Weltweit nehmen sowohl der Cannabis-Konsum als auch der Tetrahydrocannabinol (THC)-Gehalt in Cannabisprodukten zu. Der Konsum von Cannabis wird kausal mit dem Auftreten von Psychosen und Schizophrenie in Verbindung gebracht (vgl. [1]). Die WHO geht davon aus, dass ein wöchentlicher Cannabiskonsum mit einem um 35% erhöhten Risiko für die Entwicklung einer psychotischen Störung verbunden ist und ein täglicher Konsum das Risiko um 76% erhöht [2]; auch der THC-Gehalt ist wichtig: je höher, desto gefährlicher ist das für das Gehirn [3].
Kanada war das erste G7-Land, in dem Cannabis legal konsumiert und an Personen ab 19 Jahren verkauft werden durfte. Ziel der Regierung Trudeau war es, durch die Legalisierung im Jahr 2018 den immer größer werdenden illegalen Cannabis-Markt auszutrocknen und die Gesundheit der Bevölkerung, speziell junger Menschen zu schützen. Die Auswirkungen der Legalisierung werden wissenschaftlich begleitet und jährlich im sog. „Canadian Cannabis Survey“ veröffentlicht [4].
Demnach ist der illegale Cannabis-Markt in Kanada tatsächlich deutlich geschrumpft. Es beziehen heute nur noch 3% der Befragten ihr Cannabis aus illegalen Quellen. Die Mehrzahl kauft die Droge bei staatlich lizenzierten Produzenten und Abgabestellen (im Jahr 2023 ca. 2.800) oder pflanzt selbst an. Der kanadische Cannabis-Markt ist dynamisch und „innovativ“; viele der konkurrierenden Produzenten sind börsennotierte Unternehmen. Es verwundert daher auch nicht, dass die großen Alkohol- und Tabakhersteller stark in das Cannabis-Geschäft investieren.
Die Preise für Cannabis sind in den letzten Jahren in Kanada deutlich gesunken, und der THC-Gehalt ist ständig angestiegen. 70% der verkauften Produkte haben einen THC-Gehalt > 20%, einzelne sogar 70%. Das Rauchen verliert an Bedeutung, dafür steigt der Konsum von cannabishaltigen Lebensmitteln, wie Schokolade, Kekse, Fruchtgummis, Öle und Getränke (Anstieg von 43% auf 57%) und das „Vaping“ (von 33% auf 37%; [5]).
Die Zahl der Konsumenten hat sich in Kanada in den letzten 20 Jahren verdreifacht [5]. In den Jahren vor der schrittweisen Legalisierung (1985-2017) lag der Anteil der Kanadier, die bei Umfragen einräumten, gelegentlich Cannabis zu konsumieren (mindestens einmal im zurückliegenden Jahr) bei 7-9%. In den 2010er Jahren – also schon vor der Legalisierung – kam es durch verschiedene Mechanismen zu einem Anstieg auf ca. 15%, und die Diskussion um eine Entkriminalisierung nahm Fahrt auf. Nach der Legalisierung im Jahr 2018 stiegen die Konsumentenzahlen weiter, auf zuletzt 26% der Bevölkerung (28% der Männer und 23% der Frauen). In den Umfragen gaben zuletzt 6% an, täglich oder fast täglich Cannabis zu konsumieren.
Hauptkonsumenten sind Personen zwischen 18-34 Jahren. Unter den Jugendlichen (16-19 Jahre) gaben sogar 41% an, Cannabis zu konsumieren, davon 33% gelegentlich und 8% täglich oder nahezu täglich [5]. Zum Vergleich: der Beauftrage der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen geht davon aus, dass in Deutschland 10% der Erwachsenen und 7,6 % der 12-17-jährigen mindestens einmal im Jahr Cannabis konsumieren [6].
Die gesundheitlichen Folgen der Legalisierung von Cannabis in Kanada und in mehreren Bundesstaaten der USA wurden kürzlich von einer internationalen Gruppe von Suchtexperten bewertet [5]. Die wichtigsten Ergebnisse:
- Die Notfallkonsultationen wegen akuter Cannabis-assoziierter Gesundheitsstörungen („Cannabis Use Disorders“; Abk.: CUD) wie Angst- und Panikattacken, Desorientiertheit, Herzrhythmusstörungen, Übelkeit, Erbrechen oder Intoxikationen, haben schon vor der Legalisierung durch den steigenden illegalen Konsum zugenommen. Nach der Legalisierung nahmen die CUD-Ereignisse zunächst ab, wahrscheinlich weil es noch wenige Verkaufsstellen gab. Mit Zunahme der Verkaufsstellen und den „Innovationen“, haben die Notfallkonsultationen dann wieder deutlich zugenommen;
- Die akuten Cannabis-Vergiftungen von Kindern haben sich in den 2020-Jahren etwa vervierfacht, insbesondere nach der Legalisierung von essbaren Cannabisprodukten;
- Die Angaben zur Zahl der Verkehrsunfälle sind widersprüchlich. Nach Umfragen fahren zumindest in Kanada nun weniger Personen nach Cannabiskonsum mit dem Auto. Dies wird als ein Ergebnis der öffentlichen Diskussion um das Thema angesehen;
- Die Zahl der psychischen Erkrankungen durch Cannabis hat zugenommen. Besonders die Prävalenz von Psychosen steigt (s.u.), was u.a. auch auf den Konsum von Cannabis mit hohem THC-Gehalt zurückgeführt wird;
- Analysen zu den körperlichen Auswirkungen wie Atemwegs-, Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen kommen zu dem Ergebnis, dass Cannabis-Konsum auch das Risiko hierfür erhöht, obwohl die Kausalität unklar ist. Möglicherweise liegt das an der Koinzidenz mit dem Tabakrauchen bei den älteren Konsumenten.
Zur Prävalenz psychischer Erkrankungen nach der Cannabis-Legalisierung ist im JAMA im Februar 2025 eine bevölkerungsbasierte Kohortenstudie aus Ontario/Kanada erschienen [7].
Methodik: Es wurden retrospektiv öffentliche Gesundheitsdaten aus dem „Ontario Health Insurance Plan“ (OHIP; deckt 97% der 14,5 Mio. großen Bevölkerung ab) analysiert hinsichtlich der Inzidenz von Notfallkonsultationen wegen CUD in den letzten 17 Jahren. CUD wurden identifiziert an Hand der ISC-Codes nach ICD-10: F12.X = psychische und Verhaltensstörungen aufgrund des Konsums von Cannabinoiden oder T40.7 = Vergiftung durch Cannabis, einschließlich Derivate; bzw. nach ICD-9: 304.30 = Cannabisabhängigkeit und 305.20 = Cannabismissbrauch. Zudem wurde in der Datenbank nach Neudiagnosen aus dem Schizophrenie-Spektrum gesucht, kodiert nach ICD-10 als F20x oder F25x und nach DSM-IV 295x, einmal bei Personen mit („Fälle“) und ohne („Kontrollen“) CUD-Diagnosen. Hieraus wurden Inzidenzen und die sog. PARFs („population-attributable risk fraction“) berechnet. PARF ist ein epidemiologisches Maß, welches angibt, wie viel Prozent eines Gesundheitsrisikos (z.B. Schizophrenie) in der Bevölkerung auf einen bestimmten Risikofaktor (z.B. Cannabiskonsum) zurückgeführt werden kann. Primärer Studienendpunkt war die PARF für Schizophrenie, sekundärer die PARF für „nicht anderweitig definierte Psychosen“. Diese Diagnose wird häufig verwendet, wenn psychotische Symptome vorliegen, aber noch nicht die vollständigen Kriterien für Schizophrenie erfüllt sind; sie kann als eine Vorstufe der Schizophrenie angesehen werden.
Untersucht wurden Personen im Alter von 14-65 Jahren. Ausgeschlossen waren u.a. Personen, die in den 3 Jahren zuvor nicht durchgängig über OHIP versichert waren und die bereits in den 10 Jahren zuvor die Diagnose Schizophrenie erhalten hatten. Der Erhebungszeitraum lag zwischen dem 1. Januar 2006 und dem 31. Dezember 2022.
Ergebnisse: Insgesamt wurden die Daten von 13,5 Mio. Versicherten ausgewertet (mittleres Alter 39,3 Jahre; 50,1% Männer). Von diesen hatten in den 17 Jahren 118.650 (0,9%) mindestens eine Behandlung mit einer CUD-Diagnose und 91.106 (0,7%) wegen einer Diagnose aus dem Schizophrenie-Spektrum.
Zwischen 2006 und 2022 verfünffachte sich die jährliche alters- und geschlechtsstandardisierte Inzidenz von CUD-Behandlungen (von 99,2 auf 493,2 pro 100.000 Personen). Im gleichen Zeitraum blieb die alters- und geschlechtsstandardisierte Inzidenz von Schizophrenie stabil bei rund 53 pro 100.000 Personen. Allerdings nahm die Inzidenz von Schizophrenie bei jüngeren Personen zu, z.B. in der Kohorte der Männer zwischen 25-44 Jahren von 69,5 auf 81,2 pro 100.000), während sie bei älteren Erwachsenen abnahm. Entsprechend sank auch das Durchschnittsalter bei Ausbruch einer Schizophrenie im Beobachtungszeitraum um 2 Jahre (von 38,8 auf 36,4 Jahre). Die Inzidenz von „nicht anderweitig definierten Psychosen“ stieg dagegen deutlich an, von 33,9 auf 54,3 pro 100.000 (+ 60%).
10.583 von 118.650 Personen mit einer CUD-Diagnose erhielten eine Neudiagnose aus dem Schizophreniespektrum (8,9%) vs. 80.523 von 13,4 Mio. Personen ohne CUD-Diagnose (0,6%). Personen mit Schizophrenie und CUD waren eher männlich (61,0% vs. 50,0%), jünger (mittleres Alter 27,5 vs. 39,4 Jahre), lebten in Wohnquartieren mit niedrigerem Durchschnittseinkommen (28,5% vs. 19,7%) und hatten häufiger keine Migrationsgeschichte (21,4% vs. 8,8%).
Die PARF für eine Schizophrenie im Zusammenhang mit einer CUD-Diagnose (primärer Endpunkt) hat sich von 3,7% in der Zeit vor der Legalisierung kontinuierlich erhöht auf 10,3% nach der schrittweisen Legalisierung. Seit 2019 (sog. Postlegalisierungsphase) ist die PARF am höchsten bei jungen Männern (19-24 Jahre: 18,9%) und am niedrigsten bei Frauen zwischen 45-65 Jahren (1,8%). Das bedeutet, jede fünfte Diagnose Schizophrenie bei jungen Männern wird als Folge von Cannabis-Konsum angesehen. Die PARF für eine Psychose im Zusammenhang mit einer CUD-Diagnose (sekundärer Endpunkt) hat sich von 4,4% in der Zeit vor der Legalisierung auf 11,6% nach der Legalisierung erhöht.
Diskussion: Die Autoren sehen eine bedeutsame Zunahme an Schizophrenie- und Psychose-Erkrankungen im Zusammenhang mit dem zunehmenden Cannabis-Konsum in Kanada in den letzten 20 Jahren. Die Legalisierung und Kommerzialisierung des Cannabis-Markts seien nicht der alleinige, aber doch ein bedeutsamer Treiber dieser negativen Entwicklung. Betroffen von den psychischen Erkrankungen sind besonders Heranwachsende und junge Erwachsene. Für diese (und für ihre Familien) haben die Erkrankungen sehr ernste Auswirkungen.
In ihrem Kommentar [8] nennt Jodi Gilman vom „Center for Addiction Medicine“ der „Harvard Medical School“ die Legalisierung von Cannabis etwas zynisch „ein natürliches Experiment der Bevölkerungs-Exposition gegenüber kommerziellen Cannabis-Märkten“. Die Schaffung solcher, offenbar kaum regulierter Märkte setze viele Menschen einer großen Vielfalt an leicht verfügbaren und hochpotenten Cannabis-Produkten aus. Früher Konsum, häufiger Konsum und der Konsum hochpotenter Produkte erhöhen das Risiko von Psychosen. Somit sind die Leidtragenden dieses Experiments einmal mehr die jungen Menschen.
Sie und die Autoren weisen auf einige wichtige methodische Einschränkungen dieser und ähnlicher Studien hin. Dazu zählen, dass in fast allen Registerstudien mit Versicherungsdaten wichtige Informationen fehlen, etwa zur Dauer, Frequenz und Qualität des konsumierten Cannabis und zu weiteren begünstigenden Faktoren wie familiäre Belastung, weiteren Drogen (Alkohol) oder Komorbiditäten. Dies alles könne theoretisch zu einer Ergebnisverzerrung gegen Null führen. Allerdings ist das wenig wahrscheinlich, da der kausale Zusammenhang seit 40 Jahren aus vielen epidemiologischen Studien bekannt ist.