben, die zweite und dritte jeweils in zwei halben Dosen im Abstand von mindestens 6 Stunden. Alle Patienten erhielten während der diuretischen Behandlungsperiode eine Infusion mit 500 ml Glukose 5% und 3 g Magnesiumsulfat über 24 Stunden täglich. ACE-Hemmer oder AT-II-Hemmer, Betablocker und MRA sollten als leitliniengerechte Basistherapie der Herzinsuffizienz bei allen unverändert beibehalten werden [2], [3].
Wurden innerhalb von 48 Stunden nach der ersten Dosis < 3,5 l Urin ausgeschieden bei anhaltender Überwässerung, wurde die Dosis von AAA bzw. Plazebo nach Protokoll erhöht. Hierzu wurde täglich ein Dekompensations-Score (0-10 Punkte; je höher, desto ausgeprägter die Dekompensation) ermittelt zur Dosisfindung während der Akutbehandlung sowie bei Entlassung und im Verlauf von 3 Monaten.
Primärer Studienendpunkt war die kardiale Rekompensation, d.h. fehlende Zeichen einer Überwässerung innerhalb der ersten 3 Tage seit Therapiebeginn ohne Notwendigkeit einer Therapieeskalation. Sekundäre Endpunkte waren zusammengesetzt aus Tod jeder Ursache, Rehospitalisierung wegen Herzinsuffizienz innerhalb von 3 Monaten und Zahl der Tage bis zur Entlassung. Die Studie wurde aus öffentlichen Mitteln des Belgischen Gesundheitswesens finanziert; nur Patienten aus Belgien haben an der Studie teilgenommen.
Ergebnisse: Zwischen 2018 und Januar 2022 wurden von 2.915 gescreenten Patienten 519 randomisiert; mittleres Alter 78 Jahre, 63% Männer; 43,2 % hatten eine linksventrikuläre Auswurffraktion (LVEF) ≤ 40%. In NYHA-Klasse II waren 12,7%, in Klasse III 57,0% und 30,3% in Klasse IV. Der mediane NT-proBNP-Spiegel betrug bei Studienbeginn 6.173 pg/ml, der mediane Dekompensations-Score 4. Die mittlere Diuretikadosis bei Randomisierung betrug 80 mg/d Furosemid im AAA- und 60 mg/d im Plazebo-Kollektiv.
Ausgewertet wurden 256 Patienten mit AAA und 259 mit Plazebo. Innerhalb von 3 Tagen konnten 108 (42,2%) mit AAA rekompensiert werden und 79 (30,5%) mit Plazebo (Risk Ratio = RR: 1,46; 95%-Konfidenzinterval = CI: 1,17-1,82; p < 0,001). Unter AAA nahm der Dekompensations-Score schneller ab als unter Plazebo, und signifikant mehr Patienten waren vollständig rekompensiert ohne Residualödeme (78,8% vs. 62,5%; RR: 1,27; CI: 1,13-1,43). AAA war effizienter bei den Patienten, die ambulant weniger als 60 mg/d Furosemid eingenommen hatten. Die Verweildauer im Krankenhaus war im Mittel unter AAA um einen Tag kürzer (8,8 vs. 9,9 Tage). Unter AAA wurden größere Urinmengen (im Mittel 4,6 l vs. 4,1 l) und mehr Natrium (468 vs. 369 mmol) ausgeschieden als unter Plazebo [10].
Tod gleich welcher Ursache oder Rehospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz innerhalb von 3 Monaten (= sekundärer Endpunkt) waren in beiden Kollektiven etwa gleich häufig: 29,7% unter AAA und 27,8% unter Plazebo (Hazard Ratio = HR: 1,07; CI: 0,78-1,48) und deutlich geringer als in zwei ähnlichen früheren Studien: 50% nach 60 Tagen in DOSE-AHF [6] und 40% nach 60 Tagen in CARRESS-HF [11].
Eine Verschlechterung der Nierenfunktion, Hypokaliämie und Hypotension waren in beiden Kollektiven etwa gleich häufig; es gab keine schwerere metabolische Azidose. Das galt auch für Subgruppen mit höherem Dekompensations-Score, geringerer eGFR und höherem NT-proBNP. Die spezifische Herzinsuffizienz-Therapie konnte nach Rekompensation bei den meisten Patienten intensiviert werden als Ausdruck einer verbesserten Hämodynamik.
Der Autor des begleitenden Editorials [8] sieht für die große Gruppe von Herzinsuffizienz-Patienten mit Diuretika-Resistenz oder solchen, die initial unzureichend auf eine Schleifendiuretika-Behandlung ansprechen, in AAA eine sinnvolle Ergänzung, um eine schnellere Rekompensation zu erzielen. Als Mangel sieht er an, dass Patienten unter SGLT2-Hemmern ausgeschlossen wurden. SGLT2-Hemmer werden jedoch in den aktuellen Leitlinien zur Herzinsuffizienztherapie bei eingeschränkter Pumpfunktion befürwortet und zunehmend häufig verordnet ([2], vgl. [4], [12]). SGLT2-Hemmer steigern wie AAA die Natriurese und Diurese durch ihre Wirkung am proximalen Tubulus [10], beeinflussen aber nur 5% der Natrium-Rückresorption gegenüber 60% Hemmung der Rückresorption von Natrium und Bikarbonat durch AAA [13].