Artikel herunterladen

Pentasaccharide, eine neue Antikoagulanzien-Familie

Synthetische Pentasaccharide sind neue Antikoagulanzien aus dem Drug-Designer-Labor. Sie ähneln in ihrer molekularen Struktur der Region aus dem Heparin-Molekül, die für die Bindung an Antithrombin III (AT III) verantwortlich ist. Wie die Heparine wirken auch diese Pentasaccharide als Wirkverstärker von AT III. Sie verursachen eine Änderung der Konformation von AT III und potenzieren seine Anti-Faktor-X-Wirkung. Anders als die Heparine wirken diese Pentasaccharide sehr selektiv auf AT III, und Interaktionen mit Thrombin, Faktor IXa, dem Plättchenfaktor 4 und den Thrombozyten, wie sie bei den Heparinen vorkommen, fehlen. Es wird angenommen, daß deshalb weniger unerwünschte Arzneimittelwirkungen auftreten. Insbesondere die Entstehung von Thrombopenien wird als unwahrscheinlich eingeschätzt. Weitere Vorteile werden in der nicht-tierischen Herkunft der Substanzen und in günstigeren pharmakokinetischen Eigenschaften gesehen.

Die Pentasaccharid-Studie ist eine Phase-II-Studie, mit der die klinische Wertigkeit eines Pentasaccharids (Org31540/SR90107A) in der Prävention tiefer Beinvenenthrombosen und Lungenembolien nach Hüftendoprothesen-OP geklärt werden sollte (Turpie, A.G.G., et al.: N. Engl. J. Med. 2001, 344, 619). Die Multizenterstudie wurde an 69 Orten in Nordamerika und Australien durchgeführt und von der Herstellerfirma bezahlt. Innerhalb eines Jahres wurden 933 Patienten eingeschlossen, die eine Totalendoprothese der Hüfte erhielten. Ausschlußkriterien waren u.a. ein Körpergewicht < 45 kg und > 135 kg. Die Patienten wurden in 6 Gruppen randomisiert: 5 Gruppen erhielten in unterschiedlichen Dosierungen Org31540/SR90107A (einmal täglich s.c.) und die Kontroll-Gruppe ein niedermolekulares Heparin (zweimal 30 mg/d Enoxaparin s.c.). Das Pentasaccharid wurde erstmalig 6 Stunden postoperativ injiziert, Enoxaparin erst 12-24 Stunden postoperativ („nach Angaben des Herstellers“). Ob eine präoperative Prophylaxe erfolgte, z.B. mit Heparin in niedriger Dosierung, wird nicht erwähnt. Die Gabe der Prüfsubstanz erfolgte nach der Randomisierung offen. Insgesamt wurden die Antikoagulanzien mindestens 5 und maximal 10 Tage lang gegeben. Die primären Endpunkte waren Thromboembolien (klinischer Verdacht plus Konfirmationstest bzw. beidseitige Phlebographie vor Entlassung) und die Häufigkeit von Blutungskomplikationen. Die Auswertung der klinischen und radiologischen Endpunkte erfolgte durch ein Komitee ohne Kenntnis der jeweils verwendeten Substanz und ihrer Dosierung.

Ergebnisse: Nach 6 bzw. 7 Monaten wurden die beiden Studienarme mit den höchsten Pentasaccharid-Dosierungen (6 mg/d bzw. 8 mg/d) abgebrochen, denn bei 16% bzw. 17% waren größere Blutungen aufgetreten (unter Enoxaparin vergleichsweise nur 3,5%). Letztlich standen 933 Patienten für die Sicherheitsanalyse und 593 für die Wirksamkeitsanalyse zur Verfügung. Die Ergebnisse sind in Tab. 1 dargestellt. Patienten, die mit Org31540/SR90107A behandelt wurden, hatten sowohl in der 1,5-mg- als auch in der 3-mg-Dosierung signifikant weniger thromboembolische Ereignisse (Risikoreduktion – 29% bzw. – 82%). Hier muß jedoch kritisiert werden, daß Enoxaparin unverständlicherweise etwa 6-18 Stunden später als das getestete Pentasaccharid gegeben wurde. Die Häufigkeit von Blutungskomplikationen unter Org31540/SR90107A stieg dosisabhängig. In der 1,5-mg-Dosierung gab es signifikant weniger große Blutungen als unter Enoxaparin. In keiner der Gruppen wurde eine Thrombopenie beobachtet.

Fazit: In dieser Phase-II-Studie fand sich eine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung des getesteten synthetischen Pentasaccharids, sowohl in der Thromboembolieprophylaxe als auch im Hinblick auf Blutungskomplikationen. In zwei Dosierungen war die Substanz stärker wirksam als Enoxaparin in der Prophylaxe postoperativer Thromboembolien. Allerdings wurde Enoxaparin 6-18 Stunden später verabreicht als das Pentasaccharid. Dieser Zeitunterschied könnte das Ergebnis zu Gunsten des Pentasaccharids verfälscht haben. Ob tatsächlich weniger unerwünschte Thrombopenien als unter Heparin auftreten, muß noch in großen Phase-III-Studien nachgewiesen werden.

Abbildung 2001-53a-1.gif