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Weniger mit Vorhofflimmern assoziierte Schlaganfälle seit Einführung der direkten oralen Antikoagulanzien? Epidemiologische Daten aus Schweden [CME]

Obwohl Inzidenz und Prävalenz von Vorhofflimmern (Vofli) zunehmen, ist die „altersstandardisierte“ Inzidenz des ischämischen Schlaganfalls in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Ländern mit hohem Einkommen stetig rückläufig (vgl. [1], [2], [3], [4]). „Altersstandardisierte“ Inzidenz heißt hier: bezogen auf die Altersstruktur einer vorgegebenen Modellbevölkerung und somit bereinigt um den Einfluss davon abweichender bzw. sich ändernder Altersstrukturen. Die abnehmende Tendenz zeigt sich allerdings wegen des demographisch zunehmenden Anteils alter Menschen nicht überall bei den absoluten Zahlen zum Schlaganfall [5]. Mit diesen epidemiologischen Entwicklungen befasst sich eine aktuell in Lancet publizierte große bevölkerungsbasierte Studie aus Schweden anhand von Gesundheitsdaten der gesamten schwedischen Bevölkerung im Alter ≥ 70 Jahre [6]. Es handelt sich um eine Kooperation des Karolinska Instituts, Stockholm, und des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, Rostock. Sie wurde unterstützt vom „Swedish Research Council“ und der schwedischen „Loo and Hans Osterman Foundation“.

Methodik: Grundlage für die Analysen waren das Nationale Patientenregister (Diagnose-Codes bei Krankenhaus-Entlassung), Arzneimittel-Verschreibungsdaten (eingelöste Rezepte) und das Todesursachenregister. Die Studie analysierte 3 unterschiedliche Fragen zur Inzidenz von Schlaganfällen:

  1. Die Gesamt-Schlaganfall-Inzidenz sowie die mit Vofli assoziierte Schlaganfall-Inzidenz in den Jahren 2001 bis 2020 (beides altersstandardisiert). Als Vofli-assoziierter Schlaganfall wurde jeder erstmalige Schlaganfall definiert, wenn Vofli im Zeitraum von 5 Jahren vor bis 2 Monate nach dem Ereignis diagnostiziert wurde.
  2. Das Schlaganfallrisiko von Patienten innerhalb von 3 Jahren nach einer Vofli-Erstdiagnose im Vergleich zu Personen ohne Vofli-Diagnose.
  3. Die Beeinflussung der Schlaganfallinzidenz durch direkte orale Antikoagulanzien (DOAK). Ab 2010 wurden DOAK (Apixaban, Dabigatran, Edoxaban, Rivaroxaban) in dieser Indikation sehr rasch und weit verbreitet eingesetzt.

Ergebnisse:

Zu 1. Die altersstandardisierte Gesamt-Inzidenz ischämischer Schlaganfälle sank in der untersuchten Bevölkerungsgruppe kontinuierlich von 2001 bis 2020 von 144 auf 84 pro 10.000 Personenjahre. Die Vofli-assoziierte Schlaganfall-Inzidenz blieb von 2001 bis 2010 zunächst weitgehend konstant (37 vs. 40 pro 10.000 Personenjahre), nahm jedoch danach von 2010 bis 2020 – in etwa parallel zur Gesamt-Schlaganfall-Inzidenz – stetig ab (40 vs. 26 pro 10.000 Personenjahre). Der Anteil von Vofli-assoziierten an den gesamten Schlaganfällen nahm entsprechend von 2001 bis 2010 zu (21% vs. 26%) und blieb danach weitgehend stabil bis 2020 (26% vs. 24%). In Geschlechts- und Alterssubgruppen war der Effekt weitgehend gleich.

Die altersstandardisierte Inzidenz für hämorrhagischen Schlaganfall blieb während des gesamten Zeitraumes 2010 bis 2020 niedrig mit geringer Abnahme (18 vs. 14 pro 10.000 Personenjahre). Bei Patienten mit gleichzeitig bestehendem Vofli lag sie sogar noch niedriger, allerdings mit einem geringen Anstieg 2010 bis 2013 (3 vs. 5 pro 10.000 Personenjahre); danach blieb sie konstant bis 2020.

Zu 2. Das Schlaganfallrisiko innerhalb von 3 Jahren nach Erstdiagnose von Vofli im Vergleich zu Personen ohne Vofli wurde in vier Zeiträumen untersucht (2006-2008; 2009-2011; 2012-2014; 2015-2017). Dieses nahm von einer anfänglichen Hazard Ratio (HR) von 2,39 (95%-Konfidenzintervall = CI: 2,31-2,48) im Zeitraum 2006-2008 kontinuierlich auf eine HR von 1,54 (CI: 1,48-1,61) im Zeitraum 2015-2017 ab (p < 0,0001; statistisch angepasst hinsichtlich multipler Komorbiditäten und anderer potenzieller Störfaktoren wie Alter, Geschlecht, Herzinsuffizienz, KHK, Hypertonie, Diabetes, Gefäß-, Nieren- und Lebererkrankungen). Die Inzidenz von neu diagnostiziertem Vofli nahm gleichzeitig um 15% zu.

Zu 3. Der Anteil der Patienten mit Vofli, die mit irgendeiner Art von Antikoagulation behandelt wurden, stieg nur geringfügig von 83,7% im Zeitraum 2006-2008 auf 87,2% im Zeitraum 2015-2017 an, der Anteil mit DOAK-behandelter Patienten hingegen von 0,1% auf 64,0%. Nach statistischer Anpassung hinsichtlich DOAK-Gebrauch nivellierte sich weitgehend der Unterschied im Schlaganfallrisiko zwischen den Zeiträumen 2006-2008 und 2015-2017, insbesondere in der Altersgruppe der 70-79-Jährigen, als Hinweis auf einen möglichen kausalen Effekt der DOAK bei der Reduktion des Risikos; in der Altersgruppe ≥ 80 Jahre konnte die Risikoreduktion hingegen nur teilweise durch den vermehrten DOAK-Gebrauch erklärt werden.

Diskussion: Von 2001 bis 2010 blieb die Vofli-assoziierte Inzidenz von Schlaganfällen konstant bei gleichzeitig rückläufiger Gesamt-Schlaganfall-Inzidenz. Dies deutet darauf hin, dass während dieser Zeit vor allem in der Primärprävention der nicht mit Vofli assoziierten Schlaganfälle Fortschritte erzielt wurden. Die Bemühungen um eine verbesserte medikamentöse und nicht-medikamentöse Behandlung der klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren dürften sich hier positiv ausgewirkt haben.

Um das Jahr 2010 zeigt dann auch der Verlauf der Vofli-assoziierten Schlaganfall-Inzidenz einen deutlichen Abwärts-Knick – gleichzeitig mit der Markteinführung der damals neuen DOAK, die eine rasche und weit verbreitete Umstellung von Vitamin-K-Antagonisten (VKA) auf DOAK zur Folge hatte. Weitere statistische Analysen weisen darauf hin, dass dabei nicht nur eine zeitliche Koinzidenz, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ein kausaler Zusammenhang vorliegt. Die Studienautoren betonen allerdings, dass auch andere Faktoren zusätzlich eine ursächliche Rolle spielen könnten, wie z.B. eine verbesserte Therapieadhärenz sowohl für VKA als auch für DOAK, eine bessere allgemeine Lebensstilmodifikation, verbesserte rhythmus- und frequenzkontrollierende Faktoren sowie ein verbessertes Risikofaktor-Management bei Patienten mit Vofli. Besonders in der Altersgruppe ≥ 80 Jahre konnte die Risikoreduktion nur noch partiell auf einen DOAK-Effekt zurückgeführt werden.

Obwohl die Inzidenz Vofli-assoziierter Schlaganfälle zwischen 2001 und 2020 deutlich abgenommen hatte, war im Jahr 2020 immer noch knapp ein Viertel (24%) aller Schlaganfälle mit Vofli assoziiert. Es besteht also weiterhin ein deutliches Verbesserungspotenzial in der Schlaganfallprävention bei älteren Patienten mit Vofli.

Wie alle Beobachtungsstudien, die nur auf „Gesundheitsdaten“ basieren, kann auch diese Analyse lediglich eine Assoziation von Vofli und Insultraten und keine Kausalität nachweisen, auch wenn statistisch zahlreiche Komorbiditäten und andere Begleitfaktoren sorgfältig angepasst wurden. Es ist davon auszugehen, dass Krankenhaus-Entlassungsdiagnosen nicht alle Erkrankungen vollständig erfassen, z.B. wenn Vofli nur im Bereich der Primärversorgung diagnostiziert wird und nicht in einer Krankenhausakte aufgeführt wird. Im Laufe des Beobachtungszeitraums von 2001 bis 2020 hat sich zudem das Screening für Vofli in der Bevölkerung und besonders bei Schlaganfallpatienten deutlich intensiviert. Die tatsächliche Inzidenz und Prävalenz von Vofli und damit auch der Anteil von Vofli-assoziierten Schlaganfällen könnte daher besonders während der ersten Jahre der untersuchten Zeitperiode höher liegen als in der Analyse erfasst. Die Ergebnisse gelten selbstverständlich nur für die Altersgruppe ≥ 70 Jahre und nicht für jüngere Patienten mit Vofli und/oder Schlaganfällen. Auch die Anwendbarkeit auf andere Länder muss kritisch beurteilt werden, insbesondere solche mit anderen sozioökonomischen Bedingungen als in Schweden.

Die Stärken der Studie liegen darin, dass sie erstmalig gleichzeitige und aktuelle (bis Ende 2020) Daten zur Inzidenz von Schlaganfällen insgesamt und Vofli-assoziierten Schlaganfällen in einer sehr großen Studienpopulation analysiert.

Fazit

Eine große bevölkerungsbasierte Beobachtungsstudie aus Schweden untersuchte in der Altersgruppe ≥ 70 Jahre den zeitlichen Verlauf der altersstandardisierten Inzidenzen von ischämischem Schlaganfall und mit Vorhofflimmern (Vofli) assoziiertem Schlaganfall von 2001 bis 2020. Trotz zunehmender Inzidenz und Prävalenz von Vofli waren beide Inzidenzen in diesem Zeitraum rückläufig. Die Inzidenz Vofli-assoziierter Schlaganfälle blieb bis etwa 2010 weitgehend konstant, danach zeigte sich ein bis 2020 anhaltender Abwärtstrend parallel zur Gesamt-Schlaganfall-Inzidenz. Statistische Analysen weisen darauf hin, dass dies möglicherweise durch den seit 2010 erheblich gestiegenen Gebrauch von direkten oralen Antikoagulanzien anstelle von Vitamin-K-Antagonisten zu erklären ist. Daneben spielen wohl auch andere, teilweise nur zu vermutende Begleitfaktoren ursächlich eine Rolle. Eine Zunahme von hämorrhagischen Schlaganfällen wurde nicht beobachtet. Auch im Jahr 2020 lag der Anteil der mit Vofli assoziierten Schlaganfälle an der Gesamtzahl der Schlaganfälle noch immer bei knapp einem Viertel.

Literatur

  1. Yafasova, A., et al.: Neurology 2020, 95, e2343. (Link zur Quelle)
  2. Wafa, H.A., et al.: PLoS Med. 2018, 15, e1002669. (Link zur Quelle)
  3. Koton, S., et al. (ARIC = Atherosclerosis Risk In Communities): JAMA 2014, 312, 259. (Link zur Quelle)
  4. Rosengren, A., et al.: Stroke 2013, 44, 2388. (Link zur Quelle)
  5. Linxin, L., et al. (OXVASC = OXford VASCular Study): Stroke 2020, 51, 1372. (Link zur Quelle)
  6. Ding, M., et al.: Lancet Regional Health-Europe 2023. (Link zur Quelle)