Das Delir ist definiert als eine akute Aufmerksamkeits- und Bewusstseinsstörung, die besonders häufig im Zusammenhang mit schweren Erkrankungen oder unter Therapie mit Sedativa auftritt und zu bleibenden kognitiven Störungen führen kann (vgl. [1]). Man unterscheidet ein hyper- und hypoaktives Delir. Etwa 30-50% aller Patienten auf Intensivstationen (ICU) sind mehr oder weniger schwer davon betroffen. Es ist mit erhöhter Morbidität und Letalität assoziiert ([2], [3]) und führt zu hohen zusätzlichen Kosten. Wichtigste Maßnahme ist die Prävention des Delirs u.a. durch: Vermeiden von zu starker Sedierung, Reduktion von Stress, Einhalten des Tag-Nacht-Rhythmus, frühe Mobilisation und adäquate Ansprache.
Etwa die Hälfte der Patienten mit Delir wird mit antipsychotisch wirkenden Neuroleptika, häufig Haloperidol (H.), behandelt [4], obwohl dafür die Daten aus Studien für dessen Wirksamkeit unzureichend sind, es an plazebokontrollierten Studien mangelt [5] und es keine Empfehlungen in den Leitlinien gibt ([6], [7]).
Eine Studie mit H. bzw. Ziprasidon (einem atypischen Neuroleptikum mit etwas besserer Verträglichkeit als H.) vs. Plazebo zur Therapie [8] sowie zwei Metaanalysen zur Prävention [9] und zur Therapie [10] des Delirs mit H. zeigten, dass der Verlauf auf der Intensivstation und das Überleben nicht verbessert wird. Dennoch wird H. häufig bei deliranten Patienten eingesetzt, die gefährdet sind, sich und andere Personen zu verletzen. Auch wenn neuere atypische Neuroleptika, wie Risperidon oder Ziprasidon, ein günstigeres Nebenwirkungsprofil als H. haben, sollten sie nur mit großer Zurückhaltung eingesetzt werden.
Jetzt wurde in der verblindeten plazebokontrollierten AID-ICU-Studie [11] der Einfluss von H. i.v. bei Intensivpatienten mit Delir auf das Überleben untersucht. Die Studie wurde aus öffentlichen Mitteln finanziert.
Studiendesign: An 16 europäischen Zentren mit nicht spezialisierter ICU wurden Teilnehmer von 2018 bis April 2022 rekrutiert. Die Zustimmung der meist nicht einwilligungsfähigen Patienten erfolgte unter der Prämisse einer Notfallmaßnahme und stand unter dem Schutz eines von der Studie unabhängigen Facharztes, der bei Einschluss konsiliarisch hinzugezogen werden musste. Nach Randomisierung wurde für die weitere Therapie eine Einwilligung der Angehörigen oder des gesetzlichen Vertreters eingeholt; nach klinischer Besserung konnten die Teilnehmer dem Einschluss persönlich zustimmen. Wurde dieser Einwilligung widersprochen, wurde der Proband und seine Daten aus dem Kollektiv rückwirkend ausgeschlossen.
Insgesamt nahmen 1.000 Patienten im Alter ≥ 18 Jahre teil, die akut auf eine ICU aufgenommen worden waren und die bei Aufnahme oder im weiteren Verlauf auf der ICU als delirant eingestuft wurden. Sie waren mit gängigen Screening-Tests wie der „Intensive Care Delirium Screening Checklist“ (ICDSC) evaluiert worden, wobei ein ICDSC-Score ≥ 4 auf einer Skala von 0 bis 8 als Delir eingestuft wurde. Die Testungen erfolgten mindestens zweimal täglich durch das betreuende ICU-Personal.
Alle als delirant eingestuften Patienten wurden 1:1 randomisiert für eine dreimal tägliche i.v. Injektion von H. 2,5 mg/0,5 ml oder einer 0,9%igen NaCl-Lösung als Plazebo. Nach Ermessen des betreuenden Arztes konnte die Dosis bis auf 20 mg H./d rsp. 4 ml Plazebo gesteigert werden. Andere Antipsychotika waren nicht erlaubt. Bei nicht beherrschbarem Delir konnte als Notfallmaßnahme das Injektionsanästhetikum Propofol, ein Benzodiazepin oder ein Alpha-2-Agonist wie Clonidin gespritzt werden. Bei zwei unauffälligen Screening-Tests am selben Tag galt das Delir als abgeklungen. Primärer Studienendpunkt war die Zahl der überlebten Tage innerhalb von 90 Tagen sowie Tod und Länge des stationären Aufenthalts. Sekundäre Endpunkte war die Zahl der überlebten Tage ohne Delir oder Koma nach 90 Tagen, definiert nach klassischen Scores, die Zahl der Tage ohne invasive Beatmung, die Zahl der Patienten mit schweren H.-assoziierten Nebenwirkungen, die Zahl derer mit antideliranter Notfallmedikation und die Zahl der Tage im Delir. In der komplexen statistischen Auswertung wurden Faktoren berücksichtigt, die häufig mit einem Delir assoziiert sind, wie Schädel-Hirn-Trauma, Schlaganfall, Erkrankungen des Gehirns, neurodegenerative Erkrankungen, Alkohol- oder Substanzmissbrauch, Benzodiazepin- oder Tabakkonsum, H.-Einnahme vor Aufnahme auf die ICU sowie ein individuell berechnetes 90-Tage-Letalitätsrisiko.
Ergebnisse: Von den 1.000 Patienten waren zwei Drittel aus internistischer und ein Drittel aus chirurgischer Ursache auf der ICU; 63% waren invasiv beatmet worden. Für die Behandlung mit H. wurden 510 randomisiert und für Plazebo 490; 13 wurden im Verlauf ausgeschlossen, 9 davon aus der H.-Gruppe. Fast alle Teilnehmer konnten für den primären und sekundären Endpunkt ausgewertet werden. Das hypoaktive Delir war etwas häufiger als das hyperaktive (55% vs. 45%) bei ansonsten etwa gleichen Basischarakteristika der Teilnehmer. Während der 90 Tage erhielten die beiden Kollektive die fast gleiche Menge der Studienmedikation. Die kumulative H.-Dosis betrug im Median 8,3 mg über 3,6 Tage. In beiden Kollektiven erhielten 13% andere Antipsychotika, meist nach zurückgezogener Einwilligung. Nach 90 Tagen betrug die Zahl der überlebten Tage außerhalb des Krankenhauses im Mittel 35,8 unter H. (95%-Konfidenzintervall = CI: 32,9-38,6) und 32,9 (CI: 29,9-35,8) unter Plazebo; die adjustierte mittlere Differenz von 2,9 Tagen war statistisch nicht signifikant (CI: -1,2 bis 7,0; p = 0,22). Nach 90 Tagen waren 182 Patienten unter H. (36,3%) und 210 unter Plazebo (43,3%) gestorben; adjustierte absolute Differenz: -6,9 Prozentpunkte (CI: -13,0 bis -0,6). In weiteren Analysen konnte für keine Subgruppe ein Vorteil von H. belegt werden. Weder die Dauer des stationären Aufenthalts noch die Zahl der überlebten Tage ohne Delir oder Koma oder die Zahl der Tage ohne mechanische Beatmung unterschieden sich signifikant. Fixierungsmaßnahmen wurden bei 9 Patienten (1,9%) unter H. und bei 10 (2,1%) in der Plazebogruppe angewendet Immerhin war auch die Zahl der Patienten mit schweren unerwünschten Ereignissen etwa gleich (11 unter H. vs. 9 unter Plazebo).
Ein verlängertes QTc-Intervall im EKG wurde bei 2,4% der Patienten unter H. und bei 1,4% unter Plazebo registriert. Wegen des Risikos für bedrohliche Herzrhythmusstörungen wurden sie von der Studie ausgeschlossen.