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Notfall Klima: Übernehmen wir endlich Verantwortung und handeln, jetzt!

Die Klimakrise ist – wie seit Jahrzehnten prognostiziert – da, und sie wurde durch uns Menschen herbeigeführt. Da gibt es in der Wissenschaft keine zwei Meinungen, so der Physiker und Ozeanograph Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) auf der 130. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Wiesbaden. Der Kongress hatte neben der sog. „Präzisionsmedizin“ den Schwerpunkt Klimakrise und Gesundheit gewählt [1].

Rahmstorf führte in einer großen Plenarsitzung aus, dass die Temperaturen global seit etwa 40 Jahren kontinuierlich ansteigen und Folge des industriellen Umbaus unserer Gesellschaften seit Beginn des 19. Jahrhunderts sind. Das seither emittierte CO2 verweilt hunderte Jahre in der Atmosphäre und erhitzt, zusammen mit anderen Treibhausgasen, die Erde. Das 2015 in Paris vereinbarte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, ist wohl nicht mehr zu erreichen. Die Erderwärmung schreitet voran und macht sich zunehmend mit Extremwetterereignissen bemerkbar [2]. Immer mehr Regionen in der Welt verwüsten oder werden durch steigende Meeresspiegel bedroht. Deshalb ist in absehbarer Zeit mit großen Migrationsbewegungen zu rechnen und Verwerfungen in unseren Gesellschaften. Der Begriff „Notfall“ ist also keine Übertreibung.

Zahlreiche klimabedingte Gesundheitsrisiken: Längst nehmen bei uns die mit Hitze assoziierten Erkrankungen zu. Dazu zählen Nieren-, Lungen- und Herz-Kreislauferkrankungen und in den Sommermonaten Hitzetode unter ganz jungen und sehr alten Menschen. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) sah sich unter dem Eindruck der steigenden Temperaturen im Sommer 2020 gezwungen, eine Leitlinie zu hitzebedingten Gesundheitsstörungen in der hausärztlichen Praxis“ zu erstellen [3]. Durch invasive Arten in Flora und Fauna nehmen aber auch die Allergien zu, und wir erleben immer mehr Infektionserkrankungen, die in unseren Breiten bislang nicht vorkamen ([4], vgl. auch [5]).

Leugnen und Relativieren: Auch die großen Öl- und Gaskonzerne kennen diese Entwicklungen, doch sie streuen wider besseren Wissens systematisch Zweifel aus, um ihre Geschäfte möglichst lange abzusichern. Stefan Rahmstorf zog eine Analogie zu den Tabakkonzernen. Obwohl die Wissenschaft längst erkannt hatte, wie schädlich das Rauchen ist, haben die Konzerne dies in großen Desinformationskampagnen über Jahrzehnte in Zweifel gezogen. Die beauftragten Werbeagenturen agierten nach dem Prinzip „Unser Produkt ist der Zweifel“ („doubt is our product“). Die Öl- und Gaslobbyisten bedienen sich heute derselben Werbeagenturen und verwenden die gleichen Methoden der Desinformation [4]. Da der menschengemachte Klimawandel immer offensichtlicher wird, verlegen sie sich immer mehr darauf, die notwendige Transformation zu relativieren (was nutzt es, wenn wir uns einschränken, die anderen dies aber nicht tun?), einzelne Maßnahmen in Frage zu stellen (Wärmepumpe), Scheinlösungen zu propagieren (Atomkraft, E-Fuels) und die Integrität handelnder Institutionen und Personen anzugreifen. Leider lassen sich auch viele Medien, Journalisten und Politiker vor diesen Karren spannen. So verwundert es nicht, dass immer noch 4 von 10 Deutschen der Meinung sind, die Wissenschaft sei sich beim Klimawandel zumindest hinsichtlich der Ursachen uneinig und deshalb den Notfall nicht als solchen anerkennt.

Mitverursacher Gesundheitssysteme: Etwa 5-6% der Treibhausgase stammen aus dem Gesundheitswesen. Der Anteil ist etwas kleiner als der aus der Landwirtschaft, aber größer als der aus dem weltweiten Flugverkehr. Die meisten Emissionen entstehen bei der Produktion, Verpackung, Lieferung und Entsorgung von Medizinprodukten, so Susanne Balzer, die Sprecherin des Ressorts Klimaschutz und Gesundheit bei der DGIM [1]. Knapp ein Fünftel entfällt auf die Energieversorgung und Emissionen aus den Gesundheitseinrichtungen. So verbraucht z.B. ein Magnetresonanztomographie-Platz im Jahr so viel Energie wie 45 Vierpersonenhaushalte.

Bei diesen Berechnungen gibt es jedoch viele Unbekannte. Denn bislang kennt nur eine von fünf Kliniken in Deutschland ihren CO2-Abdruck. Grüne Produktions- und Lieferketten, ein klimaverträgliches Abfallmanagement oder eine umweltverträgliche Mobilität der Mitarbeitenden sind in den meisten Gesundheitseinrichtungen immer noch ein nachgeordnetes Thema. Das gilt auch für die Arzneimitteltherapie. Klar ist, dass es stark klimaschädliche Medikamente gibt, wie bestimmte Narkosegase oder Dosieraerosole, die heute eigentlich nur noch im Ausnahmefall verwendet werden sollten. Aber entlang der gesamten Produktions- und Lieferkette von Arzneimitteln und bei deren Entsorgung entstehen sehr viele Treibhausgase und andere Umweltbelastungen. Nach Schätzungen sind diese für 20% aller Emissionen im Gesundheitswesen verantwortlich. Eine Erfassung und Kennzeichnung des ökologischen Abdrucks jedes einzelnen Medikaments wären notwendig, um diesen in Therapieentscheidungen mit einfließen lassen zu können.

Womit können wir heute beginnen? Ärztinnen, Ärzte, Apothekerinnen, Apotheker, Pflegende und Angehörige anderer Heilberufe genießen hohes Ansehen und Vertrauen. Sie sollten sich nicht an den Desinformationskampagnen der Lobbygruppen beteiligen und ihre Patienten und ihre Freunde aktiv über die individuellen Möglichkeiten zum Gesundheits- und Klimaschutz informieren.

Zu einer sog. klimasensiblen Gesundheitsberatung zählen:

  1. Aufklärung und Motivation zu einer Ernährungsumstellung im Sinne der „EAT-Lancet Planetary Health Diet“ [6][7]. Es handelt sich dabei um eine pflanzenbasierte Mischkost mit starker Einschränkung von Fleisch (300 g/Woche), Fisch (200 g/Woche) und Zucker (5% des gesamten Energiebedarfs). Diese ist gut für das Individuum und den Planeten.
  2. Aufklärung über Arzneistoffe, die Einfluss auf die Temperaturregulation und den Volumenstatus bei Hitzewellen haben [8] und wie man sich hiervor schützen kann.
  3. Aufklärung über eine klimaverträgliche Mobilität und individuelle Maßnahmen zum Schutz vor der Luftverschmutzung.

Neben dieser Beratung sollten alle im Gesundheitswesen Tätigen mit gutem Beispiel vorangehen. Sie können ihre eigene Praxis optimieren bzw. ihre Arbeitgeber hierzu drängen. Sie sollten sich Gedanken machen, wo Energie und Wege eingespart, Abfall vermieden und was recycelt werden kann. Unnötige Konsultationen, Untersuchungen und Behandlungen sollten vermieden und das Essen bzw. Catering in den Einrichtungen im Sinne der „Planetary Health Diet“ verbessert werden (vgl. [7]). Alle sollten darauf achten, dass die Patienten bzw. Bewohner von Pflegeeinrichtungen besser vor Hitze und Luftverschmutzung geschützt werden, und die Arbeitgeber sollten sich Angebote überlegen, wie die Mobilität der Mitarbeiter klimafreundlicher organisiert werden kann. Detaillierte Informationen finden sich bei KLUG (Deutsche Allianz für Klimawandel und Gesundheit; [9]).

Nur noch ein sehr schmales Zeitfenster: Der Weltklimarat ist überzeugt: Das Zeitfenster, in dem eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für unsere Kinder und Enkel gesichert werden kann, schließt sich rapide (vgl. [10]). Wir können nicht mehr auf die Entscheidungen unserer Regierungen oder die Wirkungen von Zertifikaten und Förderungen warten. Die demokratischen Kräfte müssen konstruktiv zusammenarbeiten, um die weitere Eskalation der Klimakrise zu mildern. Der Klimanotfall ist da, und Notfälle erfordern Übernahme von Verantwortung und sofortiges Handeln.

Literatur

  1. Montags-Pressekonferenz anlässlich des 130. Kongresses der DGIM 2024: (Link zur Quelle)
  2. https://www.spiegel.de/wissenschaft/klimakrise-weniger-tempo-bedeutet-mehr-katastrophen-a-c4ef1dc8-35b1-47f2-8bd3-e01f16cd63b4 (Link zur Quelle)
  3. https://register.awmf.org/assets/guidelines/053-052l_S1_Hitzebedingte-Gesundheitsstoerungen-Hausarztpraxis_2020-09.pdf (Link zur Quelle)
  4. 4. Martin, M.: Dtsch. Arztebl. 2023, 120, A-1080/B-925. (Link zur Quelle)
  5. AMB 2009, 43, 23. (Link zur Quelle)
  6. https://eatforum.org/lancet-commission/healthcare-professionals/ (Link zur Quelle)
  7. https://www.foodboom.de/lesestoff/planetary-health-diet-rezepte (Link zur Quelle)
  8. Heidelberger Hitzetabelle: (Link zur Quelle)
  9. https://planetary-health-academy.de/wp-content/uploads/2021/11/Handout-Nachhaltige-Praxis-inkl-Checkliste_KLUG_final.pdf (Link zur Quelle)
  10. https://www.aerzteblatt.de/archiv/224711/Weltklimarat-Das-Zeitfenster-schliesst-sich (Link zur Quelle)